Benjamin Quaderer: Für immer die Alpen
Sonntag, 7. Juni 2020
Rezension eines Hochstapler- und Heimatromans
Der Alpenstaat Liechtenstein war lange Zeit ein Steuerparadies für Menschen, die ihr Vermögen nicht versteuern wollten. Über die dort ansässige Treuhandgesellschaft konnten die Reichen ihr Geld gewinnbringend anlegen, bis ein Mitarbeiter einige Datensätze über Kunden an deutsche Steuerbehörden verkauft. Benjamin Quaderer verknüpft in seinem Debütroman Für immer die Alpen die tatsächlichen Vorkommnisse mit einem rasanten, fiktiven Leben eines Mannes.
Hochstapler
Romane über Hochstapler gibt es viele. Am bekanntesten ist vielleicht Felix Krull von Thomas Mann, am charmantesten vielleicht der talentierte Mr. Ripley von Patricia Highsmith. Zu welcher Art Hochstapler gehört Johann Kaiser aus diesem Roman?
Doch erstmal habe ich gar nicht das Gefühl, dass er sich als Betrüger, Hochstapler, Lügner sieht. Er reagiert halt schon mal spontan und aus einem Lügengeflecht kommt er dann schwer wieder heraus.
So ist er ein einsamer Hochstapler. Ständiges Lügen macht einsam, das vor allem muss Johann erfahren.
Einsamkeit
Einsamkeit ist für mich eines der vorherrschenden Themen in diesem Buch. Allein auf sich gestellt war Johann fast schon immer. Seine zwei älteren Schwestern wollten den Säugling aus Eifersucht ersticken, seine Mutter verlässt die Familie, der Vater gibt die Kinder in ein Heim. Auch dort findet der schon von klein auf getriebene keine Heimat. Allerdings bezeichnet er den Kleinstaat Liechtenstein als Heimat. Und seine einzige Freundin ist die Fürstin Gina. So bleibt er auch bis zum Ende des Buches überzeugter Monarchist, wenn auch der amtierende Fürst ihm nach dem Leben trachtet.
Von einigen Menschen, die ihm nahestehen wird er verlassen, verstoßen, oder sie sterben einfach. Und die anderen verlässt und betrügt er selbst. Er scheint keine dauerhaften Beziehungen eingehen zu können. Wie sollte er auch das dazugehörige Vertrauen aufbauen können? So sitzt er auch am Ende alleine in einem Haus, im Zeugenschutzprogramm.
Diesen Bericht, den der Roman bildet, hat er verfasst um sich selbst seiner Existenz zu versichern. Er lebt nur so lange, wie sich noch jemand an ihn erinnert und über ihn spricht. So ist Johann doch nicht so einsam, wir Leser*innen sind bei ihm. Denn so unsympathisch mir Johann auch ist, er wird lange in meiner Erinnerung bleiben.
Stil
Benjamin Quaderer schreibt nicht nur einen Roman, der in vielen Ländern und mehreren Kontinenten spielt, sondern er benutzt auch mehrere Kniffe, die das Buch von anderen abhebt. So werden in einigen Passagen Wörter, wie zum Beispiel Namen und Orte, geschwärzt. Wie ich las, wird das im Hörbuch übrigens durch ein Piepen umgesetzt.
Meist ist das Buch wie ein Tagebuch verfasst, doch wird auch schon mal die Perspektive gewechselt oder Mails eingestreut. Sehr gut gefielen mir ca. 100 Seiten, bei denen zwei Perspektiven über den gleichen Zeitraum auf den linken und rechten Seiten des Buches parallel liefen. Optisch durch verschiedene Farben gekennzeichnet. Dies erforderte eine etwas umständliche Lesetechnik, machte aber auch Spaß. Aber vielleicht wurde davon auch ein wenig viel verwandt, von diesen Kniffen, die über einen linearen Roman hinausgehen. Hoffentlich hat Quaderer für seine nächsten Werke noch nicht alles Pulver verschossen.
manches wirkte auf mich auch fast surreal, oder zumindest befremdlich. So wurde auch die jüngste Kindheit vom Ich-Erzähler Johan sehr breitgetreten, mit Details, an die er sich unmöglich erinnern kann. Irgendwo für die eigentliche Handlung, den Datendiebstahl, total überflüssig. Doch für das Bild des Johann Kaisers auch wieder unerlässlich.
Doch manchmal hätte ich mir etwas straffere Ausschweifungen gewünscht.
Quaderer
Der Autor Benjamin Quaderer stammt selbst aus dem kleinen Liechtenstein. Im Buch steckt denn auch viel über das Leben dort und auch die Geschichte der kleinen Monarchie. Mich würde wirklich mal interessieren, wie man dort zu seinem Roman steht. Ein paar andere Fragen beantwortet der Autor bei BR-Kultur. Er sieh auch ein wenig so aus, wie ich mir Johann vorstelle. Für immer die Alpen ist sein Debütroman.
Fazit
Für immer die Alpen ist ein erstaunlicher Debütroman, der zwar einige Längen, aber auch viel Spannendes zu bieten hat. Die Verknüpfung von Realität und Fiktion mit verschiedenen Stilrichtungen zu Vermengen erbringt einen ausgereiften Roman zu Tage, der ein verspieltes Licht auf das reale Vorbild des Datendiebs Heinrich Kieber wirft.
Weitere Buchbesprechungen
Noch mehr lesenswerte Rezensionen zu dem Buch habe ich auf folgenden Blogs gefunden:
Poesierausch
Literaturblog Sabine Ibing
Esthers Bücher
David Wonschewski