Julia Malik: Brauch Blau
Sonntag, 26. April 2020
Rezension Debütroman
Sehr ungewöhnliches Buch. Der Beginn ist spannend wie ein Krimi. Atemlos bleibt es bis zum Schluss.
Eine Frau wacht in einem Hotel auf. Nackt, alleine, ohne Erinnerung. Wer ist sie eigentlich? Wo ist sie? Wie kommt sie hierher? Langsam kommen einige Erinnerungssplitter hoch. Plötzlich ein Gedankenblitz: ich habe zwei Kinder! Wo sind sie? Wo habe ich sie gelassen? Ich muss sie zu mir holen!
Nach und nach fällt ihr alles wieder ein. Ich als Leserin wurde schrittweise in ihr Leben eingeführt. Die Opernsängerin mit den zwei kleinen Kindern. Der Mann verließ sie für eine andere. Doch sie liebt ihn so sehr. Sie hat kein Geld, kein Engagement, wie auch, sie müsste die Kinder abends und die halbe Nacht allein lassen. Für einen Babysitter hat sie kein Geld. Denn der Vater gibt kaum finanzielle Unterstützung. Er scheint seiner neuen Partnerin hörig zu sein.
Rausch
Wie im Rausch verfolgt man diese Frau. Folgt ihren zum Teil sehr wirren Gedanken. Stück für Stück erfahren wir was am Abend vorher passiert ist. Was in ihrem Leben alles schiefgegangen ist. Eine alptraumhafte Opernvorstellung, die ihre Karriere zerstörte. Der Mann, dem sie ganz ergeben war, den sie unglaublich zu lieben meint und ihr jetzt Übles antut.
Wir folgen ihr zum Vorsingen für ihre allerletzte Chance. Sie bekommt zwar den Job, aber auf eine erniedrigende Art.
Sie freundet sich mit einem Obdachlosen an, er passt jetzt während der Proben auf ihre Kinder auf.
Spoiler
Großer Showdown in New York: die Oper feiert Premiere an der Met. Doch eine Katastrophe jagt die nächste. Ganz am Schluß wird klar: die Entwicklung der Frau, von manchen ganz abwertend Schnulli genannt, ist eine Metamorphose. Dies wird im Text auch noch wörtlich genommen.
Nach der ganzen Hektik kommt sie ganz am Ende des Buches, auf der letzten halben Seite, endlich zur Ruhe und findet zu ihren Werten und sie selbst.
Norma
Diese Frau stürzt aus ihrem normalen Leben in einen Zustand, mit dem sie kein bisschen umgehen kann.
Seite 188
In diesem Absatz vergleicht sie sich mit Norma, der Protagonistin aus der gleichnamigen Oper. Eine Rolle, die sie einnehmen soll und so viel mit ihrer eigenen Situation zu tun hat. Die Parallelen sind sehr offensichtlich, sicher auch bewusst gesetzt. Auch gilt Norma als eine der schwierigsten Opernpartien. Und das Leben der Protagonistin ist ähnlich schwer.
Puh. Dieses Buch ist stark. Temporeich, geheimnisvoll, irre. Ja, nicht jede alleinerziehende Mutter ist Opernsängerin. Das steht schon etwas neben der Alltagsrealität von Normalfrau. Doch die Entwicklung, viele der Höhen und Tiefen, die Verletztheit, die Hilflosigkeit, so vollkommen alleingelassen werden. Immer wieder beschämt zu werden. Irre Sachen machen, weil sie keine andere Wahl hat (z.B. Domina). Die Kinder sind wichtig, doch wo bleibt sie selbst als Mensch? Ist sie überhaupt in der Lage für ihre Kinder zu sorgen? Finanziell und auch in ihrem labilen psychischen Zustand? Sie war immer Fremdbestimmt, wie kann sie plötzlich auf eigenen Beinen stehen?
Diese Art der Problemstellung ist sicher auch anderen Müttern die alleine stehen nicht fremd.
Fazit
Brauch Blau der Schauspielerin Julia Malik ist ein tolles Debüt. Spannend, leicht verrückt, einfühlsam und wirklich mal was anderes.
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