Ein Leben
Dienstag, 11. August 2015
Ein Leben
ein Roman von
Guy de Maupassant
Ich lese sehr gerne eBooks. Ich kann hunderte davon in meiner Handtasche mit mir herumtragen, habe immer ein Wörterbuch dabei und bekomme bei dicken Wälzern keine schweren Arme.
Aber dieses Buch kann man nicht durch ein eBook ersetzen. Die wertvolle Aufmachung dieses neu übersetzten Klassikers ist wunderschön. Das Buch hat einen schön gestalteten Schuber, ist leinengebunden und hat ein hochwertiges, dickes Papier, das sich wirklich sehr angenehm anfühlt. Früher waren alle Bücher so. Heute ist es die Ausnahme.
Zum Buch
Jeannette, genannt Jeanne ist süße 17 Jahre alt (im Jahr 1819). Sehr behütet im liebevollen Elternhaus und in der Klosterschule aufgewachsen ist sie jetzt bereit für ein neues Leben. Und die Liebe.
Jetzt war sie frei zu lieben; sie musste ihm nur noch begegnen, ihm!
Mit sehr romantisch verklärten Vorstellungen von IHM, dem einen, reist sie mit ihren Eltern in die Normandie, wo die Familie einen Landsitz besitzt, der nach einer Heirat Jeanne als Wohnsitz dienen soll. Naturverbunden wie ihr Vater geht sie viel spazieren, badet ausdauernd im Meer, unternimmt kleine Ausflüge mit ihren Eltern.
Sie ist glücklich: „Und der Regen… war der erste Kummer ihres Lebens.“ Dieser Satz zeigt, wie glücklich. Sie hatte noch nie richtige Sorgen. Ist naiv, vertrauensvoll, liebt das Leben, die Menschen, die Natur.
Über den Pfarrer wird sie mit dem Vicomte de Lamare bekannt gemacht. Ein auffallend schöner junger Mann aus gutem Haus, der in der Nähe wohnt. Ist er der eine? Von Anfang an wechseln sie Blicke und suchen die Nähe des anderen. Zu weit können sie freilich nur selten sein. Da gibt es schon mal lange Spaziergänge und Gespräche und eine heimliche Berührung zweier Finger.
Anlässlich einer Schiffstaufe verloben sie sich, Die Eltern sind einverstanden, ist doch die Familie des Vicomtes gesellschaftlich mit der von Jeanne verwoben.
Es gibt eine Verlobung, eine kleine Hochzeit und eine Hochzeitsreise nach Korsika. In dieser Zeit durchlebt Jeanne viele Höhen und Tiefen. Der Schock, des ersten, ohne vorherige Aufklärung ablaufenden, Sex. Die Schönheit der korsischen Landschaft. Die Wildheit der dortigen Bewohner.
Immer wieder gibt es schon jetzt, im Honeymoon, kleine Anzeichen von Juliens Charakterfehler. Doch Jeanne verdrängt alles. Hält sich an glücklichen Momenten fest.
Wieder zurück in Frankreich, in ihrem Landhaus in der Normandie, in der Nähe der Küste ist sie von ihrem jetzigen Leben sehr ernüchtert:
Da wurde ihr klar, dass sie nichts mehr zu tun hatte, nie mehr etwas zu tun haben würde.
Durch die vermeintliche Erfüllung ihrer Träume sieht sie sich einem Leben der Langeweile ausgesetzt.
So kommt sie schnell zum dem Schluss:
Es ist nicht immer lustig, das Leben.
Das Buch beschreibt Jeannes Leben, ihre Freude, ihren Kummer, ihre Leiden, die sie umgebenden Menschen. Überhaupt ist die Zeichnung der Charaktere ein großes Talent des Autors. Die übergewichtige Mutter, die gleichaltrige Dienerin, der großzügige Vater, die fast unsichtbare Tante. Aber auch kleine Nebenfiguren werden im auch lebendig. Zum Beispiel die arroganten Adligen der Nachbarschaft.
Maupassant lässt manchmal 15 Jahre auf ein paar Seiten vergehen und verweilt an anderen Zeiträumen viel länger und setzt dadurch deutliche Akzente.
Ein Plus ist auch die moderne Übersetzung durch Cornelia Hasting. Der Roman behält den Charakter der Zeit, ist trotzdem sehr flüssig lesbar.
Mit der Kirche geht Maupassant auch hart ins Gericht. Zwei unterschiedliche Pfarrer, die die Gemeinde betreuen, haben großen Einfluss auf Jeanne und sind mit verantwortlich an ihrem Leben.
Die gesellschaftliche Lage und Veränderung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschreibt er nicht. Er konzentriert sich ganz auf seine Darsteller. Vor allem auf Jeanne. Eine schwache Frau, die viele Fehler macht und dafür schwer büßen muss.
Aus heutiger Sicht kann man denken: Warum nimmt diese Frau ihr Leben nicht selbst in die Hand? Es ist für uns schwer sich in die Zwänge von damals hineinzudenken. Jeanne musste zwar in ihrem Leben nie arbeiten. Aber ist das wirklich ein Segen? Sie wächst behütet auf: aber das wird ihr im Leben zum Verhängnis. Sie will es allen recht machen und scheitert daran natürlich. Sie ist einsam, wird laufend enttäuscht und altert dadurch vorzeitig.
Doch das Ende gibt Hoffnung. Für Jeanne und auch für den Leser:
Wissen Sie, das Leben ist nie so gut oder so schlecht, wie man glaubt.
Abgerundet wird das Buch durch einen Anhang, der interessante Anmerkungen der Übersetzerin, ein Teil eines älteren Roman-Entwurfs, Briefe von Flaubert an Madame Brainne (der dieses Roman gewidmet ist) und ein Nachwort von Julien Barnes, der die Hintergründe dieser Dreiecksgeschichte aufdeckt, den Roman interpretiert und mit anderen Büchern dieser Zeit in Beziehung setzt.
Guy de Maupassant: Ein Leben, in einer Übersetzung von Cornelia Hasting
mare Verlag, ISBN 978-3-86648-194-7, 28,00 €
Zuerst dachte ich, es wäre ’nur‘ ein weiterer Liebesroman aus einer romantisierten Zeit. Aber deine Rezi zeigt schnell, dass dem nicht so ist. 😉
Mir hat es sehr gut gefallen, sehr angenehm zu lesen.