Alex Schulman: Vergiss mich
Dienstag, 26. August 2025

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Alex Schuman verarbeitet in „Vergiss mich“ sein Verhältnis zu seiner Mutter. Diese wurde irgendwann zur Alkoholikerin und das hatte auch eine starke Wirkung auf die Kinder. Episodenhaft und mit vielen Zeitsprüngen erzählt Schulman über seine Empfindungen als Kind und auch als Erwachsener.
Silvia: Das Buch hat mich tief berührt und fast schon verstört. Einzelne Szenen waren sehr schmerzhaft zu lesen. Zum Beispiel, wenn die Kinder versuchten ein klein wenig Zuneigung von ihrer Mutter zu erhalten, geradezu darum bettelten und schon mal dafür ein „Verpisst Euch“ ernteten. Wie ging es dir damit?
Astrid: Ja, dieses Teile des Buches waren schon sehr schwer zu ertragen. Die Mutter war ja früher ganz anders mit den Kindern, sehr phantasievoll und zugewandt. Die Veränderung konnten die Kinder doch überhaupt nicht verstehen.
Silvia: Der Titel „Vergiss mich“ ist ein Zitat für den Roman. Die Mutter schleudert diesen Satz ihrem Sohn entgegen. Ich war geschockt, als ich das las. Doch inzwischen denke ich, dass das ein Akt der Mutterliebe war, indem sie ihn jeglichem Zwang und Verantwortung enthebt. Wie war das für dich?
Astrid: Natürlich merkt eine Mutter auch, dass sie sich nicht mehr angemessen den Kindern gegenüber verhält. Und es fiel ihr ja immer wieder auf, dass sie die Erwartungen ihrer Kinder an sich nicht erfüllen konnte. Sie konnte keine richtige Großmutter sein, so wie sich das die Kinder und Enkelkinder wünschten. Ich denke auch, sie wollte einfach keine Last mehr sein.
Silvia: Ich habe mich im Nachhinein für Momente geschämt, in denen ich meine Kinder auch mal weggeschickt habe, wenn sie um Aufmerksamkeit bettelten, ich aber keine Zeit hatte. Mütter sind auch nur Menschen. Ging dir das auch so?
Astrid: Ich kann mich da ehrlich gesagt gar nicht mehr so dran erinnern.
Silvia: Als meine Kinder klein waren, versuchten sie sehr häufig es mir recht zu machen und sich damit meine Liebe zu sichern, Kindern ist nicht klar, dass das nicht nötig ist. Doch hier, in der Situation der Co-Abhängigkeit, hatte ich das Gefühl, die Kinder lassen sich von der Mutter geradezu tyrannisieren, und das über den Tod hinaus. Wahrscheinlich, weil sie sich der Mutterliebe nie sicher sein konnten. Wie siehst du das?
Astrid: Das irritiert mich tatsächlich immer wieder. Dass Kinder dieses Spiel immer so klaglos mitmachen. Dass sie meistens keinen Ausweg sehen und auch der Vater nicht angemessen reagiert. Warum wird keine Hilfe gesucht? Gerade bei dem Thema Alkohol gibt es doch viele Möglichkeiten. Aber anscheinend denkt man eine sehr lange Zeit, dass alles normal ist. Dem Autor wird es ja anscheinend auch erst richtig bewusst, als seine Mutter seine eigene Tochter genauso wenig sieht wie er selbst sich nie gesehen fühlte. Daraufhin versucht er die Mutter zur Therapie zu überreden. Nach 30 Jahren. Klingt für mich ein wenig absurd.
Silvia: Du hast Recht, der Vater spielt hier kaum eine Rolle, hätte aber reagieren müssen.
Ich denke eigentlich, Mutterliebe ist das stärkste Gefühl. Doch die hier beschriebene Frau verliert dieses Gefühl durch den Alkoholismus zeitweise. So ist es hier die Liebe der Kinder zur Mutter, die viel stärker ist. Darüber zu lesen, machte mich sehr traurig. Doch die Kinder geben nicht auf, auch die Mutter versucht, aus ihrer Abhängigkeit zu entkommen.
Andere Bücher zum Thema
Silvia: Es gibt im Moment viele Bücher, die autofiktional aus dem Leben des Autors berichten. Das ist sehr persönlich und geht dadurch auch bei mir, als der Lesenden tiefer. Ich musste bei „Vergiss mich“ häufig an Lügen über meine Mutter denken, wenn die Geschichte auch ganz anders ablief. Erinnerte es auch dich an andere Bücher?
Astrid: Ganz ähnlich ist doch auch das Buch „22 Bahnen“. Die beiden Töchter leben mit ihrer alkoholkranken Mutter zusammen und versuchen ihr Leben miteinander zu managen. Ich weiss gar nicht, ob es autobiografisch ist, aber es kommt zumindest sehr realistisch rüber.
Silvia: Ich habe keine vergleichbaren Dinge selbst erlebt, hatte zum Glück eine „normale“ Kindheit. Ich weiß auch nicht, ob ich so offen über solche familiären Probleme sprechen würde. Ein wenig überrascht es mich, dass das so viele Autoren machen. Wie siehst du das?
Astrid: Nur mit Offenheit können wir etwas ändern. Daher finde ich es wirklich toll und hilfreich für andere, wenn viele Menschen darüber schreiben. Und wenn Menschen, die schreiben können und vielleicht auch schon etwas bekannter sind, das tun, ist das so wertvoll.
Silvia: Da hast du wohl recht. Alkoholismus und andere Suchterkrankungen sind immer noch Tabuthemen. Schade eigentlich, ich denke es wäre vielleicht einfacher damit umzugehen, wenn man weiß, dass man damit nicht alleine dasteht. Das gilt auch für die Angehörigen, die, wie dieses Buch zeigt, sehr darunter leiden. Wie siehst du das?

Astrid: Es geht ja gar nicht nur um Suchterkrankungen. Wirklich bemerkenswert empfinde ich gerade auch die Bücher über Missbrauch. Wobei ich die fast nicht ertragen kann. Ich habe das Buch „Trauriger Tiger“ gelesen und kam damit tatsächlich an meine Grenzen. Ich wollte es so häufig zur Seite legen, aber ich habe es dann doch bis zum Ende geschafft. Und es hat mich nachhaltig beeindruckt. Das ist noch ein langer Weg bis man darüber genauso spricht wie über Alkoholismus.
Silvia: Für mich war es das erste Buch des Autors, dass ich las. Ich glaube du hast schon mehr von ihm gelesen. Was würdest du mir empfehlen?
Astrid: Och, ich glaube, ich habe alle von ihm gelesen. Uns sie haben mich alle beeindruckt. Besprochen habe ich auf dem Blog allerdings nur Endstation Malma. Im Lesekreis haben wir „Die Überlebenden“ gelesen. Dabei war ich echt froh, dass wir danach drüber reden konnten, sonst hätte ich es vielleicht falsch interpretiert. Sehr spannend fand ich auch „Verbrenn alle Briefe“. Ich freue mich definitiv auf weitere Bücher von ihm.
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