Neuerscheinungen August 2020
Sonntag, 2. August 2020
Zehn neue Bücher aus unabhängigen Verlagen
Seit Monaten leide ich unter Schreibunlust. Blogarbeit fällt mir im Moment echt schwer. Ich glaube das liegt auch am Homeoffice. Ich sitze meist vier Tage die Woche 8-10 Stunden beruflich an meinem privaten Rechner. Seitdem habe ich keine Lust, oder eher Widerwillen, auch noch privat an dem Arbeitsplatz zu sitzen. Ich habe dieses Jahr schon viele tolle Bücher gelesen, aber der Stapel derer, die auf die Rezension warten, ist schon zweimal umgekippt.
Ein schlechtes Gewissen habe ich aber besonders wegen der Neuerscheinungen. Vor allem für kleine Verlage ist das Frühjahr ganz, ganz schlecht gelaufen. Viele Romane sind einfach untergegangen. Benjamin Quaderer sage mal, dass er niemandem empfehlen kann, einen Debütroman während einer Pandemie zu veröffentlichen. Und er hatte auch noch mit Für immer die Alpen einen großen Verlagskonzern im Rücken. Was machen die Menschen denn alle? Ich hätte gedacht, dass Covid-19 ein Segen für die Buchwirtschaft ist. Doch das gilt wohl doch eher für Streaming-Anbieter.
Nun gut, heute mache ich es endlich wieder: ein Post mit Neuerscheinungen. Wieder habe ich 10 Bücher herausgesucht die mir interessant erscheinen und vielleicht auch eure Neugier erwecken.
Posthum
Gleich drei Romane von bereits verstorbenen Autor*innen sind mir aufgefallen.
Ein Mann liest Zeitung ist der einzige Roman des 1970 in England verstorbenen Justin Steinfeld. Ein typischer Exilroman des Journalisten mit stark autobiografischen Zügen. Er spielt in den 1930iger Jahren. Ein jüdischer Kaufmann lebt im Exil in Prag und langweilt sich sehr. Er sitzt viel in Straßencafés, liest und beobachtet. Er verknüpft geschickt, was sein Protagonist aktuell in der Zeitung liest mit den Erinnerungen des Exilanten.
Miguel Delibes starb 2010. Seine Bücher sind in seiner Heimat Spanien Schullektüre und gelten als moderne Klassiker. Frau in Rot auf grauem Grund spielt Mitte der 1970iger Jahre. Franco liegt im Sterben. Doch im Mittelpunkt steht eine starke Frauengestalt die plötzlich ihre Kraft verliert.
Rolien & Ralien handelt von einem elfjährigen Mädchen, dass schon feste Pläne für sein Leben hat: „mal ein Mann werden, der in Paris wohnt, Rudolf heißt und kein Akrobat ist.“ Im Roman der niederländischen Autorin Josepha Mendels erfahren wir auch was aus den Plänen wird. Der Roman galt 1947 als er erstmalig erschien als gefährliches Skandalbuch. Mendels ist bereits 1995 gestorben und wurde zu Lebzeiten in den Niederlanden als führende Feministin gefeuert.
Schöner Titel
Ich greife gerne zu Büchern mit poetischen Titeln. So ist mir diese Neuerscheinung aus Limmatverlag direkt aufgefallen: Im Fallen lernt die Feder fliegen. Ist das nicht schön? Der Roman des irakischstämmigen Autors Usama Al Shahmani handelt von der jungen Aida. Sie ist zwischen ihrer Herkunft, dem Irak, und dem Land in dem sie lebt, der Schweiz, hin- und hergerissen. Da bestimmt ihr Vater, dass die Familie in den Irak zurückkehrt. Der Autor schreibt in diesem Roman über die Probleme der Integration von Flüchtlingen.
Schräges Cover
Ganz ehrlich: zu einem Buch mit diesem Cover würde ich in der Buchhandlung nicht greifen. Doch die Geschichte dahinter hört sich spannend an. Stell dir vor du bist Arzt und besitzt Wunderheilungskräfte. Toll, oder? Doch Dr. Aira, der in Buenos Aires lebt, möchte das nicht, es ist ihm eher lästig. Die Leseprobe von Die Wunderheilungen des Dr. Aira empfand ich als amüsant und irgendwie auch poetisch. Der Nachname des Autors César Aira stimmt wohl nicht von ungefähr mit dem des Protagonisten überein.
Marken
In den italienischen Marken habe ich vor ein paar Jahren einen wunderschönen Urlaub verbracht. Mehr Infos über diesen schönen Landstrich gibt es auf dem Blog einer Freundin von mir: Ecco le Marche. Als ich sah, dass dieses Buch dort spielt war mein Interesse direkt geweckt. Die Autorin Giulia Caminito widmet Ein Tag wird kommen ihrem Urgroßvater. Er war dort ein bekannter Anarchist. Sie beschreibt am Schicksal zweier Brüder die Auswirkungen des 1. Weltkriegs auf ein kleines Dorf in den Marken.
