Der Illusionist
Dienstag, 24. März 2015
Harry Houdini! Der größte Magier der Welt! So wurde er auf dem Zenit seiner Karriere angekündigt.
Dabei war Harry Houdini, oder mit bürgerlichen Namen Erik Weisz, von eher kleiner Statur, dafür sehr muskulös und wendig. Viele Mythen und wahre Geschichten werden über ihn und sein Werk erzählt. Ein paar davon werden auch in diesem Roman aufgegriffen.
Die Geschichte beginnt in der Gegenwart mit einem älteren Herrn, Richard Strauss. Er hat gerade eine erschreckende Diagnose bekommen:
„Im Grunde genommen werden Sie ihren Verstand verlieren. Mr. Strauss.“
Und das aufgrund einer seltenen Krankheit, die sein Gehirn im zunehmenden Maße daran hindert Erinnerungen zu speichern und zu verarbeiten. Aber das ist bei ihm nicht wie bei Alzheimerpatienten. Seine kognitiven Fähigkeiten bleiben erhalten, aber sein Gehirn wird sich als Reaktion auf den Erinnerungsverlust neue Erinnerungen ausdenken. Er kann sich also auf keine Erinnerung mehr verlassen.
Um die Diagnose zu verarbeiten, setzt er sich vor der Klinik auf eine Bank, beobachtet die Passanten und lässt seine Gedanken in die Vergangenheit schweifen. Da ist noch etwas Wichtiges, was er Alice, einer jüngeren Frau, erzählen muss, damit das Wissen nicht verlorengeht:
Was bis auf mich und eine andere Person, die wahrscheinlich schon lange tot ist, niemand weiß, ist, dass ich Harry Houdini nicht nur einmal, sondern zweimal getötet habe.
Und Alice ist Houdinis Tochter.
Das Buch spielt in drei Zeitebenen: Richard in der Gegenwart und im Jahr 1928. In einem weiteren Strang wird das Leben Houdinis mit wichtigen Stationen ab 1897 aufgezeichnet.
Dabei werden seine Anfänge als erfolgloser Zauberer, seine Ehe mit Bess, die enge Beziehung zu seiner Mutter, die zahllosen Liebschaften, eine (angebliche) Tätigkeit für den amerikanischen und britischen Geheimdienst, die Höhepunkte seiner Karriere mit vielen Auslandsreisen und auch einige Tricks verraten.
Seine Leidenschaft als Anti-Spiritist bringt ihm viele Bekanntschaften und Feinde. Er lebt wegen dieser Feindschaften und der gefährlichen Bühnentricks in ständiger Lebensgefahr.
Houdini starb aber an einem Blinddarmdurchbruch. Dieser wurde durch einen Boxhieb in den Bauch verschlimmert. Und hier ist der Bogen zu Richard Strauss: dieser will diesen Boxhieb 1928 ausgeführt haben und sieht sich dadurch als Mörder und lässt damals alles hinter sich.
In dem Buch geht es um die Vergangenheit, Illusionen, Erinnerungen, Tricks und Magie:
Magie heißt an etwas glauben, von dem wir wissen, dass es nicht real ist, weil wir uns wünschen, es sei real. Magie ist dieser winzige Bruchteil, der uns von der Unendlichkeit fernhält. Und dies, in diesem Augenblick, ist Magie.
Haben wir nicht alle schon mal wissentlich oder unwissentlich unsere Erinnerungen verfälscht, so dass sie unserem Wunsch, wie es wirklich gelaufen sein sollte, näher kommen? Und wenn wir es nur in eine bessere Geschichte verpackt haben, die wir so oft erzählen, bis wir es selbst glauben und als Erinnerung abspeichern.
„Ein Zauberer ist ein Schauspieler, der einen Zauberer mimt.“ (Jean-Eugène Robert-Houdin) Auch bei Houdini ist die Show, die Schauspielerei alles. Ein wirklich guter Trick ist ohne ein gutes Drehbuch nichts.
Zauberer sind klug. Sie wissen, dass ein Zaubertrick im Wesentlichen darin besteht, Illusion auf eine Weise in Wirklichkeit zu verwandeln, die uns verwehrt, bis ins letzte zu begreifen, was passiert ist und was unserer Meinung nach passiert ist.
Durch solche Sätze werden Verlust und Neufindung von Erinnerungen mit den Kunststücken von Magiern verbunden. Viele Überlegungen über das Wesen der Vergangenheit und der Erinnerungen werden angestellt. Im Leben geht es da meist um größere Zeiträume, im Zaubertrick um die gerade passierte Vergangenheit.
Strauss lässt auf der Bank seine Erinnerungen an sich vorbeiziehen, wobei deren Wahrheit immer wieder in Frage gestellt wird:
Sie meinen, Sie erinnern sich an Dinge, die nicht wahr sind?
Während Zauberer seiner Meinung nach folgendes tun:
Sie schenkten mir den Glauben, dass es in der Welt mehr gebe als das, was ich zu sehen vermochte.
Und deshalb steht die Frage im Raum:
Ist es möglich, dass die Wahrheit das ist, was man glaubt?
In diesem Buch geht es um eine reale Person, Harry Houdini und dem was dieser Mann perfekt konnte: Illusionen wahr werden lassen. Die sollte man beim Lesen dieses kurzweiligen Romans immer im Hinterkopf behalten.
Am Ende noch ein Zitat aus dem Buch, dass das Hauptthema gut zusammenfasst:
Es geht um widerstreitende Meinungen über die Welt, eine Frage darum, was real ist und was nicht.
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Steven Galloway: Der Illusionist, Roman, Verlag: Luchterhand Literaturverlag
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 352 Seiten, ISBN: 978-3-630-87457-9, € 19,99 [D],