Im Café der verlorenen Jugend
Donnerstag, 29. Oktober 2015
Patrick Modiano
Im Café der verlorenen Jugend
Ein Jahr lag dieses Buch in meinem Regal und wartete auf mich. Wir haben es gekauft, nachdem der Autor, Patrick Modiano, im Herbst 2014 den Literaturnobelpreis erhielt. (Mein Mann hatte es natürlich direkt gelesen…)
Das Buch spielt in Paris in den 1960iger Jahren. Hauptperson ist die junge Louki, die eines Tages im Café Le Condé auftaucht. Dieses Café „wurde zum Treffpunkt dessen, was ein rührseliger Philosoph >>die verlorene Jugend<< nannte.“
Perspektiven
In den verschiedenen Abschnitten des Buches kommen mehrere Menschen zu Wort und geben so ein vielschichtiges Bild dieser kaum zu beschreibenden Frau.
Da ist ein junger Mann, selbst fleißiger Cafébesucher, der eine Art Chronik des Cafés mit einigen Fotos verfasst. Ein Privatdetektiv, der Louki verfolgt.
Er observiert sie im Auftrag ihres Mannes, der selbst auch einen Einblick in ihre seltsame Beziehung gewährt.
Auch Louki bekommt ein Kapitel gewährt, in dem sie hauptsächlich über ihre Kindheit und Jugend spricht. Dieses Kapitel empfand ich als sehr berührend und traurig.
Flüchtig
Trotzdem bleibt irgendwie ein eher flüchtiger Eindruck von Louki. Als Leser konnte ich ihr nie ins Gesicht sehen, eher bekam ich einen Zipfel ihres Mantels zu sehen, wenn sie schnell um die nächste Ecke huscht.
Dieses Buch haben wir auch in einem Lesezirkel diskutiert. Dort wurde das Buch und die Beschreibungen als „blutleer“ bezeichnet. Ich sehe das nicht so. Diese Art, die Menschen nicht bis in die Tiefe zu betrachten, sehe ich als Absicht. Bekanntschaften, die über ein Café geknüpft werden, sind nun mal eher oberflächlich, nicht tiefgehend. Die sprachliche Qualität blieb im Lesekreis allerdings unbestritten!
Ich denke, dass in diesem Buch die Nachkriegsgeneration und –Situation gut beschreiben wird, gepaart mit Pariser Leichtigkeit. Eine Leichtigkeit, die oft nur die Oberfläche bildet, darunter kann es abgrundtiefe Schwermut geben. Insgesamt erinnerte mich das Buch ein wenig an „Das kunstseidenen Mädchen“ von Irmgard Keun. Allerdings empfand ich Modianos Sprache als geschmeidiger, eben „pariserisch“.
Bücher im Buch
Ausgerechnet der Besuch einer Buchhandlung gibt Louki so etwas wie Heimat:
Aber selbst heute noch, in meinen schlaflosen Nächten, höre ich oft die Stimme mit dem Pariser Akzent – jenem der ansteigenden Straßen -, die zu mir sagt: >> Nun, finden Sie Ihr Glück?<< Und dieser Satz hat nichts verloren von seiner Freundlichkeit und seinem Rätsel.
Bücher werden im Buch immer wieder erwähnt, gelesen, besprochen. Das Buch „Der verlorene Horizont“, ein utopischer Roman von James Hilton ) wird mehrmals erwähnt. Es könnte sich lohnen die Zusammenhänge zwischen diesen Büchern näher zu beleuchten.
Fazit
Insgesamt ist die Geschichte von Louki, die eigentlich Jacqueline heißt, eher flüchtig. Was bleibt von so einem Menschen? Nur ein paar Erinnerungen, Notizen und Photos in einem Café, das längst nicht mehr existiert. So nennt sie sich selbst im Buch einmal „Jacqueline du Neánt“, Jacqueline aus dem Nichts. So sind flüchtige Café-Bekanntschaften: die Menschen kommen aus dem Nichts und verschwinden auch wieder darin.
♌
Patrik Modiano: Im Café der verlorenen Jugend,
in einer Übersetzung aus dem Französischen von Elisabeth Edel,
dtv, 160 Seiten, ISBN 978-3-423-14274-8, € 8,90, [D]