Han Kang: Deine kalten Hände
Mittwoch, 5. Juni 2019
Rezension des Künstlerromans der Südkoreanerin
Von Han Kang wurde inzwischen ein drittes Buch ins Deutsche übersetzt. Nach Die Vegetarierin und Menschenwerk ist seit Anfang des Jahres Deine kalten Hände zu lesen. Dabei handelt es sich nicht um den neuesten Roman der Südkoreanerin, das Original wurde bereits 2002 in Südkorea veröffentlicht. Die Vegetarierin hat Kang erst nach den kalten Händen geschrieben und brachte ihr den Man Booker Prize ein.
Zum Buch
Der Bildhauer Jang Unhyong beschäftigt sich mit Gipsabdrücken von Körperteilen lebender Menschen. Als er die dickleibige L. (die meisten Namen sind nur durch den Anfangsbuchstaben gekennzeichnet) kennenlernt ist er von ihren Händen so fasziniert, dass er sie bittet ihm Modell zu stehen. L. steht wegen ihrer äußerlichen Erscheinung normalerweise nicht im Fokus des Interesses und ist anfangs sehr misstrauisch. Doch langsam öffnet sie sich dem jungen Künstler. Sie beginnen eine Beziehung, die von den psychischen Problemen vor allem von L. geprägt ist. Deren Entwicklung, sowohl seelisch und auch körperlich hat auch starke Auswirkungen auf den sensiblen Künstler.
Das Leben und Wirken von Jang Unyhong ist in eine Rahmenhandlung um die Autorin H. eingebettet. Diese war mit dem Mann schon in Kontakt. Als dieser spurlos verschwindet, bekommt sie eine Nachricht von dessen Schwester mit der Bitte um Hilfe.
Lesung mit Han Kang
Ich hatte das Glück die Autorin bei einer Lesung in Köln im Mai 2019 live erleben zu können. Sie betonte dabei, dass die Schriftstellerin H. aus der Rahmenhandlung durchaus Ähnlichkeiten mit ihr hat, trotzdem ist die ganze Geschichte fiktiv. Auf die Idee zum Roman kam sie aber durch eine Ausstellung eines koranischen Lifecasting-Künstlers. Mit diesem nahm sie Kontakt auf, ließ sich die Arbeitsweise zeigen und war von diesen lebensechten Kunstwerken fasziniert. Der Roman entstand aber erst einige Jahre nach diesem Kontakt.
Im Gespräch mit dem Moderator gab es auch zu den anderen beiden in Deutschland erschienenen Romanen interessante Interpretationsansätze zu hören. Kang las auch ein paar Seiten auf koreanisch vor, es hörte sich ein wenig an wie finnisch.
Sie betonte die feministischen Inhalte ihrer Bücher und versucht mit den Romanen auf die Situation der Frauen in ihrem Heimatland aufmerksam zu machen. So sind zum Beispiel die Gesetzte, in denen Abtreibung kategorisch verboten wurde, erst dieses Jahr gelockert worden. Ein großer Erfolg der südkoreanischen Frauenbewegung.
Lifecasting
Hierbei handelt es sich um eine Form der Bildhauerei. Ein Modell, zum Beispiel ein Körperteil, wird mit Gips (zumindest der Künstler im Buch benutzt Gips um den Abdruck zu erstellen) umschlossen und vorsichtig wieder abgelöst, sobald dieser trocken ist. Diese entstandene Form kann wiederum mit flüssigem Gips ausgegossen werden um ein Abbild des Modells zu erhalten. Ähnliches gibt es auch mit anderen Materialien. Jang Unhyong im Roman benutzt Gips. Dadurch werden die entstandenen Werke recht leicht, aber auch sehr zerbrechlich. Die entstandenen Skulpturen zeichnen sich durch eine hohe Detailgenauigkeit aus. Darauf wird im Buch mehrmals eingegangen. Sogar die Poren der Haut, Unregelmäßigkeiten an den Nägeln und ähnliches sind danach gut zu erkennen.
