Zaimoglu: Evangelio – Rezension
Dienstag, 31. Oktober 2017
Feridun Zaimoglu: Evangelio, ein Luther-roman
Dieser Roman spielt in der Zeit, in der Luther auf der Wartburg in einer Art Schutzhaft lebte. Geschrieben aus der Perspektive eines seiner Bewacher: Landsknecht Burkhard, katholischer Söldner.
Burkhardt und Luther geraten aneinander, sie verbrüdern sich und driften wieder auseinander. Beide gottesfürchtig, doch auf unterschiedliche Weise. Der Widerstreit in Burkhardt zwischen Pflichterfüllung, die im Schutz Luthers besteht und seinem Widerwillen gegen den „Ketzer“ ist spannend und einleuchtend erzählt.
Zeitreise
Geschrieben in „mittelalterlicher“ Sprache (bitte Kommentare beachten!). Ganz ehrlich: nicht ganz einfach zu lesen. Zaimoglu versuchte in allem authentisch zu bleiben. Nicht nur in der Sprache, sondern auch in den Beschreibungen, dem Setting, der Kleidung, dem Essen, den Flüchen. So erlebte ich während des Lesens eine Zeitreise, die mich 500 Jahre in die Vergangenheit katapultierte. Zaimoglu stellt eine harte Zeit sehr anschaulich dar. Ein sehr ungewöhnliches Bild des Reformators ist das Ergebnis.
Wenn ihr könnt, dann besucht eine Lesung. Der Zaimoglu trägt sein Werk wie mit einem Metrum versehen vor. Seine rauchige Stimme passt hervorragend zur Handlung. Immer wenn ich die Lektüre als anstrengend empfand, habe ich mir den Text selbst innerlich vorgetragen, dann wurde alles viel leichter, bildhafter. Zaimoglu erzählte auch, wie er versuchte sich die passende Sprache zu eigen zu machen, indem er sie auch im Alltag benutzte. Ein harte Prüfung für seine Umgebung.
Anschlag
Mein Exemplar des Buches ist im guten Zustand. Ich habe es nicht mit Klebeband an eine Tür geklebt. Mit diesem „Anschlag“, zum Schutz der Tür nicht mit Nägeln, sondern mit Klebeband befestigt, kennzeichnete der KiWi-Verlag bei der Buchpräsentation, zu der ich im Frühjahr eingeladen war, die Tür, durch die wir Gäste eintreten sollten. Eine schöne Idee, einen bildhaften Vergleich zu den Vorgängen vor 500 Jahren zu ziehen.
Zaimoglu
Für mich war es der erste Roman dieses Autors. Bei der Lesung wurde auch erläutert, dass jedes Buch von Zaimoglu anders sei als die anderen. Das macht mich sehr neugierig. In Evangelio geht Zaimoglu sprachlich 500 Jahre zurück. Für dieses Sprachexperiment wurde mit einem Platz auf der Longlist des deutschen Buchpreises belohnt.
Zaimoglu ist nicht nur Autor, sondern auch Maler, Journalist, Dramaturg und Drehbuchautor. Und seit 2016 hat er sogar eine Ehrenprofessur inne.
Auch bei Druckfrisch war der eigenwillige Autor zu Besuch:
Teufel
Luther wird in Evangelio als teufelsfürchtiger Antisemit dargestellt. Überhaupt fürchten alle Menschen in der Zeit zuerst mal den Teufel, und danach erst Gott. Aberglaube würden wir es heute nennen. Der Teufel manifestiert sich auch in allem, was sich nicht direkt erklären lässt: Rauch am Horizont, dunkle Schatten, Ratten, Menschen, die nicht der Norm entsprechen. Kein Wunder, das Luther von vielen „verteufelt“ wurde.
Das Weib
Und, man darf es nicht vergessen, hockt der Teufel im Weib schlechthin. Frauen sind hier nichts wert, allesamt Huren und/oder mit dem Teufel im Bunde.
Das Weib ist im Glauben weniger, keine Frauensperson ohne Teufel, keine, deren Bosheit alle Maße übertrifft.
Ich hole mal meinen Besen und weiche dem nächsten Scheiterhaufen aus…
Fazit
Ein Buch, das einige Mühe beim Lesen kostet. Der Aufwand hat sich für mich gelohnt, denn so eindringlich habe ich noch keine Schilderung dieser Zeit und dieses Mannes erfahren, der unsere Welt verändert hat.
