[Rezension] Fünf Tage in Paris
Sonntag, 9. Juni 2019

Tatiana de Rosnay
Ich bin wirklich untröstlich. Eine meiner hoch geschätzten Autorinnen bringt ein neues Buch mit einem tollen Cover, aber einem etwas nichtssagenden Titel („Fünf Tage in Paris“) heraus und ich bekomme es nur durch Zufall mit. Das geht doch gar nicht, oder?
Ihre alten Bücher haben feste Plätze im Regal, aber seit wir den Blog haben, gab es kein Buch mehr von ihr. Dachte ich zumindest. Ich habe nämlich recherchiert und das letzte ihrer Bücher habe ich glatt verpasst. Wie schade! Auf dem Bild seht ihr alle meine Bücher von ihr. Ihr berühmtestes „Sarahs Schlüssel“ habe ich leider nicht gefunden. Wem habe ich es wohl geliehen und nie zurückbekommen?

„Fünf Tage in Paris“ spielt – wie der Titel vermuten lässt – in Paris. Es ist Januar. Die Familie Malegarde trifft sich anlässlich des 70. Geburtstags des Vaters. Sohn Linden kommt aus Amerika, Tochter Tilia aus London, die Eltern aus Südfrankreich.
Sie haben sich eine schlechte Zeit ausgesucht. In Paris regnet es seit Tagen, die Seine steigt höher und höher und die Behörden warnen bereits vor einem Hochwasser. Noch nimmt es die Familie Malegarde gelassen, steigen sie doch in einem hochwassersicheren Hotel ab. Dass die geplanten Unternehmungen aufgrund des Regens teilweise ausfallen müssen, nehmen sie hin. Echte Sorgen machen sie sich nicht. So schlimm kann es ja nicht werden. Als sie am Abend in einem Restaurant essen, erleidet Vater Paul einen Schlaganfall und kommt ins Krankenhaus. Dieses liegt im hochwassergefährdeten Gebiet.

Der Regen hört einfach nicht auf. Und es kommt wie erwartet, Paris erlebt eine Überschwemmung wie seit 1910 nicht mehr. Es kommt zur Katastrophe. Die Seine steigt über die Ufer, die Metro wird geflutet, es gibt keinen Strom mehr und viele Häuser müssen evakuiert werden. Es kommt zu Plünderungen, die Behörden sind überfordert und Polizei und Soldaten sind im Dauereinsatz.
Naturkatastrophe = Familienkatastrophe
Auch für die Familie Malegarde bricht die Katastrophe herein. Dem Vater geht es sehr schlecht, die Mutter bekommt eine Lungenentzündung und ist nicht ansprechbar. Linden, der Sohn, muss sich alleine um alles kümmern, da seine Schwester aufgrund eines 15 Jahre zurückliegenden Unfalls nicht im Stande ist, ein Krankenhaus zu betreten.
Die Autorin hat mehrere Bücher gelesen, um dieses zu schreiben. Unter anderem das von Peter Wohlleben. Das Geheimnis der Bäume. Und: „Über Fotografie“ von Susan Sontag. Paul ist Mr. Treeman, der Baumexperte, der berühmt ist für sein Wissen über Bäume. Seine Leidenschaft gehört vor allem den Linden, weshalb er seinen Sohn Linden und seine Tochter Tilia (lateinisch für Linde) getauft hat.
Ich liebe Fotografen als Protagonisten
Linden ist ein hoch angesehener Fotograf, der für das Familientreffen nur eine alte analoge Leica mit nach Paris genommen hat. Damit dokumentiert er die Katastrophe von Paris. Rosnay hat ein Talent Fotos zu beschreiben, die es gar nicht gibt.
Die Situation in der Stadt wird immer chaotischer. Es regnet weiter. Es werden Fragen gestellt. Warum wurde ein Krankenhaus in einem hochwassergefährdeten Gebiet gebaut? Wieso Wohnungen? Wieso hat man aus dem Hochwasser von 1910 nichts gelernt?
Die Tage der Familie Malegarde werden zu einem Albtraum. Jeder hat seit dem Schlaganfall des Vaters mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen. Gleichzeitig mit dem Wasser der Seine steigen auch die Krisen der Familie auf ein kritisches Niveau an. Linden muss dringend mit seinem Vater über seine Vergangenheit reden. Aber wie soll das gehen? Sein Vater ist zwar manchmal wach und aufmerksam, aber nicht in der Lage zu sprechen.
Hochaktuelle Themen
Hochaktuelle Themen werden in „Fünf Tage in Paris“ beschrieben. Klimakatastrophe, Katastrophentourismus, Sozialkompetenz, Traumata innerhalb der Familie, Homosexualtät, Alkoholismus und einiges mehr. Alles wunderbar verflochten in dieser Familiengeschichte im regnerischen Paris. Eng beschriebene 300 Seiten lassen das Buch zu einem echten Leseerlebnis werden. De Rosnay verzichtet fast komplett auf wörtliche Rede, was bei anderen Autoren häufig nicht immer leicht zu lesen ist. In diesem Buch fällt es quasi kaum auf. Die Parallelen der überschwemmten Stadt mit der von Problemen überhäuften Familie ist toll inszeniert. Mich hat Tatiana de Rosnay wieder einmal überzeugt. Es ist ein Buch, das nach der letzten Seite nicht aufhört, mich zu beschäftigen.
Wieso sind mir Linden eigentlich kein wirklicher Begriff? Darüber muss ich unbedingt weiter recherchieren. Auf meinem letzten Besuch auf einem Friedhof sind mir diese tollen Linden aufgefallen. Das Buch von Peter Wohlleben wollte ich mir schon langen mal ansehen und nun steht es ziemlich weit oben auf meiner Liste.

Bei einer Freundin stand das Buch „Über Fotografie“ im Regal. Jetzt liegt es hier bei mir. Obwohl ich mich sehr für Fotografie interessiere, war es mir bislang nicht aufgefallen.
Aber im Grunde besteht ja auch seine Arbeit darin, auf den richtigen Moment zu warten. Um nichts anderes geht es beim Fotografieren – den einen glücklichen Moment und die Kunst, dessen Magie in seinem Sucher einzufangen.
Der Starfotograf im Buch hat – wie sollte es anders sein – natürlich eine alte Leica. Ich habe mir inzwischen eine stattliche Sammlung alter Cameras zusammengesammelt. Aber eine Leica ist noch nicht darunter. So eine Kamera steht noch auf meiner Was-ich-in-meinem-Leben-gerne-noch-haben-möchte-Liste. Am liebsten eine alte und ein neue. Also falls ihr noch irgendwo eine alte wertlose rumliegen habt, ich hätte Interesse.
Fazit
„Fünf Tage in Paris“ ist das neuste Buch von Tatiana de Rosnay. Sie schreibt über das hochwassergeplagte Paris und eine Familie, die ausgerechnet zu dieser Zeit ein harmonisches kleines Familientreffen organisiert hat. So wie das Wasser der Seine immer weiter steigt, so treten auch alte Konflikte einzelner Familienmitglieder aus der Vergangenheit hervor.
Sehr gut geschrieben und sehr lesenswert, wenn man auf das romantische Paris verzichten kann.

Deine Besprechung hat mich sehr neugierig auf das Buch gemacht! Ich schreibe es gleich auf meinen Wunschzettel. Dankeschön ❤
Das freut mich! Hoffentlich gefällt es dir