Livia Görner: Die Wahrheit übers Kinderkriegen
Freitag, 12. Dezember 2014
Ein Buch übers Kinderkriegen! Ich? Ich dachte, das Kapitel wäre abgehakt. Sind meine Kinder doch inzwischen in der Pubertät und andere Ratgeber angesagt. Aber wenn die eigene Hebamme von „damals“ ein Buch schreibt, wird man doch neugierig. Und so habe ich mir dieses Buch besorgt.
Livia Görner ist seit 30 Jahren Hebamme, Beleghebamme, um genau zu sein. Sie kümmert sich bereits in der Schwangerschaft um „ihre“ Frauen, geht mit zur Geburt ins Krankenhaus und macht später auch die Nachsorge. In Deutschland gibt es nicht mehr viele von diesen Hebammen, da die Arbeitszeiten total flexibel sind und man nie genau weiß, wann der nächste Einsatz ansteht. Für das Privatleben sicher keine optimalen Voraussetzung.
In ihrem Buch beschreibt sie ihren Job von Anfang bis Ende. Sie beschreibt, wann sie ihre Frauen kennenlernt, wie sie sie betreut vor, während und nach der Geburt.
Der Leser erhält einen detaillierten Einblick in den Arbeitsalltag einer Hebamme. Livia Görner erzählt, was wirklich wichtig ist. Sie kritisiert die heutige Babyindustrie, die den Frauen weismachen möchte, dass man allen möglichen Schnickschnack fürs Kind braucht, schreibt sehr kritisch über die Pränataldiagnostik, die immer besser wird. Viele Kinder werden heute nach eindeutigen Diagnosen abgetrieben, im Gegensatz dazu versuchen Ärzte Frühchen, die viel zu früh auf diese Welt kommen, mit aller Macht durchzubringen.
Beschrieben werden auch die vielfältigen Probleme, mit denen sie immer wieder konfrontiert wird. Es wird einfach in vielen Fällen während der Schwangerschaft viel zu selten die Wahrheit gesagt. Die natürliche Geburt, das schöne Geburtserlebnis etc. stehen häufig an oberster Stelle, wenn die Schwangeren in den Kreißsaal kommen. Und dort werden sie dann mit der Realität konfrontiert. So eine Geburt ist auch im 21. Jahrhundert immer noch Schwerstarbeit. Das Leben von Mutter und Kind steht an erster Stelle und da ist plötzlich alles Gerede von natürlicher Geburt irrelevant, wenn es Probleme gibt.
Das Buch lässt sich mit seinen gut 200 Seiten schnell bewältigen. Schade, dass ich es nicht vor meinen beiden Geburten lesen konnte, es hätte mir in einigen Dingen geholfen. Daher kann ich es allen Schwangeren ans Herz legen, die keine Angst vor der Realität haben.
Frau Görner beschreibt sich selbst als unsentimentale, resolute Frau. Das sind gute Eigenschaften für eine Hebamme, denn solche Frauen trifft man heute immer weniger. Die „Kuschelmentalität“ breitet sich immer mehr aus und in manchen Bereichen wie Geburt, Schule etc. gehört sie nicht immer hin bzw. erschwert sie meiner Meinung nach häufig mehr als das sie guttut.
Mein Sohn ist eines ihrer 4000 Kinder, die sie auf die Welt geholt hat. Eine ambulante Geburt war unser Wunsch, wir trafen uns nachts im Krankenhaus und wir witzelten beim Eintreffen, das wir zum Frühstück wieder zu Hause sein wollten. Als die Schmerzen schlimmer wurden, sollte es dann eine Betäubung sein. Frau Görner meinte dazu ganz trocken, dann kann ich aber nicht zu Hause frühstücken, weil ich im Krankenhaus bleiben müsste. OK, also keine Betäubung! Für diesen Spruch bin ich ihr heute noch dankbar! Wir waren lange vor dem Frühstück wieder zu Hause und konnten uns ganz entspannt in unser eigenes Bett legen – mit dem süßen kleinen neuen Erdenbürger.
Ich bin froh, dass es noch solche Hebammen gibt, die sich auf diese absolut flexiblen Arbeitzeiten einlassen. Es ist toll, wenn man im Krankenhaus nicht auf völlig fremde Menschen stößt, die dann vielleicht noch während der Geburt wechseln, weil eine Schicht zu Ende ist und eine neue beginnt.