Ausser sich: Eine gemeinsame Leserunde
Sonntag, 29. Oktober 2017
Außer sich: Sasha Marianna Salzmann
Und wieder haben Silvia und ich das gleiche Buch gelesen. Dieses Mal sogar gleichzeitig. Und ohne es vorher irgendwie zu planen. Bei einer Leserunde bei Lovelybooks haben wir uns unabhängig voneinander beworben und sind tatsächlich beide ausgelost worden. Eine Premiere für uns und gerade bei diesem Buch. Wir haben uns wahnsinnig gefreut!
Zum Zeitpunkt der Leserunde stand „Außer sich“ bereits auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2017.
Leider ist die Autorin nicht auserwählt worden, sie kann aber sehr stolz sein, dass ihr Debüt direkt unter die letzten 6 Bücher gekommen ist.
Inhalt
Istanbul 2016: Alissa sucht in der Stadt nach ihrem Zwillingsbruder Anton, der spurlos verschwunden ist. Lediglich eine unbeschriebene Postkarte trudelt in Deutschland ein, so dass Alissa ihren Bruder in der Türkei vermutet. Neben der Suche wird die Familiengeschichte der beiden aus Russland stammenden Geschwister erzählt. Angefangen bei den Urgroßeltern über die Großeltern wird die Lebensgeschichte der Eltern beleuchtet und der Leser erfährt immer mehr tragische Ereignisse aus dem Familienleben der beiden Geschwister. Die Themen sind vielfältig. Judenhass, Gewalt, Transsexualität, Migration. Sprachlich und inhaltlich ein sehr anspruchsvolles Buch.
Autorin
„Außer sich“ ist stark autobiografisch. Auch die Autorin ist jüdischer Herkunft, ist mit 10 Jahren von Russland nach Deutschland gekommen und kennt sich aus mit Migration, fehlenden Sprachkenntnissen. Das Buch hat sie in Istanbul geschrieben. Salzmann betont aber auch in Interviews, dass sie nicht „Ali“ ist.
Interview
Astrid: Ich habe mich wahnsinnig gefreut, das Buch gewonnen zu haben. Ich glaube, ohne die Leserunde hätte ich es nicht gelesen. Das Cover ist zwar wunderschön, aber den Titel konnte ich darauf immer nicht so recht lesen. Das hat mich etwas abgeschreckt. Du wolltest es unbedingt lesen, oder?
Silvia: Ja, „Außer sich“ stand auf der Shortliste des Deutschen Buchpreises und auch auf der Auswahlliste des Bloggerpreises von Das Debüt. Da ich diesen Winter bei der Jury mitmachen darf, lese ich zur Zeit bevorzugt Debütromane.
Cover
Astrid: Wann ist Dir aufgefallen, dass auf dem Cover zwei Gesichter sind? Auch Vorteile von gemeinsamem Lesen. Alleine hätte ich das wahrscheinlich gar nicht bemerkt.
Silvia: Von alleine ist mir das gar nicht aufgefallen. Ich habe nur eine Art Rorschachtestbild gesehen und das Motiv im Buch mehrmals entdeckt. Das Cover finde ich sehr schön und sehr passend. Hat dich dieses Buch denn aus deiner Leseflaute geholt?
Sogwirkung
Astrid: Es hat mich in einen Sog gezogen, das passiert mir nicht häufig. Ich bin diesem Buch unglaublich dankbar. Ich war sehr nah dran an einer Leseflaute. Mir fehlte immer häufiger die Lust zum Lesen, kein Buch konnte mich so richtig interessieren. Auch die favorisierten Bücher von anderen Bloggern begeisterten mich nicht mehr und nun hatte ich plötzlich wieder richtig Spaß. Was macht wohl den Reiz dieses Buches aus?
Silvia: Für mich die Identitätssuche. Bei Ali, bei Anton, bei ihren Vorfahren. Die Verbindung zwischen den verschiedenen Generationen in diesem Roman gefiel mir auch gut.
Astrid: Ja, die Beschreibung der Urgroßeltern und Großeltern hat mir wahnsinnig gut gefallen. Die Sprache der Autorin war gerade in diesen Abschnitten überwältigend. Aber ich glaube, diese Abschnitte waren auch für viele nicht so ganz einfach, weil es einfach sehr weit in die Geschichte des 20. Jahrhunderts zurückging. Wieviele Merkzettel hat dein Buch? Meins so viele wie lange kein anderes Buch.
Silvia: Ich denke ich habe ähnlich viele, ist für mich aber eher normal. Dieses Buch wird einen langen Nachhall in mir auslösen, da die Deutung meiner Meinung nach nicht eindeutig ist. Ich fühlte mich ein wenig an „Die Vegetarierin“ erinnert. Ein tolles Buch auch für Lesekreise. Dort werde ich es auf jeden Fall vorschlagen. Ich war sehr froh über die Leserunde, so war in verwirrten Momenten direkt ein Austausch möglich. Und Verwirrung habe ich schon gespürt, doch das macht für mich den Reiz des Buches aus. Was ist dein Lieblingszitat aus dem Buch?
Zitat
Astrid: Ich habe so viele ;-):
„Man tat alles, um das geliebte Sowjetland zu verlassen, man war sogar bereit, Jude zu werden“
„er konnte die hoffnung oft nur halb erfüllen, manchmal weniger als halb,
aber hoffnung ist ja nichts, was da ist, um erfüllt zu werden, sie erfüllt einen umsonst und kostet einen, so viel sie eben kostet“
„Wichtig ist vielleicht zu sagen,“ schrieb Schura in seinen Memoiren, „dass angstfrei immer noch nicht bedeutet, man ist mutig“
Die Autorin auf der Frankfurter Buchmesse
Astrid: So gerne hätten wir die Sasha Mariana Salzmann live erlebt, aber das ging leider dieses Jahr nicht. Zum Glück gibt es die Mediathek.
Salzmann in Frankfurt auf dem blauen Sofa
Fazit
Was ist Identität ist für mich die zentrale Frage von „Ausser sich“. Was macht uns selbst aus und als was sehen uns die anderen? Aussergewöhnliches Buch mit viel Platz für Reflektion und Diskussion. Es erzeugt einen langen Nachhall und lässt auf weitere Bücher von Sasha Mariana Salzmann hoffen.
Silvias Rezension bei Lovelybooks: Tolles Buch mit viel Diskussionsstoff
Astrids Rezension bei Lovelybooks: Mein Weg aus der Leseflaute
Wir freuen uns auf weitere Rezensionen und Meinungen zu diesem Buch. Tobias von Buchrevier konnte leider von diesem Buch nicht so begeistert werden wie wir. Was ist mit Euch? Wollt ihr das Buch lesen oder seid ihr eher etwas abgeschreckt?
BUCHDATEN
Sasha Marianna SalzmannAusser sichGebundenes Buch, Erschienen: 11.09.2017 366 Seiten ISBN: 978-3-518-42762-0 Verlag: Suhrkamp
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