Mein erstes Blind-Date
Freitag, 23. September 2016
Nun bin ich schon fast 50 Jahre alt und hatte erst jetzt mein erstes Blind-Date. Mit einem Mann, der altersmässig mein Sohn sein könnte und mit ca. 80 anderen Menschen zusammen.
Was es damit auf sich hatte?
Ich war auf einer Blind-Date-Lesung des deutschen Buchpreises!
Die Veranstalter
Die Bücherstube St. Augustin hat sich beworben und bekam den Zuschlag. So kam es zu dieser Veranstaltung in den Räumen der Hochschul- und Kreisbibliothek Bonn-Rhein-Sieg mit Unterstützung des Generalanzeigers Bonn. Diese Allianz gibt es häufiger. Die Buchhandlung veranstaltet öfters Lesungen gemeinsam mit der Bibliothek. Diese hat eine eigene Reihe „Zu Gast auf dem Sofa.“
Das Ambiente
Allerdings ist das Sofa anscheinend zwei Sesseln gewichen. Die Moderatorin stellte sich leider nicht vor. Durch Recherchen auf der Webseite der Bibliothek konnte ich aber herausfinden, dass es sich um die stellvertretende Bibliotheksleiterin Susanne Kundmüller-Bianchini handelte. Sie machte ihre Sache gut und stellte versierte Fragen. Auch das Publikum konnte sich am Ende noch selbst an den Autor wenden. Nach der Veranstaltung gab es noch freie Getränke und die Möglichkeit sich in der Bibliothek umzusehen und in den Longlistbüchern zu blättern. Auch ein Verkaufstausch mit Hool fehlte nicht. Und das obwohl die Lesung vor dem offiziellen Verkaufsstart stattfand. Ich war sicher nicht zum letzten Mal bei einer Veranstaltung in diesen Räumen. Die Stimmung war nett und trotz der vielen Menschen fast familiär.
Das Publikum wartete gespannt: wer wird es sein? Wer wird gleich im Sessel Platz nehmen?
Ich hatte so ein Glück: es war Philipp Winkler. Warum mich das so gefreut hat? Am selben Tag habe ich von Lovelybooks die Nachricht bekommen, das ich sein Buch „Hool“ gewonnen habe. Ist das nicht ein schöner Zufall? Wie ihr seht hatte das Personal viel Spaß dabei sich als Fussballfans zu kleiden und für Fotos zu posieren:
Ich habe mich sehr gefreut, dass ein Debütautor auf der Longlist des deutschen Buchpreis steht.
Philipp Winkler
Winkler ist gerade 30 Jahre alt geworden und kann es kaum fassen sein eigenes Buch in den Händen zu halten. Das sei ein tolles Gefühl. Er studierte in Hildesheim (unter anderem bei Hans-Josef Ortheil) literarisches Schreiben. Bei einem Wettbewerb in Berlin fiel er einem Mitarbeiter einer Agentur auf, wurde noch auf dem Rückweg über Facebook kontaktiert und unter Vertrag genommen. Und dann „kam das alles dazwischen“. Der junge Mann kommt sehr natürlich und symphatisch rüber, wenn das größtenteils ältere Publikum vielleicht auch zweifelnd auf sein Outfit und die Frisur schaute.
Nervosität war ihm bei aller Lockerheit auch anzumerken. So gab es vor dem Vorlesen einen tiefen Seufzer.
Das Buch
Hool ist eine Abkürzung von Hooligan. In dem Buch geht es um einen jungen, perspektivlosen Mann, der in so einer Gruppe dabei ist. Seine Hool-Gruppe ist seine zweite Familie.
Hier ist eine Leseprobe.
Die weiteren Buchdaten:
Phillip Winkler: Hool, Aufbau Verlag, 978-3-351-03645-4, 310 Seiten, 19,95 € (gebundene Ausgabe)
Die Lesung
Winkler betonte, dass es kein „Günther Wallraff-Bericht“ sei. Er hat zwar lange recherchiert, ist aber nie selbst als Hooligan aktiv gewesen. Er hat zwar schon mal mit dem Gedanken, sich einer Gruppe anzuschließen gespielt, aber es sei sehr schwer Zugang zu finden. Außerdem muss man dann körperlich sehr fit sein und im Fitnessstudio, welche für ihn ein “Nicht-Ort“ sei, trainieren. Und das kam für ihn gar nicht in Frage.
