Lesung mit Martin Kordic
Dienstag, 14. Juli 2015
Sommerurlaub in Kärnten. Kurz vorher sah ich aus einer Laune heraus mal nach, ob dort in der Nähe vielleicht eine interessante Lesung angeboten wird. Und siehe da: im Robert-Musil-Literaturmuseum beginnt der 19. Klagenfurter Literaturkurs. Am Eröffnungsabend liest einer der ehemaligen Teilnehmer: Martin Kordic aus seinem Debüt „Wie ich mir das Glück vorstelle“ .
Nach einem sehr netten Mailkontakt mit dem Veranstalter, der mir einen Platz reservieren wollte, machte ich mich an dem Tag auf den Weg nach Klagenfurt, ca. 30 Kilometer von meinem Urlaubsort über dem Ossiacher See (Foto) entfernt.
Im Klagenfurter Literaturmuseum, das in einem sehr schönen, älterem Gebäude Foto direkt gegenüber vom Hauptbahnhof untergebracht ist, besuchte ich zuerst das dort angesiedelte Musil-Café zu einem leckeren, leichten Abendessen.
Die Lesung selbst war ein sehr intimes Ereignis. Es waren vielleicht 20 Gäste bei der (kostenlosen!) Veranstaltung. Die meisten davon gehörten zum Umfeld des Klagenfurter Literaturkurses. Es gab freie Getränke und anspruchsvolle Gespräche über Literatur.
Martin Kordic fuhr mit dem Rad vor. Er kennt Klagenfurt sehr gut, hat hier Freunde und Bekannte und nutzte den Anlass gerne zu einer Reise mit der Bahn von München aus, wo er jetzt wohnt.
Der Autor kam in legerer Kleidung (Jeans, derbe Schuhe, kragenloses Hemd), musste vor und nach der Lesung dringend eine Zigarette rauchen und trank während der Veranstaltung Wasser und Weißwein. Es sieht trotz Vollbart sehr jung aus. Wenn sich auch die ersten grauen Haare sehen lassen…
Die Atmosphäre war sehr familiär. Kordic kannte einige aus dem Publikum persönlich und bedankte sich bei einigen auch für ihre Mithilfe bei dem Buch, dessen Entstehung sechs Jahre gedauert hat. Eigentlich viel länger, denn er erzählt, das auch seine ersten Schreibversuche immer um dieses Thema Jugoslawienkrieg kreisten. Kordics Mutter ist Deutsche, der Vater Kroate. Martin wuchs in Deutschland auf, eigentlich wollte die Familie nach Kroatien ziehen, aber dann kam der Krieg. Statt in den Süden auszuwandern, kamen viele Verwandte nach Deutschland, sie flüchteten vor den unklaren, gefährlichen Verhältnissen.
Aber das Buch ist bei weitem nicht autobiographisch. Er war während des gesamten Krieges in Deutschland. Einzelne Geschichten und auch Fakten stimmen nicht, weshalb er auch keine realen Ortsnamen benutzt. Allerdings sind die Umschreibungen wie „Dorf der Glücklichen“ oder „Stadt der Brücken“ für Eingeweihte leicht zu entschlüsseln.
Eingeleitet wurde der offizielle Teil des Abends von einer kurzen Vorstellung und Einführung durch den Leiter des Literaturhauses, dann wurden einige Stellen gelesen, danach gab es vorbereitete und spontane Fragen.
Der Autor benutzte zum Lesen ein sehr abgenutztes Exemplar mit vielen Post-Its. Die einzelnen Lesungen notiert er im Buch. Er erzählt, dass sich heute praktisch ein Kreis schließt. Die erste offizielle Lesung war zwar in Köln, aber vorher hat er in Klagenfurt aus seinem noch unveröffentlichten Manuskript schon vorgelesen. Also praktisch ein „Heimspiel“.
Er plauderte ein wenig aus dem Nähkästchen. So hat er zum Beispiel das Getränk „Fanta“ erst ins Buch reingenommen, dann wieder raus, dann wieder rein. Daraufhin entschuldigte sich der Veranstalter mit einem Augenzwinkern leider Fanta in Form von Radler anbieten zu können.
Für alle Zuhörer, die das Buch noch nicht kannten, erklärte Kordic, das das gar nichts machte, wenn er nicht nur den Anfang liest, denn das Buch ist ja nicht chronologisch aufgebaut. „Man kann es auch von hinten nach vorne lesen“. Was für einige Lacher sorgte und vielleicht mal einen Versuch wert wäre.
Die gelesenen Textstellen gaben einen kurzen Einblick in die verschiedenen Handlungsorte, die wichtigsten Protagonisten und ließen auch die, für das Buch, typischen Anleitungen und Listen nicht aus.
Nach einer besonders deprimierenden Szene sagte er „ Als nächstes schreibe ich ein lustiges Buch.“ Konkret sprach er aber leider nicht über seine weiteren Pläne. Wenn das zweite Buch auch sechs Jahre zur Entstehung braucht, müssen wir noch ein paar Jahre warten.
In der Fragerunde danach erzählte Kordic, dass er ganz gut kroatisch spreche und verstehe, aber kaum in dieser Sprache schreiben könnte. Er würde sich wünschen, dass sein Buch mal in seine Vatersprache übersetzt werden würde, damit seine Verwandten, die nicht auf Deutsch lesen können, es auch mal lesen könnten. Leider ist diese Übersetzung bisher nicht geplant.
Er freut sich aber sehr, dass das Buch langsam auch von jungen Lesern entdeckt wird. Er hat auch irgendwie ein „Kinderbuch für Erwachsene“ geschrieben.
Auf den kürzlich erhaltenen Chamisso-Förderpreis angesprochen, äußerte er Kritik an den ihn interviewenden Journalisten, die sich fast alle in den Gesprächen auf seine deutsch-kroatische Herkunft konzentriert hätten. Aber so ganz allgemein wäre die Anerkennung durch so einen Preis doch schön!
Insgesamt ist er auch zufrieden mit seinem eigenen Buch, an dem er lange gearbeitet und gefeilt hat. Das Schreiben liegt auch in ihm selbst. Ermutigung durch Andere ist zwar schön, bei ihm aber nicht ausschlaggebend für den eigenen Schreibprozess.
Der nette Abend wurde durch ein lockeres Zusammensein von Autor, Gästen, Veranstaltern und Teilnehmern des Literaturkurses abgerundet.
Es war sehr schön, auch mal eine Lesung im ganz anderen Umfeld zu besuchen.
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