Nachlese: Bunte Mischung
Donnerstag, 10. Mai 2018
Kurzrezensionen
Wieder stelle ich fünf Bücher in Kurzform vor. Es geht um eine Wanderarbeiterin, Menschenhändler, den 30jährigen Krieg, die verlorene Generation in Spanien und einen Aufstand in Südkorea.
Folgende Bücher sind dabei:
Lila von Marilynne Robinson
Kaltes Land von Norbert Horst
Tyll von Daniel Kehlmann
Das Kleid meiner Mutter von Anna Katharina Hahn
Menschenwerk von Han Kang
Marilynne Robinson: Lila
Eine Wanderarbeiterin strandet am Rande des Ortes Gilead. Der gütige Pfarrer des Ortes sorgt dafür, dass sie mit Hilfsarbeiten ihr Auskommen findet. Doch für Lila ist es nicht so einfach anzukommen und zu vertrauen. Aus der Sicht und mit den Worten einer sehr einfachen Frau wird ihre Welt erklärt. Eine Welt, in der arme Menschen von Anfang an verloren haben. Ihr Schicksal macht sehr betroffen. Der Roman spielt gegen Ende des 2. Weltkriegs irgendwo auf dem Land in den USA. Lila erzählt auch uns Lesern nur sehr zögerlich mit einigen Zeitsprüngen, wie es ihr im bisherigen Leben ergangen ist. Ich hatte Anfangs Probleme mit der Sprache, konnte mich aber immer mehr damit anfreunden und bin sehr beeindruckt von dieser Art des Erzählens. Leider habe ich zu spät verstanden, dass es sich um das Ende einer Trilogie handelt. Ich werde sie jetzt von hinten aufrollen.
Norbert Horst: Kaltes Land
Horst ist selbst Kriminalkommissar. So ist die beschriebene Arbeitsweise authentisch. Das kommt mir, als erfahrener Tatortseherin, manchmal seltsam vor. Es werden viele Begriffe aus dem richtigen Polizeijargon verwendet, Logikfehler kommen bei ihm nicht vor.
Die Welt, die Horst in seinen Büchern zeichnet, ist nicht schön. Durch die Realitätsnähe kommen mir als Leserin diese Menschenhändler im Buch sehr nahe. Die Ausweglosigkeit der Opfer und die Lücken in unserem System, die schonungslos von skrupellosen Verbrechern ausgenutzt werden ist bitter. Hier sind die Opfer besonders hilflos: es handelt sich um unbegleitete, jugendliche Flüchtlinge. Durch verschiedenen Perspektiven und einem leichten Zeitversatz wird ein intensiver Spannungsbogen hergestellt. Tolle Serie um Steiger, einem Dortmunder Kommissar aus der dortigen Einsatztruppe. Kaltes Land ist der dritte Band dieser Serie.
Daniel Kehlmann: Tyll
Kehlmann zeichnet hier ein Bild aus dem Alltag in Deutschland während des dreißigjährigen Krieges. Um allem den Narrenspiegel vorhalten zu können, versetzt er dazu den historischen Till Eulenspiegel in diese Zeit. Der Leser lernt das einfache Leben auf einem Dorf, die Inquisition, Kämpfe, das Schicksal eines Königs und einer Königin kennen. Wir nehmen an komplizierten politischen Verhandlungen teil, gehen auf Drachenjagd, werden von Tills Späßen zum Lachen gebracht und lesen fassungslos von dem damaligen Stand der Wissenschaft. Ein kurzweiliger, unterhaltsamer historischer Roman, der mich dazu angeregt hat, einiges über diesen langen, brutalen Krieg nachzulesen.
Anna Katharina Hahn: Das Kleid meiner Mutter
Eine junge Frau in Spanien gehört zu der verlorenen Generation. Viele, studierte junge Menschen sind arbeitslos und liegen ihren Eltern auf der Tasche. Es gibt einfach nicht genug Jobs. Anita hat aber immerhin ihre Freunde. Ihr Bruder, Germanist, lebt in Berlin und hat auch dort keinen adäquaten Job gefunden. Madrid ist im Sommer sehr heiß, die Stimmung dort ebenfalls, viele junge Menschen gehen 2012 auf die Straße und Demonstrieren gegen die Perspektivlosigkeit.
Dann liegen Anitas Eltern plötzlich tot auf dem Bett. Sie schlüpft nach und nach in die Rolle ihrer Mutter, kommt einigen Geheimnissen auf die Spur, während die Eltern immer weiter einschrumpfen und zu Puppen werden.
Hahn hat eine tolle Sprache, aber verstanden habe ich diesen Roman nicht. Der Rollenwechsel durch den Kleidungswechsel gefiel mir sehr gut, auch die Beschreibung der Lage der jungen Menschen, aber warum die Eltern dafür sterben und zu Püppchen werden mussten, konnte mir auch der Lesekreis nicht erläutern.
Verlagsseite
Han Kang: Menschenwerk
Ein ganz anderes Buch als der Vorgänger. Thema ist das Gwangju Massaker 1980 in Südkorea. Kang beschreibt das Massaker selbst und die Folgen auch viele Jahre später auf einer sehr menschlichen Ebene. Tote, Angehörige, Teilnehmer kommen zu Wort. Mir ging das Buch recht nahe. Die Verhältnisse sind auch in Südkorea für viele Menschen dort kein Zuckerschlecken. Das Buch eröffnet mir einen Blick in ein mir fast unbekanntes Land und die Mentalität der Bewohner und die Qual mit der Vergangenheit und der Gegenwart umzugehen. Der Roman zeigt auch das Leid von Menschen, die sich für eine gerechte Sache opfern. Hier muss ich unbedingt ein Zitat bringen:
Ich kämpfe, jeden Tag. Ich kämpfe allein. Ich kämpfe gegen die Schande überlebt zu haben und immer noch am Leben zu sein. Ich kämpfe gegen die Tatsache, dass ich ein Mensch bin. Ich kämpfe gegen die Vorstellung, nur mein Tod könne mich von all dem befreien. Und Sie, ebenso ein Mensch wie ich, welche Antworten können Sie mir geben?
Ein Buch, dass sich flüssig liest und viele Denkanstöße gibt. Die Vegetarierin hat mich zwar auch zum Nachdenken gebracht, aber eher, weil ich das Buch einfach nicht verstanden habe.
Jedes dieser Bücher hätte eine vollständige Rezension verdient. Jedes dieser Bücher verdient viele Leser. Doch sie sind sehr unterschiedlich, wie auch der Geschmack von Lesern. Ich hoffe, ich konnte euch ein paar Tipps und einen kurzen Einblick in diese Romane geben.
Hi Silvia,
interessantes Konzept mit den Kurzrezensionen! Ich lese die meistens eher nicht, weil ich lieber lange Rezensionen zu Büchern mag, aber im Zuge des LitNetzwerks bin ich hier gelandet.
Aber so habe ich neben Tyll (das war der Roman, der mich interessierte) gleich noch vier weitere Romane kennen gelernt und das ist ja eigentlich auch ganz spannend! 🙂
Viele Grüße
Jennifer
Hallo Jennifer,
schön, dass dir die langen Besprechungen gefallen. Nach meinen Erfahrungen werden die kurzen lieber gelesen.
Ich hoffe, du kontest mit meinen Meinungsbildern etwas anfangen.
Liebe Grüße
Silvia