Birgit Rabisch, ein Interview
Donnerstag, 12. Mai 2016
Birgit Rabisch ist eine erfahrene Autorin, deren Buch über Gentechnologie und Reproduktionsmedizin „Duplik Jonas 7“ es sogar in den Schulunterricht geschafft hat. Ihre Vita hat sie selbst hier zusammengefasst.
Durch den dieses Jahr im Verlag duotincta neu verlegten Roman „Die vier Liebeszeiten“ wurde ich auf diese Schriftstellerin aufmerksam. Dieses Buch und die dort vertretenen Denkansätze gefielen mir so gut, dass ich Birgit um ein Interview bat.
Die Fotos in diesem Artikel hat mir Birgit zur Verfügung gestellt. Das Copyright liegt bei Bernd Hans Martens.
Das Interview mit Birgit Rabisch
Kannst Du mir deine drei Lieblingsautoren nennen?
Dostojewski, Kafka und, um wenigstens eine zeitgenössische deutsche Autorin zu nennen, Juli Zeh
Was ist dein Lieblingsgedicht?
Theodor Storm: „Meeresstrand“
Wie viele Bücher besitzt du?
Ich besitze wenige Bücher, weil ich so viele lese. Was sich wie ein Widerspruch anhört, erklärt sich ganz einfach: Die 3-4 Bücher, die ich pro Woche lese, zu kaufen, gibt mein Budget nicht her. Aber zum Glück haben wir in Hamburg sehr gute Bücherhallen, wo ich meinen Lesehunger unbegrenzt stillen kann. Ein geschäftsschädigendes Verhalten für SchriftstellerInnen, ich weiß, aber das sind so die Widersprüche im Leben! Ich kann nur beteuern, dass ich mir Bücher, die mir viel bedeuten, dann doch kaufe und mir auch sehr gerne welche schenken lasse.
Hast du auch einen Stapel ungelesener Bücher?
Kein Buch entkommt mir lange ungelesen!
Eines der Themen, die in deiner Vita und in deinen Büchern immer wieder auftaucht, ist Emanzipation. Was glaubst du: wo stehen wir da jetzt in Deutschland?
Die Einschätzung hängt immer vom Vergleichsmaßstab ab. Wenn ich die Situation von Frauen heute bei uns mit der z.B. in Afghanistan vergleiche: hervorragend. Wenn ich sie mit der vor 100 Jahren bei uns vergleiche: ein großer Fortschritt. Aber wenn ich sie mit der der Männer hier und jetzt vergleiche, bleibt immer noch viel zu tun. Ein zentraler Punkt ist und bleibt die Frage der Kindererziehung. So lange die nicht von Mann und Frau zu gleichen Teilen geleistet wird, werden Frauen weiter benachteiligt sein. Manchmal scheint mir die Entwicklung sogar rückläufig gegenüber dem Stand der 70er Jahre. Ich hätte damals nicht gedacht, dass z.B. die Rollenstereotype in der Erziehung, statt weiter aufgebrochen zu werden, heute eher zementiert werden (z.B. durch die Werbung), so dass massenhaft rosa gewandete Prinzessinnen und schwerbewaffnete Superkrieger durch die Kinderzimmer geistern.
Ein anderes Thema, das sich für mich immer wieder in deinen Büchern zeigt, ist Naturwissenschaft. Biogenetik oder auch Astrophysik. Spricht da eine persönliche Sehnsucht aus deinen Büchern?
Weniger eine Sehnsucht als die Erkenntnis, dass unser Leben wesentlich von den Entwicklungen in den Naturwissenschaften geprägt ist. Ich habe mich in der Schulzeit überhaupt nicht dafür interessiert und bin sogar einmal mit einer Sechs in Mathe (mein Horrorfach!) sitzengeblieben. Mein Interesse ist eigentlich erst durch die Anti-Atom-Bewegung geweckt worden. Ich wollte nicht einfach irgendwo mitlaufen, sondern verstehen, was es mit der Atomkraft auf sich hat und ob sie wirklich so gefährlich ist. Also habe ich Bücher über Atomphysik gelesen und habe dann verstanden: ja, das ist verdammt gefährlich. Ebenso ist es mir mit der Biotechnologie gegangen. Als 1978 das erste „Retortenbaby“ geboren wurde und Forscher treuherzig verlautbarten, das diene nur dazu, unfruchtbaren Frauen zu einem Kind zu verhelfen, habe ich mich gefragt: Werden sie jetzt, wo sie zum ersten Mal Zugriff auf Embryonen in der Petri-Schale haben, die nicht auch für andere Zwecke nutzen wollen? Aus der intensiven Beschäftigung damit und mit der Möglichkeit des Klonens ist dann mein Roman „Duplik Jonas 7“ entstanden. Auch in weiteren Romanen habe ich versucht, spannende Geschichten zu schreiben, in denen konkrete Menschen sich mit Auswirkungen naturwissenschaftlicher Entwicklungen konfrontiert sehen. In „Die vier Liebeszeiten“ war es allerdings mehr meine Faszination für die Suche nach einer „zweiten Erde“ im Kosmos, die mich meine Hauptfigur Rena zur Astronomin machen ließ.