Winkler las zwei Teile, wobei vor allem der Erste recht spannend war. Die Hools trafen sich nämlich mit einer anderen Gruppe irgendwo im Wald um sich zu prügeln. Diese Schlägereien gehen übrigens laut Winkler äußerst zivilisiert zu. Sie hätten kompetitiven, sportlichen Charakter, unterliegen Regeln, werden von Verhandlungen und intensiven Planungen begleitet und per Kamera dokumentiert.
Erstaunlich. Ich hätte das nie als Sport betrachtet. Doch für die Hooligans ist es genau das: ein Hobby, ein Sport. Wenn man abends in der Kneipe auf einen Gegner trifft, trinkt man ein Bier miteinander. Nur mit einigen Gruppen verbindet man eine tiefe Feindschaft, die oft von der Beziehung der verehrten Fußballvereine abhängt.
Begriffsklarheit
Wichtig sei es auch Begriffe in dieser Welt nicht zu vermischen. Hooligans wären nicht den „Ultras“ gleichzusetzen. Im Stadion sind die Angehörigen einer Hooligangruppe „normale“ Fans. Diese Begriffe würden auch von der Presse oft nicht richtig genutzt. In den Gruppen geht es nicht um Gewalt, sondern um die Kameradschaft und Verbundenheit untereinander. So ergeht es auch Kolbe, dem Hauptprotagonist im Buch „Hool“. In Deutschland ist Hooliganismus auch eine reine Männerangelegenheit. In anderen, vor allem osteuropäischen Ländern gibt es auch reine Frauenkampfgruppen. Dort ist das wohl auch wesentlich militärischer organisiert, wie kleine Armeen.
Bisherige Werke
Hool ist Winklers erster Roman. Und zwar auch wirklich sein allererster. Er hat nicht, wie einige andere Kollegen schon einige Jugendsünden tief hinten in der Schreibtischschublade liegen. Seine ersten Kurzgeschichten hat er extra für die Bewerbung auf den Studienplatz geschrieben. Aber dort diesen Umstand natürlich nicht verraten.
Allerdings hat er als Kind, in einem langweiligen, verregneten Sommerurlaub, ein ganzes Heft mit fiktiven Fußballstatistiken gefüllt. Wir würden ja nicht glauben, welche Kreativität das benötigt!
Inzwischen wurden auch einzelne Kurzgeschichten von ihm veröffentlicht und auch schon Preise gewonnen und Stipendien erhalten. Hool steht nicht nur auf der Auswahlliste für den deutschen Buchpreis, sondern auch auf der Liste des Aspekte-Literatur-Preis.
Der zweite Roman ist schon in Arbeit, wobei er momentan kaum dazu kommt, wegen der vielen Termine. Jetzt, wo das Buch auf der Shortlist ist, werden die Termine sicher nicht weniger. Er freut sich auf die Arbeit an seinem nächsten Buch. Zum Inhalt gab er nur einen Begriff an: „Transhumanismus“.
Ideen für das 3. und 4. hat er auch schon im Kopf. Allerdings kann es noch etwas dauern, bis er sein nächstes Buch in Händen hält: an Hool hat er insgesamt fast fünf Jahre gearbeitet, wobei er ein halbes Jahr nur recherchiert hat.
Wenn er schreibt, dann in einem Atelier. Ihm ist es wichtig einen Weg zur Arbeit zu haben, Arbeit und wohnen zu trennen. Durch den Vorschuss auf Hool hat er auch die Möglichkeit sich auf diese Arbeit zu konzentrieren. Auch Stipendien sind für Autoren enorm wichtig, weil es nicht so einfach sei, vom Schreiben zu leben. Er konnte aber aus seinem Studienjahrgang noch ein paar Namen nennen, die auch schon veröffentlicht haben.
Titel
Hool war auch schon der Arbeitstitel und das ist er auch geblieben. Der Verlag hat sich schnell daran gewöhnt. Denn Titel, Cover, Ausstattung wird größtenteils durch den Verlag bestimmt. Sein Lektor wäre schon mal genervt gewesen, weil Winkler sich stark einmischte und überall mitreden wollte. Das würden nicht alle Autoren so intensiv einfordern.
Lesen!