Überleben
Zwei Überlebende aus Konzentrationslagern heiraten kurz nach dem Krieg, bleiben in Deutschland und bekommen ein Kind. Es soll die glückliche Zukunft symbolisieren. Doch nach einer Begegnung mit der Vergangenheit erleidet Klara einen Schock. Heilung sucht sie im Schreiben über die Vergangenheit. Es wird wieder Tag ist ein Roman über zwei Menschen, die versuchen die Gräuel hinter sich zu lassen und an eine Zukunft zu glauben. Minka Pradelski schreibt über die Nachkriegszeit von Juden in Deutschland.
Holz
Judith ist Tischlerin. Mit Holz kennt sie sich aus. Mit Menschen eher nicht. Sie reist mit einem Schiff und ein einschneidendes Erlebnis verändert alles für sie. Sie nutzt eine Katastrophe als Neuanfang. Die Autorin von Auwald heißt Jana Volkmann. Sie arbeitet gerade an ihrer Dissertation in ihrem Studienfach europäische Literatur.
Vergessen
Das Internet vergisst nichts, das wissen wir alle. Aber hat ein Mensch das Recht darauf vergessen zu werden? Egal wie die eigene Vergangenheit aussieht? Der italienische Autor Massimo Carlotto ist für spannende Krimis und Romane bekannt. Er führt uns in Die Frau am Dienstag in eine kleine Pension. Dort trefft sich der ehemalig Pornodarsteller jeden Dienstag für ein paar Stunden mit einer geheimnisvollen Frau bis diese von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt wird.
Doppelgänger
Bereits Ende Juli erschien Der Präsident. Darin bekommt Jay die Rolle als Doppelgänger von Ronald Reagan und tritt als dessen Double bei allen möglichen Veranstaltungen auf, die Reagan nicht selbst besuchen kann. Das geht so lange ganz gut, bis Jay ein eigenes politisches Bewusstsein bekommt und sich für die Umweltbewegung engagiert. Der Autor Clemens Berger lebt in Wien und veröffentlichte bereits mehrere Romane.
Fazit
Es scheint mir, dass einige Verlage zögerlich sind. Wahrscheinlich fehlen Gewinne aus dem ersten Halbjahr um viele Neuerscheinungen im zweiten vorfinanzieren zu können. Voland & Quist beispielsweise hat nur ganz wenige neue Bücher im Herbstprogramm und verweist mit Nachdruck auf die Bücher, die am Anfang des Jahres erschienen sind. Passend dazu gibt es auch seit einigen Monaten den #ZweiterFrühling. Er soll in Corona untergegangenen Büchern zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen. Deshalb möchte ich hier auch auf meinen Beitrag mit Debütromanen aus dem Frühling hinweisen.
Ich nehme mir ganz fest vor noch einen Beitrag über neue Debütromane dieses Herbstes und auch einen Neuerscheinungspost für September zu schreiben.
Liebe Silvia,
da sind ja – trotz der spürbaren Zurückhaltung der Verlage – immer noch genügend tolle Tipps und Bücher, für die man sich Zeit nehmen sollte, dabei.
Mich interessieren insbesondere die drei Wiederentdeckungen, die du vorstellst – „Ein Mann liest Zeitung“ muss auf jeden Fall zu mir.
Einen schönen Sonntag wünscht Birgit
Hallo Birgit,
ich freue mich sehr, dass die Anregungen gefunden hast.
Viele liebe Grüße
Silvia
Hallo Birgit,
wie schön, dass ich Dir ein paar Anregungen geben konnte.
Viele liebe Grüße
Silvia
Liebe Silvia,
einen schönen Überblick auf interessante Literatur hast du uns da zusammengestellt. Aber noch viel mehr hänge ich an deiner Eingangsbemerkung. Dass dich in der Freizeit nichts mehr an den Rechner zieht, an dem du im Homeoffice auch so viel Arbeitszeit verbringst. Das stimmt. Ich mochte von April bis Juni nicht einmal mehr etwas lesen, weil ich durch den digitalen Unterricht den ganzen Tag am Rechner und bei der Durchsicht, Kommentierung und Benotung von Schüler*innenarbeiten am Schreibtisch saß.
Das Frühjahr scheint also bei vielen Lesern und Bloggern so einiges durcheinandergewürfelt zu haben.
Viele Grüße, Claudia
Hallo Claudia,
da bin ich aber froh, dass es nicht nur mir so geht.
Zum Lesen hatte ich zum Glück die ganze Zeit Lust.
Ich hoffe, dass das neue Schuljahr angenehmer wird für dich.
Alles Gute
Silvia