Das Mädchen mit den Orangenpapieren
Sonntag, 8. Februar 2015
Erinnert ihr Euch? Früher, als Lebensmittel noch hoch geschätzt wurden, waren Zitrusfrüchte einzeln in dünnes Papier verpackt und nebeneinander auf eine Stiege gelegt. Dieses halbtransparente Papier war mit vielen Motiven bedruckt. Dadurch wurde die Herkunft belegt. Jede Plantage im Süden hatte sein eigenes Logo. Mit einem phantasievollen Bild geziert.
Zum Buch:
1958. Elsa zog erst vor kurzem mit ihrem Vater aus Dresden in einen Ort in Süddeutschland, nahe am Chiemsee.
Sie flüchteten aus Dresden, eine Flucht vor dem Regime und der Trauer um die kürzlich verstorbene Mutter.
Elsa ist eine Außenseiterin. Eine Auswärtige, die die übliche Mundart nicht spricht und kaum versteht. Außerdem hindert sie ein Hüftleiden am Sport und anstrengenden körperlichen Aktionen.
Das Verhältnis zum Vater ist gut, aber beide sind von der Trauer gekennzeichnet.
Elsas Flucht sind die kleinen bunten Bildchen, mit denen die Zitrusfrüchte geschützt wurden. Die Obst- und Gemüsehändlerin sammelt sie für Elsa. Diese Papiere regen ihre Phantasie an und bergen für Elsa schöne Träume. Auch kann sie manchen Bildern Personen zuordnen, sie selbst wird zur Zentaurin, deren Bild auch den Buchumschlag ziert.
Aber langsam findet sie auch menschliche Freunde. Pauli, der Junge, der auch in ihrer Klasse ist der gerne Ingenieur wäre und doch von Elsa Hilfe in Mathe benötigt. Saskia, deren Vater in der nahegelegenen englischen Kaserne stationiert wurde. . Der Lehrer Kapusta, der ihr Buchempfehlungen erteilt und Rätsel stellt:
Ich zog da aus,
wo Lumpen einkehrten,
zog in ein Haus,
bewohnt von Gelehrten.
Es handelt sich übrigens um ein historisches Rätsel von Wilhelm Berta (1760-1833), die Lösung steht im Buch!
Die Handlung wird durch kleine Episoden, Szenen getrieben. So zum Beispiel eine Ruderfahrt mit dem Vater, die Begegnung mit einem Hausierer, ein Gespräch in der Bibliothek mit dem Lehrer und meinem Favoriten: einer Fahrt mit einem Heißluftballon.
Elsa bricht auf, wird erwachsen in dem halben Jahr, das durch da Buch umspannt wird, so wie auch Deutschland in dieser Spät-Nachkriegszeit versucht mit der alten last abzuschließen und neue Wege zu gehen.
Hanns Zischler, der Autor ist als Fernsehschauspieler bekannt geworden. „Das Mädchen mit den Orangenpapieren“ ist sein erster literarischer Text. Seit 1996 veröffentlichte er aber bereits einige Sachtexte.
Ein kleines, feines Büchlein.
Hanns Zischler: Das Mädchen mit den Orangenpapieren, Verlag Galiani Berlin, 112 Seiten, ISBN 978-3-86971-096-9, Euro 16,99 (D)
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