Hool kommt von Hooligan
Mittwoch, 18. Januar 2017
Hool
Heiko ist Mitte 20, jobbt im Fitnessstudio des Onkels, haust auf der Kampfhundefarm eines Bekannten und ist ein Hool. Er ist zweimal durchs Abi gerasselt und irgendwie vollkommen perspektivlos. Seine leibliche Familie ist zerrüttet. Sein Leben spielt sich in einer Gruppe von Hooligans ab.
Dem Autor (und den Hooligans) ist auch die Unterscheidung zwischen Hool, Ultra und Fan wichtig. Man darf nicht alles in einen Topf werfen.
Definition Hooligan (laut Duden)
meist im Gruppenverband auftretender Jugendlicher, dessen Verhalten von Randale und gewalttätigen Übergriffen bei öffentlichen Veranstaltungen (z. B. Fußballspielen) gekennzeichnet ist; Kurzwort: Hool
Definition Ultra (aus einem Infoflyer der Fangruppe Wilde Horde 96)
Ultras lassen sich wohl am besten mit dem Begriff „Extremfans“ beschreiben, denn Grundvoraussetzung allen ultrà-orientierten Handelns ist die bedingungslose Liebe und Hingabe zum eigenen Verein, die bei den Ultras weit über das Maß der „normalen“ Fußballfans hinausgehen. Dazu gehören neben der bestmöglichen Unterstützung des Vereins bei jedem Heim- und Auswärtsspiel auch Themenfelder, die über die 90 Minuten eines Fußballspielspiels hinausgehen.
Definition Fan (laut Duden)
begeisterter Anhänger, begeisterte Anhängerin von jemandem, etwas
Kampfsport?
Heiko uns seine Freunde sind alle Fans von Hannover 96 und treffen sich mit anderen Hooligan-Gruppen zum Rudelprügeln. Diese illegalen Kämpfe werden ausgerichtet und durchgeführt wie Sportveranstaltungen. Es gibt Planungen, Film- und Fotobeweise Ranglisten, Kleiderordnungen…
Der Zusammenhalt in der Gruppe wird schon durch die Identifizierung mit einem Fußballverein definiert. Doch das ist nur ein äußerlicher Aspekt um die Farben der Kleidung und die Schlachtrufe zu definieren. Diese Schlachten haben mit Fußball nichts mehr zu tun. Für eine gute Prügelei verzichtet man auch mal auf einen Besuch im Stadion.
Film des Börsenvereins zum Buch
Entwicklung
Heiko und seine Freunde bewegen sich schon lange in diesem Kreis. Doch seine Freunde haben inzwischen alle etwas gefunden, was inzwischen einen größeren Platz im ihrem Leben einnimmt. Nur für Heiko ist es immer noch der Lebensmittelpunkt.
In verschiedenen Zeitebenen wird auch die Entwicklung Heikos, seiner Familie und seinen Freunden in den letzten 15 Jahren erzählt. Da musste ich beim Lesen schon etwas aufpassen, sonst konnte ich die Zeit nicht richtig zuordnen. Diese Vergangenheit war nicht besonders schön, die Freundschaften waren schon die Höhepunkte. Diese Beziehungen wurden auch durch den Tod eines der Kumpels verstärkt. Die Verknüpfung der Zeit- und Erzählebenen ist meiner Ansicht nach gut geglückt.
Sprache
Winkler hat vor allem mit der Sprache gespielt. Sie ist dem Umfeld angemessen, ich habe viele neue Wörter gelernt. Zum Beispiel:
Klotten – Kleidung
Natzen – Neonazis
Gesichtsbuch – Facebook
Wumpe – egal
Kanne – Biergefäß
Manchmal ging mir dieses Sprachspiel etwas zu weit. Zum Beispiel ein Absatz über die Beschaffenheit der eigenen Exkremente war für mich einfach überflüssig.
Doch Winkler schaffte es trotzdem manchmal mit diesem Wortschatz so etwas wie Poesie aufflackern zu lassen:
Die Hitze der Tage ist so schwer und drückend, dass sie nachts einfach zu Boden kracht und bis zum nächsten Morgen nur daliegt, nur um dann wieder so richtig loszulegen.
Was mich dieses Buch gelehrt hat
- wie es in einem solchen Schläger aussehen könnte.
- dass die Mitglieder eines Schlägertrupps nicht unbedingt auch bildungsfrei sind.
- Hools sehen sich nicht mit politischen Schlägertrupps (speziell Neonazis) auf einer Stufe, sondern darüber
- jemand, der quer durch Deutschland fährt um sich mit anderen zu schlagen, kann Abscheu vor Hundekämpfen und den dort beteiligten Menschen empfinden „Das ist der wirkliche Bodensatz der Gesellschaft.“
- manchen Menschen geht Freundschaft über alles
- eine Schlägergruppe kann eine Familie ersetzen
- auch ein Hool kann Liebeskummer haben
- ein Schlägertyp kann sich aufopfernd um seinen verletzten Freund kümmern
- ein Hool kann Zivildienst gemacht haben
Ich möchte diese Gruppierungen nicht in Schutz nehmen und kann dieses Verhalten nicht billigen und halte Hools nicht gerade für Stützen der Gesellschaft. Doch es ist für mich wichtig jetzt die verschiedenen Begriffe (Fan, Ultra, Hool) auseinanderhalten zu können und auch mal hinter die Gehirnschale und in die Hintergründe eines solchen Menschen zu blicken. Auch wenn Heiko eine Fiktion des Autors ist.