Kunst
Kunst ist immer wieder ein Thema in Kangs Romanen. Sie möchte gerne darstellen, dass Schönheit nicht nur nach allgemeinen Stereotypen beurteilt werden sollte. So wie auch in diesem Buch der Künstler die Schönheit der Frau, die nicht den geläufigen Schönheitsidealen entspricht, erkennt. Dieser Künstler sucht im Buch nach Schönheit und Wahrheit, Liebe und Schmerz.
In der Kindheit stellte Jang Unyhong bereits fest, dass viele Menschen (zum Beispiel seine Mutter) immer eine Maske tragen, die nur in seltenen Fällen verrutscht. Wer zeigt überhaupt sein wahres Gesicht? Dieses Thema kommt vor allem in einer weiteren Hauptfigur im Buch zur Geltung. Es handelt sich hierbei um eine Frau, die den Schönheitsstereotypen vollkommen entspricht, aber hinter dieser Hülle auch in Abgründe blicken lässt.
Ich wollte den Menschen die verletzliche Hülle abziehen, um ihr Inneres zu sehen.
Han Kang erzählte, dass sie als Kind gerne Tierdokumentationen ansah. Vor allem von Tieren, wie Insekten oder Reptilien, die andere eher als eklig empfanden. So hat sie sich bereits als Kind schon gefragt: Was ist eigentlich Schönheit? Was macht sie aus? Wir kennen ja auch das Sprichwort „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“.
Körper
Alle Hauptprotagonisten im Buch haben körperliche Blessuren. Nicht nur ihr Körper, sondern auch die Persönlichkeit werden durch diese Narben geprägt. So trägt zum Beispiel L. später durch die Bulimie eine typische Narbe an der Hand an der Haut zwischen Zeigefinger und Daumen.
Ihre Hände waren immer noch weiß, weich und rund. Aber ich hatte das Gefühl, dass die Narbe diese Weichheit aufriss und L. unbemerkt ausbluten ließ. Gerade als wäre ihre Seele, ihre zarte Langsamkeit und Vornehmheit zerstört.
Auch im Interview im laufe der Lesung bestätigt Kang, dass Körperlichkeit für sie ein wichtiges Thema ist. Sie erklärte, dass die seelischen Zustände der Menschen in ihren Büchern in die Körper umgesetzt und somit nach außen deutlich werden. Sie sagte, die Menschen in ihrem Buch kämpfen mit sich selbst, sie sind zwar Außenseiter, wollen aber die Welt umarmen. Die daraus entstehenden Widersprüche sind immer wieder Themen in ihren Büchern.
Fazit
Dieser Roman ist nicht so weitgehend wie zum Beispiel Die Vegetarierin. Er bietet meiner Ansicht nach einen guten Einstieg in das Werk dieser interessanten Autorin. Trotzdem bietet auch dieses Buch viel Stoff für eine Diskussion in einem Lesekreis und brachte mich dazu, mich mal wieder mit darstellender Kunst und dem Begriff von Schönheit auseinanderzusetzen.
Liebe Silvia,
das ist ein toller Beitrag! Mir gefällt sehr gut, wie du Buch und Lesung vereinst und so vorstellst. Oftmals frage ich mich, was der Autor sich genau bei seinem Buch gedacht hat. Manchmal gibt es mehrere Interpretationsmöglichkeiten, doch die des Autors interessiert mich eigentlich immer.
„Die Vegetarierin“ hab ich gelesen und war total fasziniert vom Buch. „Menschenwerk“ habe ich gelesen und erstmal abgebrochen. Es war irgendwie damals nicht die richtige Zeit für mich und das Buch. An „Deine kalten Hände“ traue ich mich nicht ran. Hab das Gefühl, er würde mir nicht gefallen. Deinen Beitrag aber habe ich sehr gerne gelesen.
GlG, monerl
Hallo Monerl,
Es ist auch wichtig zu erkennen, welche Bücher zu dir passen und welche nicht.
Danke für dein Lob.
Viele liebe Grüße
Silvia