Robert Seethaler: Ein ganzes Leben
Sonntag, 25. Januar 2015
Andreas Egger, vermutlich 1898 geboren, lebt ein schweres Leben. Als nichteheliches Kind kommt er als Vierjähriger zu seinem Onkel in die Berge, wo er eine harte Kindheit überstehen muss. Er ist ein stilles, unauffälliges Kind.
„Reden hieß Aufmerksamkeit bekommen, und das wiederum verhieß nichts Gutes.“
Groß und vor allem stark genug, widersetzt er sich den Schlägen seinen Onkels und verlässt den Hof. Mit Gelegenheitsarbeiten schlägt er sich durchs Leben bis die Liebe ihn erreicht. Marie kommt eines Tages ins Dorf, arbeitssuchend. Sie fängt im Wirtshaus an und lernt Andreas Egger kennen. Es entwickelt sich eine zarte, langsame Liebe, die zur Ehe führt.
Damit Egger eine Familie ernähren kann, fängt er bei einer kleinen Bergbaufirma an zu arbeiten. Er gilt zwar seit seiner Kindheit als Krüppel – sein Onkel hatte ihn so sehr geprügelt, dass er sich das Bein brach, das nicht mehr richtig zusammenwuchs – aber da er sehr stark und nicht zimperlich ist, ist er ein guter Arbeiter. Und so ist er beim Bau vieler Bergbahnen in der Region dabei.
„Ich bin stark. Ich kann alles. Ich mache alles. „
„Aber Du hinkst“
„Im Tal vielleicht“ sagte Egger. „Am Berg bin ich der Einzige, der gerade geht.“
Mit Marie bewohnt Egger ein kleines Häuschen am Berg, dass ziemlich bald nach der Hochzeit von einer Lawine überrollt wird. Schwer verletzt überlebt Egger, seine Frau stirbt unter den Schneemassen.
Wieder beginnt eine schwere Zeit für Egger, in der er viel an den Bergbahnen arbeitet. Als der zweite Weltkrieg ausbricht, wird er 1942 in den Kaukasus geschickt, wo er aber nur kurz kämpft, da er schon bald in Gefangenschaft gerät und erst 1951 nach Österreich zurückkehrt. Anfangs ist es schwer für ihn, beruflich wieder Fuß zu fassen. Da der Tourismus sich langsam in den Bergen ausbreitet, beginnt er, Fremde auf die Berge zu führen.
„Er hatte seine Kindheit, einen Krieg und eine Lawine überlebt“.
„…auf sein Leben, konnte er ohne Bedauern zurückblicken, mit einem abgerissenen Lachen und einem einzigen, großen Staunen.“
Das Buch wird mir noch länger in Erinnerung bleiben. Vermutlich werde ich demnächst bei jeder Seilbahnfahrt daran denken, wie mühevoll die ersten Bahnen in den 1930er Jahren gebaut wurden.
Ein einfaches und doch erfülltes Leben wird in diesem Buch beschrieben. „Ein ganzes Leben“, wie es sicher viele ähnlich erlebt haben. „Ein ganzes Leben“ mit viel Arbeit, vielen Schicksalsschlägen und doch kein unzufriedenes Leben.
Brilliant erzählt machte es mir viel Freude, dieses Buch zu lesen!
Ein ganzes Leben, Robert Seethaler, 160 Seiten, Hanser Berlin, ISBN 978-3-446-24645-4