Der Autor
Hool ist der Debütroman von Phillip Winkler. Er kam damit auf Anhieb auf die Shortlist des deutschen Buchpreises in 2016 und gewann den Aspekte Literaturpreis.
Winkler wurde 1986 geboren und wuchs bei Hannover auf und ist dem dortigen Fußballverein auch als Fan zugetan. Er studierte kreatives Schreiben in Hildesheim. Einer seiner Professoren war Hanns-Josef Ortheil
Wenn ich lese spielt sich oft ein Film vor meinem inneren Auge ab. Während ich dieses Buch las, sah Heiko auch genauso aus wie Winkler, den ich bei einer Lesung erleben konnte. Obwohl er immer glaubhaft beteuert nicht zu dieser Szene zu gehören.
Fußball und ich
Für Fußball habe ich nichts übrig, trotzdem wird mein Leben zum Teil davon bestimmt. Mein Mann ist Fan eines Fußballclubs vom Niederrhein, im Besitz einer Dauerkarte und lässt sich von fast nichts davon abbringen die Heimspiele im Stadion und die Auswärtsspiele auf dem Fernseher/Tablet/Radio/Teletext (gerne gleichzeitig) zu verfolgen. Die Szene im Buch, in der eine Auslosung von Spielpaarungen live im Fernsehen gesehen wird ist mir hier auch nicht unbekannt. Kontakt zur Ultra- oder Hooligan-Szene hat er nicht.
Fazit
Ein Buch über eine recht unbekannte Szene in Deutschland, da sie sich im Geheimen abspielt. Ein ungewöhnlicher Roman über Aufbruch, Zusammenbruch, Hoffnung, Tod, Leben, Blut und einen jungen Mann, der nicht mehr weiß wo er hingehört.
Angaben zum Buch
Philipp Winkler
Hool
Aufbau Verlag
ISBN 978-3-351-03645-4
310 Seiten
Gebunden mit Schutzumschlag,
D: 19,95 €
Hallo Silvia,
von dem Buch habe ich schon öfter gehört. Das Thema interessiert mich, auch oder vielleicht auch gerade weil ich sonst keinen Bezug zu dieser Szene habe. Jetzt nach dem Lesen deiner Rezension habe ich noch mehr Lust auf das Buch.
LG
Julia
Hallo Julia,
Ich lese auch gerne Bücher über Szenarien, mit denen ich nichts zu tun habe. So kann ich ganz komfortabel meinen Horizont erweitern.
Grüße
Silvia
Huhu 🙂
Das Buch ist mir in letzter häufiger auf Facebook begegnet. Du hast es sehr gut beschrieben und es hört sich auch interessant an, aber ist wohl eher nichts für mich. Danke für deine Rezension!
LG Sonja
Liebe Sonja,
Wenn man nach einer gelesenen Rezension weiß, das ein Buch nichts für einen selbst ist, ist das auch ein gutes Ergebnis. Wir können ja leider nicht alles lesen.
Grüße
Silvia
Liebe Silvia,
an dieses Buch habe ich mich bisher nicht getraut. Es ist eines dieser Bücher, von denen ich schon sehr viele gute und überschwängliche Rezensionen gelesen habe und dennoch bin ich unsicher, ob es mich packen würde. Ich habe das Gefühl, dass ich das Buch bald kenne, wenn ich so mit -dazu Rezis lesen- weiter mache. 😀
Hab ein schönes Wochenende,
glg vom monerl
Liebe Monerl,
das Buch scheint nicht nach dir zu rufen. Dann lese es lieber nicht.
Es gibt sicher genügend andere Bücher, bei denen du im Vorfeld weniger unsicher bist.
Grüße
Silvia
Hallo Silvia,
ich habe den Autor mal in einem Interview gesehen und fand ich leider recht unsympathisch. Ich weiß, dass mich das eigentlich nicht beeinflussen sollte. Tut es aber und so habe ich beschlossen, dass ich dieses Buch nicht lesen werde. Deine Rezension ist aber super geschrieben und es hat Spaß gemacht, sie zu lesen.
LG
Yvonne
Hallo Silvia,
danke für die schöne Besprechung. Das Buch habe ich letztes Jahr auch gelesen. Mir hat es gut gefallen, leider bin ich noch nicht dazu gekommen eine Rezension zu schreiben. Möchte ich auf jeden Fall noch nachholen.
Liebe Grüße
Thomas
Hallo Thomas,
da bin ich mal gespannt, ob du das noch schaffst. Ich habe auch einen ganzen Stapel gelesener Bücher hier liegen, die noch besprechen wollte. Da muss ich mehr Disziplin bekommen und es immer direkt machen.
Grüße
Silvia