Ana Marwan: Der Kreis des Weberknechts
Mittwoch, 1. Januar 2020
Rezension Romandebüt
Karl Lipitsch bezeichnet sich als Misanthrop und Eremit. Seine Einsiedelei ist ein kleines Haus in einer ruhigen Straße. Er entsagt der Stadt und den Menschen, um in Ruhe an seinem Buch zu arbeiten. Durch einen Zufall bekommt er Kontakt zu einer Nachbarin. Mathilde gibt sich interessiert, die beiden umgarnen einander. Dieser Debütroman von Ana Marwan steht auf der Shortlist des Bloggerpreises vom Blog „Das Debüt“.
Lipitsch
Fast das ganze Buch wird aus seiner Sicht beschrieben. Er hat sich bewusst von allem Bekannten abgekapselt und bezeichnet sich selbst als Einsiedlerkrebs.
Allein zu leben, hingegen, bedeutete für Lipitsch das höchste Glück. Er lebte seit einem halben Jahr in einer Art Einsamkeit, die er vollkommen nannte.
Seite 5
Er mag Menschen angeblich nicht. Doch im Laufe des ironisch geschriebenen Buches fragte ich mich, ob nicht eher die Menschen ihn nicht mögen, denn liebenswert ist er nicht gerade.
Seine Einsamkeit wird durchbrochen, als er zufällig eine Nachbarin trifft. Mathilde interessiert sich für ihn, warum habe ich nicht verstanden, sie sucht Kontakt.
Lipitsch ist erst abweisend, fühlt sich aber doch schnell zu ihr hingezogen. Allerdings hat er eine seltsame Art dies zu zeigen. Er setzt sie herab, behandelt sie immer sehr distanziert. Sein Frauenbild empfand ich als antiquiert. Er ist besserwisserisch und scheint alle Welt für dumm zu halten.
Das Buch an dem er schreibt, ist natürlich kein schnöder Roman, sondern eine philosophische Abhandlung. Worüber genau weiß er vielleicht selbst nicht. Umfassend soll das Buch werden. Doch durch Mathilde fühlt er sich bei der Arbeit gestört. Auch wenn sie sich nur einmal die Woche blicken lässt. Der Menschenfeind verliebt sich in die Nachbarin, gesteht sich das aber natürlich nicht ein. Sein Werben ist umständlich, unbeholfen und so gar nicht zielführend. Ich frage mich, wie er vorher schon mal Beziehungen eingehen und halten konnte.
Jede Frau, mit der er bis jetzt zusammen gewesen war, hatte er also ausschließlich anhand ihres Aussehens gewählt, und zwar so, dass sie ihn nicht oberflächlich aussehen ließ.
Seite 41
Innere Qualitäten scheinen also nicht wichtig zu sein, obwohl er immer sehr gestelzt daherredet. Eine Frau ohne Intellekt würde ihn gar nicht verstehen, allerdings spricht er anderen Menschen das Verständnis seiner Ergüsse sowieso ab.
Lipitsch ist also ein Mensch, den ich eher meiden würde. Allerdings keimt auch in mir manchmal der Wunsch, für eine begrenzte Zeit aus meinem Leben herauszusteigen. Ich hatte da aber eher an eine einsame Woche in einer Berghütte gedacht.
Mathilde
Sie ist eine gutaussehende, kultivierte Frau. Sie hat Proust im Original gelesen, an der Sorbonne studiert und geht einer geregelten Tätigkeit nach. Welcher wissen wir leider nicht, da Lipitsch ihr keine Fragen stellt. Dieses vorgebliche Desinteresse, hinter dem Lipitsch einen, seiner Meinung nach, raffinierten Schachzug verbirgt, stößt bei Mathilde irgendwann ziemlich auf.
In kurzen Passagen wird auch ihre Sicht beschrieben.
Und ich frage mich die ganze Zeit: was findet sie an ihm? Was bringt sie dazu an diesem seltsamen Kerl über Monate Interesse zu zeigen? Sieht sie das vielleicht als eine Art sportlichen Erfolg, wenn sie ihn erobert?
