Martin Kordic: Wie ich mir das Glück vorstelle
Mittwoch, 24. September 2014
Viktor ist vom Schicksal benachteiligt: er hat eine Wirbelsäulenkrümmung um 34 Prozent und muss ein Korsett tragen. Und er wird im ehemaligen Jugoslawien kurz vor dem Krieg geboren.
Am Ende des Krieges schreibt der Junge in einem Heft seine Geschichte auf. Für jede Seite, die er schreibt, malt er einen Elefanten an die Wand der Ruine in der er untergekommen ist (schönes Detail: die Anzahl der mehrmals erwähnten Elefanten stimmt mit der Seitenzahl im Buch überein).
Diese Ruine steht in der fast völlig zerstörten „Stadt der Brücken“ (Mostar?!). Er lebt dort gemeinsam mit dem „einbeinigen Dschib“ und dem Hund Tango. Manchmal nimmt Viktor auch andere verletzte Seelen auf. Dabei macht er zwischen einem kleine Vogel und einem vergewaltigten Mädchen kaum einen Unterschied.
Das Buch spielt in verschiedenen Zeitebenen, in denen auch munter durcheinander gewechselt wird.
Zum einen ist da Geburt und frühe Kindheit (vor und in den Anfängen des Krieges). In der nächsten Lebensphase lebt er in einem Kinderheim bei Nonnen, später kommt die Phase in der zerstörten Stadt.
Besonders berührt hat mich die enge Beziehung zu seiner Oma.
Dann gibt es noch einen märchenartigen Erzählrahmen, in dem „der letzte Tag“ (dieses Kapitel ist quer über das Buch verteilt) und das Leben eines allein lebenden Mannes eine Rolle spielen.
Das gesamte Buch ist im Präsenz geschrieben, was wohl die kindliche Perspektive unterstreichen soll und auch das Unvermögen des Jungen die Vergangenheit zu verarbeiten.
Victor wechselt auch ständig von der ersten in die dritte Person. Der Sinn dahinter hat sich mir nicht ganz erschlossen. Dazu müsste ich das Buch vielleicht noch mal lesen.
In kurzen Kapiteln und sehr kurzen Sätzen beschreibt Viktor sein Leben in der ihm eigenen logischen Reihenfolge. Er illustriert seinen Bericht auch ab und an durch erläuternde, einfache Zeichnungen, wie z.B. die Tätowierung des Vaters nach seinem ersten Kriegseinsatz: einem Wolfskopf. Und er hat ein Faible für Listen. So listet er z.B. Tierarten im Zoo, seine Besitztümer oder auch seine Klassenkameraden auf:
„IN DER B SIND“
14 Kreuzerkinder
7 Mudschikinder
3 Bergkinder
1 Dschibskind
6 Kinder, die keine Ahnung haben, wer sie sind
Da es in diesem Krieg immer darum ging was man ist und viele Gemeinschaften, wie z.B auch Schulklassen und Familien auseinandergerissen wurden, finde ich diese Auflistung sehr passend.
Wie Viktor sich das Glück vorstellt, wird erst am Ende des Buches erläutert. Demnach hätte ich auf dem Cover eher einen Elefanten erwartet.
Das Buch war für mich nicht einfach zu lesen, trotz des kindlichen Stils, weil ich mir immer wieder vergegenwärtigen musste in welcher Zeitebene er sich gerade befindet. Außerdem lauern hinter seinen einfachen Sätzen immer die Kriegsgräuel, die ich aus der Presse kenne. Das musste ich jeweils erst mal verdauen. Ein Buch, das sich diesem (mir völlig unverständlichen) Krieg auf eine ganz andere Art annähert.
Martin Kordic: Wie ich mir das Glück vorstelle, Hanser Verlag, ISBN 978-3-446-24529-7, 176 Seiten
Leseprobe
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