Hotel Jasmin
Mittwoch, 12. Oktober 2016
Das Buch „Hotel Jasmin“ von Jasmin Ramadan kann ich ohne inhaltliche Spoiler nicht rezensieren. Wer das Buch also auf jeden Fall noch lesen wird, sollte meine Besprechung erst danach lesen.
Sohn-Mutter-Beziehung
Ronald Tarpenbek ist sich sicher
dass seine Mutter für immer aus seinem Leben verschwinden müsse, damit es für ihn vorangehen könnte mit seinen bald dreiundzwanzig Jahren.
Doch dann erscheint plötzlich ein Bild der Mutter in der Presse. Sie, die Grundschullehrerin, soll irgendetwas Schlimmes mit einem Kind aus Somalia gemacht haben.
Danach verschwindet sie. Spurlos. Trotzdem dauert es Monate, bis Ronald sich zu einer Vermisstenmeldung entschließt. Der Vorfall, den seine Mutter in die Presse brachte war schließlich schon kurz nach den Sommerferien und jetzt ist schon Dezember.
Roland Tarpenbek geht also zur Polizei, um die Vermisstenanzeige aufzugeben. Im Polizeirevier trifft Ronald ausgerechnet auf den Polizisten Edgar Lehmstedt. Edgar hat irgendwie mit seinem Job, seinem Leben, seiner Familie abgeschlossen und sehnt sich nur nach der Wüste. Edgar fertigt Ronald ab: die Polizei würde in diesem Fall nichts unternehmen.
Doch Ronald gibt nicht auf. Mit seinem letzten Geld geht er zur dubiosen Detektei von Laila Voss. Diese hellseherisch begabte Privatdetektivin übernimmt den Fall. Dazu drückt sie Ronald ein Diktiergerät in die Hand und eine Liste von Fragen die er beantworten soll oder auch nicht. Hauptsache, er bleibe bei der Wahrheit.
Monologe
Im zweiten Teil des Buches werden die Monologe auf dem Aufnahmegerät wiedergegeben. Nicht nur Roland kommt zu Wort, sondern auch viele andere Menschen aus Christianes und seinem Umfeld. So kommt ein sehr vielfältiges, zum Teil diametrales Bild Christianes zum Vorschein.
Diesen Teil empfand ich als schwer zu lesen, da die Texte fast ohne Absätze gedruckt wurden, sobald der Redeschwall der Erzählenden in Fluss kam.
Sehr unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Blickwinkeln äußern sich zur sehr zurückgezogen lebenden Christiane.
Da ist Lerke, eine „Freundin“ aus Kindertagen. Lerke ist eine erfolgreiche Autorin von Frauenromanen. Ihre Auffassung von politischer Stellungnahme ist, dass sie einen dunkelhäutigen Lover in die nächste Schnulze einbaut. Sie hält Christiane diverser Verbrechen für fähig und bezichtigt sie offen des Fremdenhasses. Ich und Lerke fragten sich, warum sie sich überhaupt noch mit Christiane abgegeben hatte.
Hauke, Lerkes Mann kommt auch zu Wort und stellt einige Geschehnisse etwas anders dar als vorher seine Frau. Außerdem kommen die Chefin, der Nachbar, die Wirtin der Stammkneipe, ein One-Night-Stand, die Geliebte des Sohnes und der Geliebte der Geliebten des Sohnes zu Wort. Danach haben wir nicht nur ein vielschichtiges Bild von Christiane und ihrem bisherigen Leben, sondern auch einen Einblick in die Beziehungen der Befragten untereinander. Das ist sehr amüsant.
Was ich als Leser immer noch nicht wusste: was ist denn nun so Schlimmes mit dem somalischen Mädchen passiert, das Christiane eine Titelseite in der Bild wert war? Das erhöht die Spannung!
Christianes Sicht
Darüber gibt dem Leser der dritte Teil des Buches Auskunft, in dem endlich auch Christiane mal zu Wort kommt. Hier wird das Bild einer vereinsamten Frau gezeichnet, die ihren einzigen Sohn einfach nicht loslassen kann. Ihre Erzählung startet mit dem Beginn der Sommerferien. Eine Zeit, die ihr verhasst ist, da ihr der geregelte Tagesablauf fehlt.
Sie versucht die Annäherungsversuche des Nachbarn abzuwehren, raucht viel und versucht in der Kneipe „Bettkante“ erfolglos zur Alkoholikerin zu mutieren. Auch an härtere Drogen denkt sie, als sie einen ehemaligen Schulfreund am Bahnhof widertrifft, der ihr Tabletten zusteckt,
Du solltest Rhinozeros probieren, es macht erst mal ordentlich Wumms und ordnet alles neu, es erzählt dir deine eigene Geschichte.