Auf die Frage, ob es für den perspektivlose Heiko Kolbe Hoffnung gibt, antwortete Winkler „Das muss man schon selber lesen.“ In Ordnung. Dann mache ich das mal!
Fazit zum Bilnd-Date
Ich hoffe sehr, dass sich für mich mal wieder die Möglickeit zu einer Blind-Date-Lesung bietet. Dadurch erhält der Abend eine ziemliche Spannung. Auch werde ich sicher nochmal eine Lesung der Bibliothek in St. Augustin besuchen, zum Beispiel wird Margriet de Moor im November zu Gast sein. Die Bücherstube in St. Augustin hat auch ein interessantes eigenes Programm. So wird Sylvie Schenk dort im Oktober ihr Buch „Schnell dein Leben“ vorstellen.
Ich muss zugeben, ganz gezielt wäre ich sicher nicht zu einer Lesung von Philipp Winkler gegangen, denn der Autor und auch das Buch sind mir bisher noch überhaupt nicht aufgefallen. Okay, die Schuhe-Socken-Kombi wäre mir vielleicht schon in Erinnerung geblieben, ich schätze, der junge Mann fährt viel mit dem Fahrrad 🙂
Das Thema Hooligans klingt auch ziemlich interessant. In den Hooligan-Gruppen scheint es doch anders zuzugehen, als ich das angenommen habe. Ich bin gespannt, was Du nach dem Lesen des Buches zu berichten hast, das Buch werde ich auf jeden Fall im Auge behalten.
Danke für den tollen Blind-Date-Lesungsbericht.
LG Gabi
Und ich werde auf jeden Fall eine Besprechung dazu veröffentlichen. Fragt sich nur wann…
Hui, das klingt ja sehr spannend. Hatte schon von diesem ominösen „Hool“ gehört, mich aber bis jetzt noch nicht näher damit beschäftigt. Das stand noch auf meiner To-Do-Liste. Und jetzt hatte ich quasi auch ein Blind Date mit dem Buch, als ich auf deinen spannenden Post Titel klickte und dann zufällig genau bei Hool gelandet bin. Witzig. Aber auf jeden Fall ein sehr schöner Beitrag und toll geschrieben.
Liebe Grüße
Danke. Da mein Mann engagierter Fußballfans ist, hätte mich das Buch sowieso interessiert. Ich hätte nur gewartet, bis er es sich kauft. So habe ich das Erstleserecht!
Danke für den schönen Bericht. Die Bücher scheinen ja auf dem Weg zu uns zu sein, dann können wir uns bald eine eigene Meinung bilden. Deine Lesung scheint auf jeden Fall interessanter gewesen zu sein als die meinige mit Connie Palmen, dort gab es nur zwei bis drei Nachfragen des Moderators, Lesung von Anfang und Ende des Romans und das war’s, da hatte ich mir mehr erwartet.
Von einer Lesung erwarte ich auch mehr. Schade. Ich hätte mich Stundenlang über das neue Buch von Palmen unterhalten können.
Ein interessanter Bericht über einen Autor und Buch, das ich auch im Auge habe. Leider habe ich bei LB nicht gewonnen, dir aber Herzlichen Glückwunsch. Ich werde das weiter verfolgen, denn ich bin inzwischen auch bei LB und ich habe mir nun doch einen eigenen Bücherblog angelegt, s. die Verlinkung.
(Ich bin die Ingrid von ‚Kunterbunt‘, die ihr mal wegen einer Teilnahme an der New-York-Blogrunde gefragt hatte).
Dass Winkler bei Ortheil (von dem ich sehr viel halte) studiert hat, spricht noch einmal mehr für ihn.
LG, Ingrid
Danke. Das Netz ist klein, die netten Menschen trifft man immer wieder!
Guten Morgen,
Danke für den spannenden Bericht. Ich weiß nicht, ob ich zu einer Blind-Date-Lesung gegangen wäre, aber eigentlich müsste man viel öfter über seinen Schatten springen und einfach auch mal neue Autoren ausprobieren. Dass du nun gerade auf einen Autor getroffen bist, dessen Buch du in Händen hälst und lesen willst, war da natürlich ein Glücksfall.
LG
Yvonne
Ja, das war echt Glück! Und zum Blind-Date ( wenn es eine Lesung ist) würde ich jederzeit wieder gehen. Es ist befreiend ohne Erwartungshaltung auf den Autor zu treffen.