Interview mit dem Autor Jürgen Volk
Freitag, 22. September 2017
Jürgen Volk über unbedingt
Jürgen Volk ist Autor, Verleger und Kunsthistoriker. Sein Buch „Unbedingt“ über die Zeit von Vincent van Gogh und Paul Gauguin in Arles ist im Bernstein Verlag erschienen.
Jürgen hat sich bereit erklärt mir einige Fragen zu seinem Buch und sich selbst zu beantworten.
Faszination
Silvia: Die Ereignisse am 23.12.1888 sind umstritten. Wie kommt es, dass daran immer noch geforscht wird? Was macht die Faszination aus?
Jürgen: Vincent van Gogh und Paul Gauguin gehören zu den Malern, die die Kunstgeschichte maßgeblich beeinflußt haben. Viel wichtiger ist aber, dass durch seinen Malerfreund Bernard und den Kunsthistoriker Meier-Graefe bereits sehr früh eine Mythenbildung um van Gogh einsetzte, die ich in meinem Roman ja auch ein stückweit versuche zu demontieren. Diese Mythenbildung um die Person van Gogh führte zu seiner hohen Popularität, weit über die Kunstgeschichte hinaus. Die Faszination rührt einerseits daher, dass man trotz aller Forschungsarbeit, trotz aller medizinischen, psychologischen, forensischen und historischen Gutachten bis heute nicht genau weiß, was passiert ist. Fragt man auf der Straße nach van Gogh, dann gehört wohl das abgeschnittene Ohr zu den häufigsten Antworten, die man bekommt. Dafür ist er berühmt. Was genau warum geschehen ist, lässt sich bis heute nicht rekonstruieren. Und da wird es auch für die Forschung zum Werk wieder spannend. Wenn wir mal vom 23.12.1888 absehen und uns dem 29.07.1890 zuwenden, haben wir noch so ein umstrittenes Ereignis, das ich im Buch bewusst offen lasse. Der beide Pulitzer-Preisträger Steven Niafeh und Gregory White Smith, also wahrlich keine Verschwörungstheoretiker, haben unlängst mit ihrer These, dass van Gogh nicht den Freitod gewählt habe, sondern ermordet worden sei, für Wirbel gesorgt. Gesetzt den Fall, das stimmt, dann müssten viele Werke van Goghs neu interpretiert werden, nicht nur die unmittelbar vor seinem Tod entstandenen. Genauso verhält es sich mit den Ergeignissen vom 23.12.1888. Deshalb ist es nicht nur faszinierend, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen, sondern es kann auch ausschlaggebend für die Forschung werden, denn entgegen anderer Forschungsrichtungen vertrete ich den Standpunkt, dass Biographie und Werk nicht getrennt voneinander betrachtet werden sollten.
Recherche
Silvia: Wie lief die Recherche ab? Sind die Briefe der Beiden öffentlich zugänglich?
Jürgen: Meine Recherche erstreckte sich über einen längeren Zeitraum. Etwa acht Jahre. Irgendwann während des Studiums habe ich Dr. Rita Wildegans getroffen und im Anschluss ihr Buch Van Goghs Ohr gelesen. Ich habe ja u.a. Kunstgeschichte studiert und aus einer anfänglichen Recherche zu den Malern, speziell ihrer gemeinsamen Zeit in Arles, wurde dann eines meiner Examensthemen. Die Idee zu „Unbedingt“ kam mir schon während des Studiums. Auch die ersten Seiten hatte ich damals geschrieben. Die vollständige Niederschrift erfolgte dann aber erst drei Jahre nach meinem Studium in Berlin. Während dieser Zeit habe ich durchweg Zola gelesen. Einerseits, weil die beiden Maler den Schriftsteller vereehrten, in Arles auch über ihn diskutierten, zum anderen weil ich ihn selbst verehre und dadurch in die Epoche abtauchen konnte. Nicht nur literarisch.
Das gelbe Haus
Silvia: Das Gelbe Haus wurde 1944 durch einen Bombenangriff auf Arles zerstört. Woher kommen die detaillierten Beschreibungen der Inneneinrichtung?
Jürgen: Die gemeinsame Zeit, die van Gogh und Gauguin in Arles verbracht haben, zählt zu den Sternstunden der Kunstgeschichte. Dementsprechend ist das Forschungsinteresse bis heute sehr groß. Der Grundriss des Hauses liegt vor, es gibt Gemälde van Goghs, die Einblicke liefern. Dazu hat er in seinen Briefen sogar Skizzen gemacht und das Haus sehr präzise beschrieben. Auf einer Lesung wurde ich einmal gefragt, weshalb ich den Konflikt zwischen van Gogh und Gauguin so eindringlich vor Augen führen könne. Als gebürtiger Bayer habe ich geantwort, dass dies für mich mit dem Gelben Haus zusammenhänge, denn während die beiden Maler im Atelier malten, tobte draußen der Mistral und schlussendlich führte das beengte Zusammenleben zu dem, was in Bayern Hüttenkoller genannt wird. Die Beschreibungen wirken vielleicht auch deshalb so detailliert, weil das Gelbe Haus schon fast eine der dramatis personae geworden ist.