Auch deine Familiengeschichte hast du literarisch aufgearbeitet. Wie war es für dich mit „Die schwarze Rosa“ eher dunkle Seiten aufzudecken?
Ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen und habe sie als sehr warmherzigen und liebenswerten Menschen erlebt. Erkennen zu müssen, dass sie während der Weimarer Republik mit dem Organisator der „Schwarzen Reichswehr“ (einer illegalen paramilitärischen Organisation) verlobt war und ihren Bruder, der vermeintliche Verräter in der Truppe ermordet hat, unterstützte, war ein sehr schmerzlicher Prozess. Aber durch meine intensive Beschäftigung damit habe ich viel gelernt. „Die schwarze Rosa“ endet mit den Worten: „Mein familiärer Abgrund liegt … in der vermeintlich harmlosen Zeit der Weimarer Republik. Aus diesem Vorher ist das monströse Nachher entstanden. Wie, darüber glaube ich durch das Schreiben dieser Geschichte ein klein wenig mehr verstanden zu haben.“
Wie kam es zu dem Kontakt mit Duotincta und der Neuauflage deines Romans „Die vier Liebeszeiten“?
Ich habe den heutigen Verleger Jürgen Volk auf der Leipziger Buchmesse 2014 am Stand des Plöttner Verlages kennengelernt, wo mein Roman zuerst erschienen ist. Dort war er als Autor, weil bei Plöttner auch sein sehr lesenswertes Buch „Unbedingt – Van Gogh und Gauguin im gelben Haus“ verlegt wurde. Er war dann bei meiner Lesung aus „Die vier Liebeszeiten“ und schrieb darüber später im duotincta-Blog: „… nach der Lesung hatte ich mich in das Buch verliebt“. Er kam auch zu meiner Lesung im Buchhändlerkeller in Berlin und brachte noch einen Zuhörer mit: Michael Wallmeyer, heute der zweite duotincta-Verleger. Fehlt nur noch der dritte im Bunde: Ansgar Koeb. Die drei gründeten 2015 duotincta. Als der Plöttner-Verlag plötzlich in die Insolvenz ging, bot ich ihnen den Roman zur Neuveröffentlichung an und sie sagten sofort zu. Drei mutige Männer, die sich, unbekümmert um das Geschlechterstereotyp (s.o.!), dass nur Frauen Liebesromane schätzen, voller Enthusiasmus für den Roman einsetzen.
Hauke, die männliche Hauptperson, hat viel mit dir gemein. Hat es dir Spaß gemacht dein Leben mit seinem zu verweben?
Ja, das war sehr vergnüglich. Es ist ein Roman, in dem ich mich hemmungslos persönlicher Erlebnisse bedient habe, ohne dass es eine Autobiografie ist. Es ist eine untrennbare Mischung aus Fiktion und Fakten. Ich habe mein Leben als Anregungspool genommen, aus dem ich Figuren und Szenen für den Roman geschöpft habe. Nur als kleines Beispiel: Da ist die Szene, wo Hauke auf einem internationalen Festival etwas über den Zustand der Science-Fiktion in Deutschland erzählen soll. Er weiß nichts darüber, faselt nur irgendwas über seinen eigenen Roman – und die gewiefte Übersetzerin macht daraus im Französischen die gewünschte fundierte Analyse. So hat mich auch einmal ein Übersetzer gerettet und beim Schreiben fand ich, dass sich daraus eine sehr komische Szene gestalten lässt. Ähnliches gilt für vieles im Roman: Ich hätte nicht so über das Segeln, die Elbe und das Watt schreiben können, wenn ich nicht seit 34 Jahren mit meinem Mann in dem Revier segeln würde. Unser Jollenkreuzer Timpete wurde zum Vorbild für Renas und Haukes Rubiintje im Roman. Und ich hätte niemals so über eine langjährige Liebe schreiben können ohne das Leben mit meinem Mann.