Doch trotz dieser Versprechungen während dieser total surrealen Begegnung, nimmt sie diesen Ausweg nicht.
Sie steckt noch einige Tiefschläge ein, bis sie mit einem tierischen Kater verspätet am ersten Schultag vor ihrer Klasse steht. Erst hier, nach knapp 200 Seiten erfährt der Leser was wirklich passiert ist. Und das will ich hier auch nicht verraten;).
Hotel Jasmin
Die Umstände bringen Christiane dazu über ihren Schatten zu springen und eine gewonnene Reise nach Kairo anzutreten. Dort angekommen, fühlte ich mich als Leser wie in einem Film von David Lynch. Knaben verwandeln sich in alte Männer, nichts ist fest, alles in Bewegung.
Christiane landet im Hotel Jasmin, welches eine Art Zuflucht für Gestrandete aus der ganzen Welt zu sein scheint. Die Erlebnisse in dieser tollen Stadt sind wunderbar beschrieben.
Das Hotel Jasmin wirkt ganz aus unserer Welt und Realität gefallen, Zeit ist nicht mehr messbar, wie ein Ruheort, an dem man verweilen und Entscheidungen treffen kann, oder auch für immer bleibt.
Ich halte diesen Teil für ein sehr persönliches Kapitel der Autorin. Sicher ist es kein Zufall, dass das Hotel ihren Vornamen trägt und der nette ältere Herr, den Christiane dort kennenlernt, Ramadan mit Nachnamen heißt und eine Tochter in Hamburg hat.
In einem Interview mit der Bild erfahre ich, dass die anderen Personen im Buch erfunden seien. Ich habe aber stark den Verdacht, dass auch die Mutter vorkommt…
Interview folgt
Wenn Jasmin Ramadan ihrem Vater eine Art literarisches Denkmal setzen wollte, weiß ich nicht genau, wie sich dieses mit dem Rest der Geschichte verbinden soll. Da mir das keine Ruhe lässt, habe ich über den Verlag ein Interview mit der Autorin vereinbart. Es wird nach ihrer Lesung im Kölner Literaturhaus Ende Oktober auf dem Blog erscheinen.
Happy End durch Selbstmord?
Im letzten Kapitel, das trotz eines gemeinschaftlichen Suizids wie ein Happy End erscheint, kommt es zu einer unvermuteten Begegnung in der Wüste. Es lohnt sich beim Lesen des Buches aufmerksam auf Nebenfiguren zu achten, denn auch in diesem Buch bewahrheitet sich das Sprichwort „man begegnet sich immer zweimal“. Man muss es hier auf die Protagonisten und den Leser anwenden…
Fazit
So ganz weiß ich nicht was mir das Buch sagen soll. Ich hoffe das Gespräch mit Jasmin Ramadan hilft mir weiter. Die Zeichnung der Figuren ist meiner Ansicht nach der Punkt, in dem sich das schriftstellerische Talent von Jasmin Ramadan am besten zeigt. Sie schafft es auch die Nebenfiguren lebendig werden zu lassen. Die Beschreibung der Schauplätze ist so gut, dass ich einen Film im Kopf hatte.
Die Autorin
Bekanntgeworden ist Ramadan auch durch ihr Debüt Soul Kitchen. Der Geschichte erster Teil – das Buch vor dem Film . Es erzählt die Geschichte, die vor der Handlung im erfolgreichen Film Soul Kitchen von Fatih Akin spielt.
Auch die Welt interviewt Ramadan nach dem Erscheinen dieses Buches und verrät uns ein paar persönliche Informationen über die Autorin.
Verlagsangaben
Jasmin Ramadan
Hotel Jasmin
269 Seiten
Klett-Cotta Verlag
ISBN 978-3-608-50142-1
[D] 18,95 € (gebundene Ausgabe)
Guten Abend,
ich finde, dass du eine sehr ansprechende und spannende Rezension geschrieben hast. Dennoch glaube ich, dass das Buch meinen Geschmack nicht wirklich treffen würde. Aus diesem Grund nehme ich von dem Buch dann doch Abstand. ich bin aber gespannt, ob du durch das Interview mit der Autorin wirklich noch nähere Einblicke bekommst, die dir das Buch erklären. Auch wenn ich finde, dass eine Geschichte sich aus sich selbst heraus erklären muss, so bin ich doch gespannt auf deine Erkenntnisse.
LG und hab einen schönen Abend
Yvonne
#litnetzwerk
Hallo Yvonne,
Ich schätze Bücher, über die ich nachdenken muss. Solange mir das Lesen des Buches Freude macht. Und das war hier der Fall.
Ich freue mich auf das Treffen mit der Autorin. Vielleicht kann ich dich durch das Interview ja noch umstimmen.
Grüße
Silvia