Ferrante: Getrennte Wege – Hörbuch-Rezension
Mittwoch, 11. Oktober 2017
Die Geschichte der getrennten Wege
Dieser dritte Teil des Romanzyklus von Elena Ferrante rund um die Freundschaft von Elena und Lila spielt in den Jahren 1968 bis 1976. Die beiden Frauen sind erwachsen, haben eigene Familien und führen sehr unterschiedliche Leben. Hauptspielorte sind Neapel und Florenz.
Elena
Sie heiratet, bekommt zwei Kinder und lebt mit ihrem Mann in Florenz. Soweit, so gut. Doch Elena ist unglücklich. Sie empfindet das Familienleben als zu eng, sie kann sich nicht entfalten. Ihr Mann bringt ihr keine Wertschätzung entgegen. Der Erfolg ihres ersten Buches lässt sich nicht wiederholen. Sie fühlt sich in den intellektuellen Kreisen nicht gleichberechtigt, versucht immer wieder Fuß zu fassen, doch hat sie auch kaum Zeit alleine, ohne Kinder etwas zu unternehmen. Sie hat das Gefühl die besten Zeiten ihres Lebens zu verpassen. Da trifft sie Nino wieder…
Lina
Sie lebt in wilder Ehe, versucht ihren kleinen Sohn zum Genie zu fördern, doch will dieser nur Kind sein. Erst arbeitet Lina unter üblen Verhältnissen in einer Fabrik, später bekommt sie neue Chancen in eine ganz neue Welt einzutauchen und dort ihre Fähigkeiten einzusetzen.
Die Freundschaft
Die Beziehung zwischen den beiden Frauen ist der rote Faden, der sich über alle vier Bände (einer kommt noch) zieht. Wie der Titel schon verrät, gehen sie nicht viele Schritte in diesem Band zusammen. Doch verlieren sie nie ganz den Kontakt zueinander. Bei Problemen denken sie an ihre Freundin, hoffen auf ihre Hilfe oder überlegen, was diese getan hätte. Trotzdem frage ich mich manchmal: was für eine seltsame Freundschaft. Ein von Streit, Neid und Unverständnis geprägtes Verhältnis. Sie stehen in einem ständigen Wettbewerb miteinander. Sie entstammen zwar aus den gleichen Verhältnissen, die Lebenswege sind aber total unterschiedlich. Doch es gibt immer wieder Schnittpunkte und starke Freundschaftsbeweise.
Studentenunruhen
Die Zeiten, in denen dieser Teil spielt sind voller Unruhen. Studenten begehren auf und in Italien tobt zusätzlich noch der Faschismus.
Mir war nicht klar, dass deutsche Personen dieser Zeit, wie zum Beispiel Rudi Dutschke, auch im Ausland großen Einfluss ausüben und wie Idole verehrt wurden. Dass die Studentenvereinigungen dieser Zeit so vernetzt waren wusste ich auch nicht. Was könnten junge Leute wohl heute ausrichten, wenn sie sich international verbinden würden und ein gemeinsames Ziel anstrebten?
Vergleiche zu Hilla Palm
Erst in diesem Band sind mir die Parallelen zu den Büchern von Ulla Hahn aufgefallen. In ihren Lebenserinnerungen schreibt sie auch vom Kampf um Bildung, Abitur und Studium. Es passt auch in der Zeit genau zu den Ferrante-Büchern. Der neueste Band Hahns beginnt ebenfalls 1968. Besprochen habe ich auf dem Blog Spiel der Zeit, das Buch, in dem Hilla studiert und an Sitzblockaden beteiligt.
Computer
Lila wächst ins Computerzeitalter hinein. Ich arbeite selbst in der IT-Branche und habe in meiner Ausbildung auch noch einiges über die Anfänge gelernt. Mit Lochkarten habe ich zwar nicht mehr gearbeitet, aber ältere Kollegen haben mir noch welche zeigen können. Inzwischen bedaure ich, nicht ein paar behalten zu haben. Lila scheint die Bedeutung dieser Maschinen für die Zukunft bereits erfassen zu können. Die rasante Entwicklung der letzten 50 Jahre konnte aber niemand voraussehen. Nicht einmal Lila. Auch heute noch ist dieses berufliche Umfeld mehr von Männern, als von Frauen belebt (in unserer Firma sind nur ca. 28 % Frauen). Mich würde sehr interessieren, ob Ferrante ein reales, weibliches Vorbild für Lilas Pionierarbeit hat.
Frauenrechte
Frauen gehörten in Italien noch viel mehr an den Herd als hier in Deutschland. Meine Mutter (Jahrgang 1940) beispielsweise war immer berufstätig und machte nur kurze Kinderpausen. Doch sie war wohl eher ein Einzelfall. Die Zeit, in der diese Tetralogie spielt, ist auch das Zeitalter der Emanzipation und der Veränderung der Rollenklischees in Europa.
Anhand der Beschreibungen, vor allem in dem Milieu, aus dem die beiden stammen, war das Leben der Frauen schon sehr elender. Vergewaltigung in der Ehe, fehlende Rechte, Frauen als Eigentum, Körperverletzung, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Alle diese Dinge werden im Buch beschrieben, und wären damals noch nicht einmal strafbar gewesen. Entsetzlich!
Die Stimme
Eva Mattes ist für mich untrennbar mit dieser Saga verbunden. Stimme, Alter und Ausdruck passt perfekt zu dieser Buchreihe. Da die Autorin nicht persönlich an Veranstaltungen teilnimmt, ist Mattes irgendwie auch das Gesicht zum Buch. Ich hoffe, dass ich mal eine Lesung mit ihr besuchen kann. Auch in anderen Hörbuchproduktionen ist sie dabei. Sehr gut gefiel sie mir auch in der Hörbuchversion von „Eine treue Frau“ von Jane Gardam. Hier ist eine Hörprobe aus dem dritten Ferrante-Teil
Fazit
Auch dieser Band um die beiden jungen Frauen konnte mich voll mitreißen, was nicht nur an der wundervollen Erzählweise, sondern auch am Vorlesestil von Eva Mattes liegt. Wegen der Themen (Informatik, Frauenrecht) konnte ich viele Vergleiche zu meinem eigenen Leben ziehen und freue mich schon sehr auf den Abschluss dieser Reihe. Wenn du die Bücher auch hören/lesen möchtest: unbedingt mit dem ersten Band beginnen, sie bauen aufeinander auf.
Weitere Besprechungen des Buches
Buchinfo
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Die Geschichte der getrennten WegeElena FerranteÜbersetzung: Karin Krieger
Hörbuch erscheint im Hörverlag 2 MP3-CDs, Laufzeit: 910 Minuten Sprecherin. Eva Mattes ISBN 978-3-8445-2542-7 Buchversion im Suhrkamp Verlag |