Habt ihr auch passende Bücher jetzt im Lutherjahr gelesen? Welche? Und wie ist eure Einschätzung?
Buchinfo
EvangelioFeridun Zaimoglu352 Seiten ISBN 978-3-462-05010-3 |
„Geschrieben in mittelalterlicher Sprache.“ Tatsächlich? Hat Zaimoglu eine Handlung, die im 16. Jahrhundert spielt, in Mittelhochdeutsch geschrieben? Und ein Verlag hat das gedruckt? Glaub ich nicht.
Hallo Ali Baba,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ob das Mittelhochdeutsch ist kann ich nicht beurteilen, doch die Leseprobe gibt dir vielleicht einen Eindruck von dem, was ich mit mittelalterlicher Sprache meinte:
Viele Grüße
Silvia
Wäre ja auch seltsam, wenn es Mittelhochdeutsch wäre, da zur Zeit Luthers kein Mittelhochdeutsch mehr gesprochen wurde. Das Mittelalter endet spätestens 1500, manche Historiker trennen sogar noch die Renaissance davon ab und lassen das Mittelalter noch früher enden. Als Luther geboren wird, ist das Mittelalter jedenfalls längst vorbei, man nennt es Neuzeit, und die Umgangssprache, die Luther als Basis seiner Bibelübersetzung benutzt und damit eine neue Schriftsprache schafft, nennt sich daher auch Neuhochdeutsch.
Das Buch habe ich aber heute bestellt und bin sehr gespannt darauf. Ich gehe davon aus, dass Feridun Zaimoglu wusste, was er tat, und daher im extremsten Fall Frühneuhochdeutsch verwendet hat (der angegebene Link funktioniert bei mir am PC nicht).
Ulrich
Es wäre schön, wenn du dann hier notierst, um welches Deutsch es sich wirklich handelt.
Nach dem Link schaue ich auch noch.
Viel Spaß mit dem Buch
Silvia
Luther wurde 1483 geboren. Die gebräuchlichste Epochengrenze der Neuzeit ist das Ende der Reconquista, 1492. Von „längst vorbei“ kann daher kaum die Rede sein.
Über den Sprachstand Luthers kann man sich im Netz sehr leicht informieren. Einfach mal nach Luthers Bibelübersetzungen googeln und sich den Originaltext anschauen.
Zaimoglu schreibt im Gegensatz dazu ein ganz normales Standarddeutsch, von den meisten Leuten Hochdeutsch genannt, das er mit zahlreichen heute nicht oder nur wenig gebrauchten Wörtern durchsetzt.
HTH
Ich finde diese Unterhaltung echt spannend, weil ich davon echt keine Ahnung habe…
Ohne Dir zu nahe treten zu wollen, aber es wäre schon besser gewesen, wenn Du dir diese Ahnung vor der Besprechung des Buches verschafft hättest, oder?
Ist schon in Ordnung. Ich bin keine Germanistin, wollte nur erklären, dass die Sprache auf mich sehr altertümlich wirkt. Ich werde so etwas zukünftig in Anführungszeichen nehmen und hoffe, dass es dann auch für Fachkenner in Ordnung ist.
Hast du das Buch gelesen und kannst mir erklären wie man diese Sprache fachkundig benennt?
Hab ich oben schon geschrieben: Das ist keine besondere Sprachform, sondern einfach das ganz normale Standarddeutsch (Du sagst wahrscheinlich Hochdeutsch dazu) mit einer auffälligen Anzahl wenig benutzter, älterer Wörter angereichert. Schau Dir mal die Sprache von Grimmelshausen an; da hast Du tatsächlich eine eigene Sprachstufe, die allerdings noch 150 Jahre jünger ist als Luthers Deutsch. Zaimoglu erzeugt einfach nur einen altertümlichen Eindruck; das ist sprachhistorisch gesehen ein Fake.
Vielen Dank. Auf der Lesung hat er in mir den Eindruck erweckt, es wäre wissenschaftlich fundierter.
Was könnte ich direkt aus Luthers Zeit lesen?
Luthers Bibelübersetzung: http://www.zeno.org/Literatur/M/Luther,+Martin/Luther-Bibel+1545?hl=luther
Eigentlich sehr naheliegend. Danke!