Jessie Greengras: Und dann verschwand die Zeit
Mittwoch, 31. Mai 2023
Das Leben in der Klimakatstrophe

Das High House ist ein kleines Landhaus mit einem Garten, es liegt auf einem Hügel. Drei Menschen leben dort noch. Das Dorf nebenan existiert nicht mehr. Es ist untergegangen, als sich der Meeresspiegel anhob. In dem Buch ist nicht mehr fünf vor zwölf, was die Klimakatastrophe angeht, sondern schon eher 15 Minuten nach zwölf. Sie ist auch in Großbritannien angekommen.
In einer Welt, in der vieles aus unserem bekannten Leben verschwunden ist, ist High House eine Insel des Überlebens.
Selbstversorgung
Der Aufenthalt in dem Haus wurde akribisch geplant. Es gab eine ganze Scheune voll mit Kleidung, Lebensmitteln, Medikamenten und anderen Artikeln des täglichen Bedarfs. Außerdem gibt es ein Mühlrad, mit dem ein Generator abgetrieben werden kann. Obstbäume- und Büsche, etwas Land um Gemüse und Getreide weiteres zu kultivieren. Auch Frischwasser ist vorhanden.
So ist High House eine Oase, die das Überleben für dessen Bewohner sichert.
Trotzdem leben die drei nach einigen Jahren mehr oder weniger von der Hand in den Mund. Bevor sie etwas anbauen überlegen sie sich gut, ob es der Mühe lohnt. Denn harte Arbeit verbraucht Kalorien. Vielleicht ist es besser auf etwas zu verzichten, was wenig Kalorien bringt, aber sehr mühsam in Anbau und Ernte ist.
Umgebung
Früher war das Dorf in der Nähe ein wohlhabender Fischerort. Dann kam der Strukturwandel, die Häuser wurden fast alle als Ferienhäuser genutzt. Es gab nur noch sehr wenige tatsächlich Bewohner.
Jetzt, nach dem Anstieg des Meeresspiegels, sind nur noch High House und die Kirche nutzbar. Bei den Beschreibungen musste ich an Untergegangene Dörfer denken, weil an ihrer Stelle Stauseen errichtet wurden, z.B. wie Altgraun am Reschensee, wo nur noch der Kirchturm herausschaut. Ist das die Landschaft, die uns bald erwartet?

Und natürlich wird auch die Erinnerung an die Flutkatastrophe an der Ahr und vielen anderen Flüssen in Deutschland 2021 wieder wach. Das hat uns einen kleinen Vorgeschmack gegeben auf das, was da wohl noch auf uns zu kommt.
Vorgeschichte
Der Roman ist aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Da ist Caro und ihr Bruder Pauly. Deren Eltern haben High House für sie vorbereitet. Sie waren sehr aktive Klimaaktivisten und haben bis zuletzt immer wieder versucht die Menschheit zur Vernunft zu bringen. Doch anscheinend haben sie selbst nicht mehr an ein Umdenken geglaubt. So haben sie das Haus und das Grundstück für ihre Kinder vorbereitet. Caro wir beim Umzug etwa 18 Jahre alt, Pauly ging noch in den Kindergarten.
Dann ist da noch Sally, sie wuchs bei ihrem Großvater im Dorf auf. Grandy, wie sie ihn nannte, war Anfangs auch noch mit von der Partie. Er und Sally waren da, um Caro und Pauly nach dem Umzug aufzufangen und auch für ein Leben dort anzuleiten. Vor allem der alte Mann wusste viel, was das Überleben nach der Katastrophe überhaupt erst möglich machte.
Eine Arche zu bauen, genügt nicht, man muss auch wissen, wie man sie steuert.
Zeitebenen
Der Roman spielt auch in verschiedenen Zeitebenen. Vor allem Sally und Caro beschreiben ihr Leben vorher und auch den Alltag danach.
Pauly kann sich an das vorher fast nicht mehr erinnern. Für ihn war das Wasser schon immer da.
So gibt es auch noch eine Art Zeit dazwischen: sie leben schon in diesem Haus, aber es gibt noch Lieferdienste, Internet, erreichbare Zivilisation. Später gibt es nur noch sie drei.
Perspektivlos
So sind die drei zwar Überlebende, haben aber trotzdem keine wirkliche Perspektive. Denn was ist, wenn einer einen Unfall hat? Oder ernsthaft krank wird? Sie haben keine Nachkommen, die Vorräte gehen zur Neige, es ist nicht einfach alles Benötigte selbst herzustellen. Sie sind aufeinander angewiesen, die beiden Frauen haben als Lebensziel Pauly zu schützen, denn er war noch so hilflos, als sie zusammenzogen.
Pauly dagegen denkt darüber nach, wer ihn denn mal beerdigt, wenn er als Letzter übrigbleibt.
Sie wirken nicht frustriert oder depressiv, dafür hat der Alltag, das pure Überleben, sie zur sehr gefangen. Doch frage ich mich als Leserin schon: wozu? Ist das nicht nur ein Hinausschieben des Unvermeidlichen? Hätte ich mich direkt in die Fluten geworfen? Wahrscheinlich nicht, solange es noch jemanden gäbe, der von mir abhängig gewesen wäre.
Dilemma
Hätten sie nicht noch weitere retten können? Hätten sie noch mehr Menschen bei sich aufnehmen können? Das ist ein schweres Dilemma. Denn für mehr hätte das, was sie an Ertrag haben, wahrscheinlich nicht gereicht.
Doch so haben sie, besonders am Anfang, ständig ein schlechtes Gewissen gehabt. Anfangs waren sie noch zu viert. Einem weiteren Menschen haben sie tatsächlich angeboten bei ihnen zu bleiben, doch dieser lehnte ab.
Die Welt scheint untergegangen zu sein, sonst kann ich mir nicht erklären, dass niemand kommt. Ich habe auch immer mit Plünderern gerechnet, doch das Ausbleiben wird dadurch erklärt, dass High House abgeschieden liegt und von den verbliebenen Straßen aus nicht gesehen werden kann.
Das Zusammenleben unter diesen auch psychologisch schwierigen Bedingungen funktioniert auch nur, weil dort so tolle Menschen zusammenleben. Mit anderen Charakteren, wäre der Versuch vielleicht schon früh gescheitert.

