Dezemberfieber
Donnerstag, 5. November 2015
Dezemberfieber
ein Roman von
Frank O. Rudkoffsky
Den Ausdruck „Dezemberfieber“ kannte ich nicht. Für alle, denen es ebenso geht, hier die Erklärung aus dem Buch:
Das Wort kommt aus der Behördensprache! Aber zugleich ist es die perfekte Bezeichnung für das, was uns antreibt. Wenn Behörden kurz vor Jahresende ihr ganzes Restbudget verballern, nennt man das Dezemberfieber. Sie tun das, weil sie Angst haben, dass ihnen, wenn sie das Geld nicht mehr rechtzeitig ausgeben, im nächsten Jahr die Mittel gekürzt werden.
Zur Einstimmung gibt es erst mal den Link auf den Buchtrailer.
Dezember 2008: Bastian, Ende 20, so eine Art ewiger Student und seine Freundin Nina fliegen nach Thailand. Zwei Wochen Entspannung als Backpacker stehen auf dem Programm.
Doch Bastian kann nicht loslassen. Die Ereignisse der letzten Wochen, in denen sein Vater starb und er dessen Haushalt auflösen musste, hindern ihn an der Entspannung. Durch Alkohol, Fieber und extremen Schlafmangel steuert Bastian in eine selbstzerstörerische Situation. Im heißen Thailand, umgeben von wunderbarer Landschaft, setzt er sich mit den Dämonen seiner eigenen Vergangenheit und der seiner Eltern auseinander.
Die Beziehung zu Nina mutet seltsam an. Die beiden sind sehr gegensätzlich:
Nina tritt immer auf die Bremse, wenn er Gas geben will, zieht immer dann die Reißleine, wenn er lieber fallen will.
Bastian merkt nicht, dass Nina vielleicht seine letzte Chance auf ein gutes Leben ist. Er lässt sie nicht an sich heran, stößt sie sogar weg und flüchtet.
Der Roman spielt in mehreren Zeitebenen. Die Zeit in Thailand wird immer wieder von Erinnerungen an die Vergangenheit durchbrochen. Er spielt zum Teil seine Kindheitsphantasien wieder durch, Wachträume, in denen er als Indiana Jones die Welt rettet.
Dann wird ein Notizbuch mit abgedruckt, das seine Eltern sich gegenseitig geschrieben haben. Die Familie ist stark von der Krankheit der Mutter und der Unfähigkeit zur Kommunikation gekennzeichnet. Die Briefe, sind der einzige Weg, wie die Eltern noch „vernünftig“ miteinander reden. Dabei wird die starke Depression seiner Mutter beängstigend stark veranschaulicht. Und die Unmöglichkeit des Vaters, damit richtig umzugehen. Medikamente, Therapien, auf und ab. Die glücklichen Momente verschwinden fast hinter dieser schweren Erkrankung. Diese Briefe stehen immer am Ende eines Kapitels, sind optisch gut abgegrenzt und geben sogar die Schreibfehler und Korrekturen des Schreibenden wieder. So lässt sich der Erregungszustand ablesen.
Da lernt Bastian in Thailand Jenny kennen, die ebenfalls vor ihrer Schuld flieht. Bastian erkennt aber ihre Labilität erst nicht und lässt sich von ihr in ein Geocaching-Abenteuer ziehen. Diese Ablenkung kommt ihm sehr gelegen.
Immer wieder sind die schönen thailändischen Strände vor meinen Augen, das löst starkes Fernweh bei mir aus. Doch die Beschreibungen von Prostitution und den Problemen der Bevölkerung lässt mich wieder fragen, ob es das richtige Urlaubsland für mich ist.
Die Sprache verläuft von poetisch, stark ausgefeilten Sätzen bis zu krass, voller Gewalt, kafkaesken Sequenzen, in denen Realität und Traum immer mehr verschwimmt, je schlechter es Bastian geht.
Der schwarze Hund
Viele Symbole werden in diesem Buch benutzt. So zum Beispiel das Bild „schwarzer Hund“ als Begriff für Depression. Auch Churchill und Chaplin, die auch unter Depressionen litten werden erwähnt. Wie viele dieser Hinweise sind mir beim Lesen wohl entgangen?
Aber das Buch ist kein Melodrama. Es gibt viele kleine Anekdoten im Buch, die mich immer wieder schmunzeln ließen. Zum Beispiel alle Anspielungen auf Bastians Hypochondrie, die ihn auch schon als Kind und Jugendlicher in tiefe Ängste und skurrile Situationen stürzen ließen. Ja, diese Hilfeschreie nach Aufmerksamkeit sind eigentlich nicht witzig, rissen mich aber trotzdem aus der Schwermut, in die mich die eindringlichen Beschreibungen der Depressions-Auswirkungen brachten.
Der Autor
Bei einer Lesung konnte ich den Autor persönlich kennenlernen und mir ein Autogramm abholen
Der Autor Frank O. Rudkoffsky hat mit diesem Roman sein Debüt veröffentlicht. Und dann auch noch in einem brandneuen Verlag. Ich wünsche beiden noch viel Erfolg für die Zukunft!
Ich gebe mich jetzt zum Jahresende mal meinem eigenen „Dezemberfieber“ hin. Ich habe zwar kein Geld zum verjubeln, aber viel zu tun gibt es allemal. Zurzeit werde ich von vielen Themen getrieben.
Wer etwas mehr Zeit hat, könnte diesen Roman ja passend zur Zeit der Handlung über Weihnachten lesen…
Frank O. Rudkoffsky: Dezemberfieber, Roman, 316 Seiten,
Verlag duotincta, ISBN: 978-3-946086-02-4, € 16,95 [D]
P.S.: Als witziges Extra ist im Buch ein QR-Code abgedruckt:
Dahinter verbirgt sich ein Link auf Fotos aus Thailand, die der Autor während seiner Urlaube dort gemacht hat. Auch das Coverbild ist aus einem Foto von Frank enstanden.
♌
Vielen Dank für diese schöne und reflektierte Rezension!
Danke, sehr gerne! Nächste Woche folgt der Lesungsbericht!
Oh, schön – ich bin gespannt! 🙂
🙂
Danke für diesen Buchtipp, liebe Angelika.