Weberknecht
Im Buch ist immer wieder von Spinnen und ihren Netzen die Rede. Diese Metapher wird auf verschiedene Art und Weise verarbeitet.
Allerdings sind Weberknechte keine Spinnen, nur Spinnentiere und verfügen meines Wissens nicht über Spinndrüsen um einen Faden und damit Netze herzustellen. Auch Lipitsch fehlt die Eigenschaft ein soziales Netzwerk zu bilden oder eine Frau erfolgreich zu umgarnen.
Ein anderes Tier, das immer wieder erwähnt wird ist der Schmetterling. Verpuppung, herumflattern, Unstetigkeit sind hier die Begriffe die zu Metaphern ausgebaut werden. Auch hat Liptisch einige aufgespießte Exemplare der schönen, filigranen Tiere bei sich an der Wand hängen, was ihn mir noch unsympathischer macht).
Anspruch
Der Kreis des Weberknechts ist aus meiner Sicht der anspruchsvollste Titel aus der diesjährigen Shortlist für den Bloggerpreis von Das Debüt. Ich hatte nicht wenig Schwierigkeiten es zu lesen. Die Ironie im Roman liegt mir zwar sehr. Doch nötigte mir der Stil volle Aufmerksamkeit ab. Dazu war ich nach einem vollen Arbeitstag manchmal nicht mehr in der Lage. Manche Sätze waren sehr kunstvoll zusammengestellt. Das Buch ist halt im Sprachstil von Lipitsch gehalten. Manchmal waren mir die Konstruktionen mit vielen Nebensätzen einfach zu viel. Ich kam mir dann vor wie die typische Frau, von der Lipitsch immer spricht, eine der Frauen, die ihm geistig nicht folgen können. War das so gewollt?
Allerdings bringt dieser Stil gepaart mit der Ironie auch wunderbare Satzkonstrukte hervor. Viele Absätze musste ich mehrmals lesen um sie erfassen zu können. Manchmal hatte ich den Faden am Ende eines Absatzes wieder verloren. Somit entsprach ich als Frau genau der Erwartung, die Lipitsch von mir, nur aufgrund meines Geschlechts, hat. Da das buch von einer Frau geschrieben wurde, ist auch das wieder wunderbar ironisch.
Ana Marwan
Die Autorin wurde 1980 in Slowenien geboren und studierte in Ljubljana vergleichende Literaturwissenschaft und später Romanistik in Wien. Marwan schreibt in zwei Sprachen. Den Weberknecht hat sie auf Deutsch verfasst, ihren nächsten Roman entsteht auf Slowenisch, wie sie im Interview auf dem Blog das Debüt verrät . In einem weiteren Interview, das auf der Verlagsseite des Otto Müller Verlags zu finden ist, verrät sie mehr über dieses Buch.
Bloggerpeis
Dieser Roman aus dem Otto Müller Verlag steht auf der Shortlist des Bloggerpreises für das beste Debüt des Jahres 2019, der vom Blog das Debüt ausgelobt wird. Die Jury, zu der auch ich gehöre, besteht aus freiwilligen Literaturbloggern. Folgende Romane stehen ebenfalls auf der Shortlist:
Angela Lehner: Vater unser
Martin Peichl: Wie man Dinge repariert
Nadine Schneider: Drei Kilometer
Katharina Mevissen: Ich kann dich hören
Ich habe das Buch eher als konservativ altmodisch empfunden und die angepriesene Ironie als eine Wende von Wiederholungen interpretiert, am Anfang habe ich es mit großen Interesse gelesen, dann hat mir der arme Mann leid getan, liebe Grüße, bin auf das Resultat gespannt, ist fast so aufregend, wie die österreichische Regierungsbildung, die gerade stattfindet!
Hallo Eva,
die Regierungsbildung hat aber sicher mehr Auswirkungen als unsere Entscheidung.
Doch ich bin auch sehr gespannt, welches Buch gewinnen wird.
Viele liebe Grüße
Silvia