Klimarettung?
Der zweite Roman, den ich kurz hintereinander über die Auswirkungen der Klimakatastrophe lese. Irgendwie habe ich auch keine Hoffnung mehr, dass wir Menschen das nochmal in den Griff bekommen. Trotzdem sollten wir alles daransetzen, dass es nicht so schlimm wird, wie hier ausgemalt.
Caro sagt über unsere, jetzige Zeit:
Es fällt mir sehr schwer, mich jetzt daran zu erinnern, wie es war, in diesem Raum zwischen zwei Zukunftsvarianten zu existieren, unser ganzes Leben in die Lücke zwischen Furcht und Sicherheit zu stopfen -, doch ich glaube, es war meist wie in diesen Träumen, aus denen man unbedingt erwachen will, aber es nicht schafft, stattdessen wieder und wieder zurücksinkt auf die Matratze, die Bettdecke fallen lässt und die Augen schließt.
Tja, wir träumen nicht und müssen aufstehen.
Denn die Folgen spüren wir alle bereits. Das Wetter hat sich geändert. Hitzeperioden und Starkregen machen auch hier in einer gemäßigten Zone das Leben nicht einfacher. Leugnen kann das wohl niemand mehr. Es ist der sprichwörtliche Tanz auf dem Vulkan. Und da ist das in unseren Breiten noch gar nicht so extrem.
Schon seit Jahren hatten wir zugesehen, wo Menschen ertranken, mit dem einzigen Unterschied, dass das alles vorher irgendwo in der Ferne geschehen war, weit weg von uns.
Alle sind bestürzt, aber sobald es an den eigenen Geldbeutel oder gar den Komfort geht, halten sich die meisten plötzlich zurück. Vielleicht gehöre ich wirklich einer der letzten Generationen der Menschheit an.
Man denkt, man hat noch Zeit. Und dann hat man plötzlich keine mehr.
Fazit
Und dann verschwand die Zeit von Jessie Greengrass, ist ein sehr eindringlicher Roman. Er macht schnell klar, was uns erwarten könnte, selbst wenn man so privilegiert ist ein High House zu haben. Die Gedanken vorher und nachher der Protagonisten sind sehr einfühlsam beschrieben, ohne je zu emotional zu werden. So ist auch deren Gedankenwelt und das Zusammenleben das Thema des Buches. Es ist auch ein Buch über Liebe, allerdings nicht im romantischen Sinne. Ein Roman mit langem Nachhall ohne sensationsheischend zu werden.