Arles
Silvia: Hast Du Arles besucht? Welche Spuren hat van Gogh hinterlassen?
Jürgen: Arles direkt habe ich nie besucht, entweder war kein Geld oder keine Zeit vorhanden, dafür kenne ich Frankreich sehr gut, da ich privat sehr enge Verbindungen in das Land habe und viel Zeit in Frankreich verbracht habe und verbringe. Glücklicherweise gibt es aber das Internet und dort finden sich virtuelle Rundgänge durch Arles und alles was das Herz begehrt. Auf der Webseite zum Roman sind alle Handlungsorte und Infos dazu versammelt.
Heute kommt van Gogh natürlich dem Tourismus in Arles zugute, auch wenn die Bevölkerung damals alles andere als offen und freundlich mit ihm umgesprungen ist … Vom Museum bis hin zu Führungen oder rekonstruierten Schauplätzen wie der Pont de Langlois gibt es dort das ganze Programm. Die Brücke war beispielsweise seinerzeit abgerissen und durch eine Stahlbrücke ersetzt worden. Heute befindet sich 2km vom ursprünglichen Standort entfernt eine Rekonstrukution für die Touristen.
Absinth
Silvia: Hast du schon mal richtigen Absinth getrunken?
Jürgen: Ja, natürlich. Ein Muss! Leider gibt es den „richtigen“ Absinth in Deutschland nicht im Handel. Der beste, den ich bisher getrunken habe, stammte aus Tschechien. Nur eines mach ich nicht mehr: Während meiner ersten Lesung im Peppi Guggenheim Berlin gab es anlässlich der Buchpremiere auch eine Absinth-Aktion. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, hab ich mich mit Absinth statt Wasser vors Mikro gesetzt. Der – jetzt auch mir – bekannte Vorlese-Alkohol-Effekt setzte voll ein und mein Mund wurde mit jedem Schluck trockener. Die Lesung habe ich dennoch gut überstanden – meine Zunge war ja gut geölt …
Wohngemeinschaft
Silvia: Die Vorstellung einer WG mit zwei so berühmten Künstlern brachte mich zum Schmunzeln. Über putzen, kochen, einkaufen und ähnliche profane Alltagstätigkeiten hatte ich mir vorher keine Gedanken gemacht. Mit wem würdest du gerne mal für ein paar Monate in eine WG ziehen?
Jürgen: Ich bin ja nicht nur Autor, sondern habe vor drei Jahren den Verlag duotincta mitbegründet. Jedes Jahr zur Leipziger Buchmesse quartieren wir uns mit unseren Autoren, zusammen in einer Leipziger Wohnung ein. Eine bessere und kreativere WG als die duotincta-WG könnte ich mir nicht vorstellen … Jedenfalls möchte ich ganz sicher nicht mit van Gogh und Gauguin in einer WG leben. Die beiden haben lange genug in meinem Inneren getobt.
Pläne
Silvia: Hast Du weitere eigene Buchpläne?
Jürgen: Derzeit entwickle ich drei Projekte parallel. Eines davon ist im China des 19. Jahrhunderts angesiedelt, eines in der Gegenwart in Berlin und das am weitesten vorangeschrittene – die 100er-Marke ist bereits geknackt – spielt in Form einer Dystopie in der Zukunft. Leider komme ich mit Job, Verlag und Privatleben nicht so viel zum Schreiben, wie ich mir das oft wünsche. Andererseits habe ich gemerkt, dass sich ein Stoff besser entwickelt, wenn man ihn wie einen Hefeteig aufgehen lässt. „Gut Buch will Weile haben“, wie Nietzsche sagt.
Dank
Vielen Dank, lieber Jürgen, für dieses interssante Interview. Es ist übrigens das zweite Interview mit Jürgen. Er hat uns auch schon mal seinen Verlag duotincta vorgestellt.
Weitere Informationen gibt es auf der Webseite von Jürgen Volk, der Webseite zu seinem Buch Unbedingt und auf der Verlagsseite. Meine Rezension zu Unbedingt findet ihr auch auf diesem Blog.
Ich freue mich, Jürgen im Oktober auf einer Lesung in Siegburg in der Bernstein Verlagsbuchhandlung und einer Vorstellung des Verlags duotincta in Angelikas Büchergarten wieder zu treffen.