Nadifa Mohamed: Der Garten der verlorenen Seelen
Montag, 15. September 2014
Somalia 1987. Das Land wird von einem irren Diktator beherrscht. Ein Bürgerkrieg steht bevor.
Das Buch erzählt von etwa einem halben Jahr im Leben zweier Frauen und einem Mädchen, deren Schicksal durch Zufall eng mit einander verstrickt wird.
Da ist Deqo, ein Waisenkind (etwa 9 Jahre, alt, sie weiß es nicht genau), aus einem Flüchtlingsheim.
Kawsar, Ende 50, Witwe, Mutter einer bereits toten Tochter nimmt Deqo vor Filsan, einer Soldatin in Schutz. Daraufhin kommt Kawsar ins Gefängnis , Deqo flieht und lebt fortan auf der Straße.
Nach einem entwürdigenden Ereignis mit einem hochrangigen Militär führt Filsan ein „Verhör“ mit Kawsar durch, verprügelt die ältere Dame, die dabei so unglücklich fällt, das sie schwere Knochenbrüche erhält und (wegen der nicht existenten medizinischen Versorgung) nicht mehr gehen kann. Kawsar, recht wohlhabend wird von Freudinnen umsorgt und bekommt auch eine Hilfe, Nurto, ein junges Mädchen zu dem sie nach einigen Anlaufschwierigkeiten eine enge Beziehung aufbaut. Kawsars engste Freundin flieht mit ihrer Familie vor dem schwelenden Krieg ins Ausland, während Kawsar in ihrem Haus auf den Tod warten will.
Deqo kommt per Zufall als Haushaltshilfe im Haus von ein paar jungen Prostituierten unter und findet dort so eine Art Heimat. Doch ein schrecklicher Verrat wartet auf das Kind.
Filsan, die Soldatin, muss die Erfahrung machen, dass Frauen auch beim Militär bestenfalls zu Propagandazwecken dienen. Der Leser erfährt viel über ihre unschöne Kindheit und lernt eine einsame Frau kennen, die sich nach Anerkennung und einer Partnerschaft sehnt. Da bekommt sie einen militärischen Auftrag der katastrophal ausgeht. Filsan ist für mich der komplexeste Charakter im Buch. Einmal brutale Schlägerin, einmal ängstliches Mädchen, wurde oft verprügelt, will ihren Mann in einer Männerwelt stehen, sehnt sich nach Zärtlichkeit und Liebe. Sie ist manchmal so unendlich dumm, dann wieder ziemlich intelligent. Sie hat einfach ihren Platz in der Welt nicht gefunden. Oft ist sie in der Täterrolle, doch wenn man die Hintergründe kennt, wird sie schnell zum Opfer. Alle Frauen sind in diesem Regime Opfer.
Durch die drei, mit zarter Hand verwobenen, Erzählstränge bekommt man ein vielfältiges Gesellschaftsbild dieses Pseudostaates zu dieser Zeit. Wie so oft gehören Frauen, durch ihre gesellschaftlich diktierte Ohnmacht, in Krisengebieten zu den Hauptleidtragenden. Das Buch zeigt, wie sie mit den grausamen Herausforderungen an ihr Leben umgehen, daran wachsen und sich verändern und Ungerechtigkeiten (an denen sie sowieso nichts ändern können) einfach hinnehmen.
Das Buch wäre wunderschön leicht zu lesen, wenn die beschriebenen Grausamkeiten nicht so schwer zu verdauen wären. Es beinhaltet oft fast poetische Sätze und harte Beschreibungen sinnloser Gewalt. In mir hat es erneut Verständnis für Flüchtlinge aus Krisengebeten geweckt.
Der Titel bezieht sich übrigens auf Kawsars liebevoll gepflegten Garten, in dem ihre zahlreichen Fehlgeburten und auch ihre älter gewordene Tochter begraben sind. Durch die Pflanzen dort leben ihre Kinder auf eine stille Art weiter.
Ein empfehlenswertes Buch über drei Frauen, die versuchen mit unerträglichen Zuständen zu überleben.
Ein paar Sätze habe ich mit während des Lesens notiert:
„…Schande, die mit ihren Brüsten wächst, sich mit den Hüften weitet und ihnen wie ein unerwünschter Freund folgt. …das erst Wort, das sie gelernt hatte, lautete „Schande“…Im Leben eines Mädchens dreht sich offenbar alles darum, die Schande zu vermeiden.“
„Sie ist wie ein Schössling, der aus der nackten Erde wächst, während andere Triebe alteingewurzelter Bäume sind.“ (Gedanken einer Waise, die ihre Familie nicht kennt)
„Sie erinnert sich an die Röhren aus Schilfmatten, in die man sie vor dem Begräbnis gewickelt hatte, die Rollen so klein und dünn, dass sie Zigaretten ähnelten.“ (Beerdigung von Kindern aus dem Waisenhaus.)
„Aber jetzt ist von diesen Hunderten Morgen und Nachmittagen einzig die Wärme einer abwesenden Hand auf einem alten, leeren Schoß geblieben.“ (Kawsar erinnert sich an ihre gute Ehe)
„Das Sonnenlicht bricht durch die bleiernen, grollenden Wolken und schlüpft durch das vergitterte Fenster…“
„Vielleicht ist der sagenhafte Baum im Mond das Ziel der Nachtfalter; jener einzigartige Baum, dem bei jeder Geburt ein Blatt wächst – wenn es fällt, endet das mit ihm verbundene Leben. Ihr eigenes Leben muss am dünnsten aller Fäden hängen, den selbst der Flügelschlag eines Nachtfalters zerreißen könnte.“ (Kawsar denkt über ihren nahen Tod nach)
„Beide, sie und das Viertel Gutyo Samo, haben das Ende ihrer Zeit erreicht; die Soldaten werden die Straße in eine Wüste zurückversetzen, die Sterne ausknipsen, die Hunde erschießen und die Sonne in einem Brunnen löschen.“
„… mit siebenundfünfzig trockne das Knochenmark allmählich ein, …, und von dann an warte man nur noch darauf, dass einem die Knochen zu Staub zerbröselten.“
Nadifa Mohamed: Der Garten der verlorenen Seelen, Verlag: C.H.BECK, 269 Seiten, ISBN 978-3-406-66313-0
Leseprobe
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Nachdem ich ein Buch gelesen habe, lese ich gerne noch einmal die Rezensionen darüber. Deine Rezension hat mir schon vor dem Buch sehr gefallen, aber nachdem ich das Buch nun kenne, bin ich echt beeindruckt, wie toll Du darüber geschrieben hast.