Ich werde nächstes Jahr 50. Daher beschäftige ich mich oft in Gedanken und Gesprächen viel mit dem Herbst und Winter meines Lebens. Auf manche Dinge freue ich mich, vor anderen habe ich Angst. Hast Du Angst vor dem Alter?
Als ich um die 50 war, habe ich mir auch viele Gedanken um das Alter gemacht. Jetzt bin ich 63 und frage mich: Bin ich jetzt alt? Wann fängt dieses ominöse „Alter“ eigentlich an? In Wahrheit ist es ja ein kontinuierlicher Prozess, den aber jeder anders erlebt. Ich selbst genieße mein jetziges Lebensalter. Vieles ist einfacher geworden, weil ich mich selbst nicht mehr so wichtig nehme und weil mich viele Aufreger des Tages nicht mehr aufregen, denn sie kommen und gehen auch wieder. Mit anderen Worten: Ich bin tatsächlich gelassener geworden (was mich immer noch verblüfft). Ich genieße es, erwachsene Kinder zu haben, wunderbare Erinnerungen, aber auch noch viele Pläne (ja, mach nur einen Plan …). Aber natürlich habe ich Angst vor dem, was Alter auch bedeuten kann und leider irgendwann für viele von uns bedeuten wird: Krankheit, Hinfälligkeit, geistiger Verfall. Doch wie mein Schwiegervater immer meinte: „Dor mook wat bi“. Oder etwas eloquenter mit Schiller gesagt: „Wohl dem Menschen, wenn er gelernt hat, zu ertragen, was er nicht ändern kann, und preiszugeben mit Würde, was er nicht retten kann.“ An diesem Motto orientiere ich mich ebenso wie meine Romanfigur Rena.
Was sind deine Pläne für deine literarische Zukunft?
In der nahen Zukunft, schon im Herbst dieses Jahres, wird bei duotincta mein neuer Roman „Wir kennen uns nicht“ erscheinen. In dessen Zentrum steht ein Mutter-Tochter-Verhältnis, das von gegenseitigem Misstrauen, von Anklagen und Verletzungen geprägt ist. Ich erzähle diese Geschichte abwechselnd aus der Sicht der Mutter und der Tochter, die sehr unterschiedlich auf ihre Erlebnisse miteinander blicken. Ich glaube, das kennen viele von uns.
Und danach? Da lasse ich mich von mir selbst überraschen.
Möchtest Du unseren Lesern noch etwas mitgeben?
Eins möchte ich noch sagen, weil es mir am Herzen liegt: Ich freue mich über jede Leserin, jeden Leser meines Romans „Die vier Liebeszeiten“! Und erst recht über jeden, der mir seine Eindrücke von der Lektüre mitteilt oder sie mit anderen teilt – wie z.B. in diesem wunderbaren Blog.
Fazit und Dank
Ich möchte Birgit Rabisch für diese offenen und interessanten Antworten danken und hoffe sehr, dass wir uns mal persönlich treffen können. Vielleicht bietet es sich während einer eventuellen Lesereise zu dem neuen Buch an?
„Wir kennen uns nicht“, das neue Buch von Birgit Rabisch kommt auf alle Fälle auf meine Wunschliste. Als Mutter von zwei Töchtern interessiert mich der Inhalt sehr. Nach „Die vier Liebeszeiten“ und diesem Interview bin ich mir auch sicher, dass mir der Stil gefällt. Ich werde mich direkt bei duotincta nach dem genauen Erscheinungstermin erkundigen.
Schönes Interview! Ich habe das Buch der Autorin gelesen und rezensiert und kann es nur empfehlen.
Danke. Im Herbst geht sie mit dem neuen Buch auf Lesereise. Ich habe schon eine Karte für eine Lesung im September. Ich freue mich sehr, sie auch mal persönlich kennenzulernen.
Liebe Silvia,
an dieser Stelle nochmal ganz herzlichen Dank für das Interview und die klugen Fragen!
Ich freue mich auch sehr darauf, dich bald einmal persönlich kennenzulernen.
Das neue Buch „Wir kennen uns nicht“ wird erst zur Frankfurter Buchmesse im Oktober erscheinen und dann gibt es auch eine Premierenlesung in Kühlungsborn (genauer Termin steht noch nicht fest). Für „Die vier Liebeszeiten“ stehen zurzeit Lesungen in Berlin, Siegburg und Ruppichteroth fest. Genauere Informationen gibt es, immer aktualisiert, auf meiner Website birgitrabisch.de
Für Ruppichteroth bin ich schon angemeldet. Im September. Ich freue mich darauf!
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