Dorit Rabinyan: Wir sehen uns am Meer
Sonntag, 22. Januar 2017
Eine Liebe mit Ablaufdatum
Mein Jahr fängt gut an! Mit „Wir sehen uns am Meer“ begann das Jahr mit einem Buch, das mich begeistert und nachdenklich zurückläßt. Das mich in den Bann gezogen hat.
Ein Buch, dass hauptsächlich in New York spielt und nicht, wie man nach dem Titel vermuten könnte, am Meer. Ich habe es trotzdem am Meer gelesen!
Inhalt
Die Israelin Liat verbringt ein Jahr in New York. Sie ist überzeugte Israelin und Jüdin und läßt keinen Zweifel daran, dass sie in ihre Heimat zurückkehren wird. Als sie eines Tages den Araber Chilmi aus Ramallah kennen und lieben lernt, ändert sich daran nichts. Von Anfang an ist klar, dass ihre Liebe in ihrer Heimat nicht sein darf und daher keine Zukunft hat. Wenn Liat nach Tel Aviv zurückkehrt, wird sie diese Beziehung beenden. In ihrer Heimat gehen Juden und Araber vorsichtig und zurückhaltend miteinander um. In New York begegnen sich die beiden mit einer Neugier, die typisch für Verliebte ist. Nation und Glaube spielen anfangs keine Rolle. Obwohl sie kilometermäßig nicht weit voneinander aufgewachsen sind, sprechen sie unterschiedliche Sprachen und verständigen sich auf Englisch. Zusammen erkunden sie die große Stadt und lernen sich näher kennen. Auch ihr Verständnis für die andere Nation wächst. Missverständnisse bleiben aber nicht aus.
Bis wir eines Nacht nach einer Diskussion, die in erbitterten Streit ausgeartet war und mit Tränen und Türenschlagen geendet hatte, ausgelaugt und mit zerrütteten Nerven beschlossen, dem ein für alle Mal ein Ende zu setzen, und uns gegenseitig schworen, nie wieder über Politik zu reden.
Immer wieder kommt es zu Unstimmigkeiten und der Frust ist groß.
Warum mussten ausgerechnet wir beide, die wir uns doch so nahe waren und uns liebten, immer wieder dort scheitern, wo die ganze Welt seit Jahren ebenfalls scheiterte?
Aber „Wir sehen uns am Meer“ beschreibt nicht nur die ausweglose Lage einer Liebe. Die beiden Protagonisten haben auch ganz alltägliche Probleme, mit denen sie fertig werden müssen. Die Autorin beschreibt nämlich eindringlich, wie sich Menschen aus wärmeren Ländern durch den langen New Yorker Winter quälen. Sie sind weder die Temperaturen noch den anhaltenden Schnee gewöhnt.
Und immer wieder das Meer
Das Meer hat in diesem Roman eine große Symbolik. Liat lebt in Tel Aviv, das direkt am Meer liegt, und wo sie problemlos an den Strand gehen kann, während Chilmi aus Ramallah im Westjordanland stammt und als Palästinenser wenig Möglichkeiten hat, ans Meer zu kommen – trotz der relativen Nähe. Chilmi verzehrt sich nach dem Meer.
Sprache
Sprachlich macht dieses Buch viel Spaß.
Mein Körper unter der Decke zappelt unkontrollierbar, wälzt sich hin und her, sucht nach etwas Festem. Der Schmerz kriecht von den Schläfen zu den Augen und explodiert mit jedem Blinzeln, schwindelerregende Übelkeit dreht mir den Magen um, fährt mit flüsternden Ausbrüchen vom Nacken den Rücken herab, peitscht mich in Schweiß, macht mich schwach. Verzweifelt reibe ich die Füße aneinander, doch das Zittern will nicht weichen.
Die Autorin hätte auch einfach nur „Schüttelfrost“ schreiben können 🙂
Ende
Nachdem ich das „Wir sehen uns am Meer“ zugeklappt habe, bin ich noch lange sehr nachdenklich. Nicht, dass dieses Buch kein Happy End hat, wie vielleicht jeder schon ahnt, sondern es endet auch sehr tragisch. Ich hoffe, ich durfte das hier verraten?
Dieses Buch hat in Israel zu Diskussionen geführt. Die Erziehungsministerin hat es sogar von einer Lektüreliste von Oberstufenschülern gestrichen. Das hat die Verkaufszahlen in die Höhe getrieben.
Fazit
Eine Liebe, die nur im Ausland möglich ist. In Israel wären die beiden Protagonisten nie so unbeschwert und offen aufeinander zugegangen. Eine Liebesgeschichte, die sehr nachdenklich macht.
Buchdaten
DORIT RABINYAN
Wir sehen uns am MeerTitel der Originalausgabe: Gader Chaiija/BorderlifeAus dem Hebräischen von Helene Seidler ISBN: 978-3-462-04861-2 Erschienen am: 11.08.2016384 Seiten |
Liebe Astrid,
deine sehr gute Rezension – und die von dir ausgewählten Textstellen – haben mich neugierig gemacht. Ich werde den Roman auf jeden Fall lesen – allerdings leider nicht am Meer.
Viele Grüße
Rosa
Liebe Rose,
dann viel Spaß bei dem Buch. Und vom Meer mußt du dann halt träumen – wie die beiden Protagonisten 🙂
Viele Grüße Astrid
Hallo Astrid,
Eine schöne Rezension hast du da geschrieben. Ich habe das Buch gestern gerade beendet und es hat mir auch sehr gut gefallen. Eigentlich eine Liebesgeschichte, wie jede andere, aber doch auch ganz außergewöhnlich. Die Umstände machen diese Geschichte der beiden Liebenden zu etwas ganz Besonderem. Dabei hat mir besonders der sanfte Erzählstil der Autorin gut gefallen.
Und das ich so einiges über die Geschichte und Situation der beiden Länder gelernt habe.
Liebe Grüße, Julia
Liebe Julia,
schön, dass es Dir auch gefallen hat. Ich denke noch häufig an dieses Buch und es ist sicher eines meiner Highlights. Dass man so „nebenbei“ etwas beim Lesen lernt, mag ich auch immer sehr gerne.
LG Astrid
Ja, das stimmt. Nebenbei lernt es sich am Besten! 😉