Macht
Dienstag, 5. April 2016
Wir befinden uns im Jahr 2031, in einem kleinen Hamburger Vorort. Wir begleiten den schrullig wirkenden Ich-Erzähler Sebastian. Er ist schon 70, hat zwei kleine Kinder und seine jüngere Frau ist verschwunden. Die Kinder wohnen meist bei seiner Schwiegermutter, er hat sie nur selten bei sich.
2031: Kurz vor der Apokalypse
2031 herrscht in Deutschland Staatsfeminismus. Doch auch das zieht den Karren nicht mehr aus dem Dreck. Der Naturkollaps steht kurz bevor, daran kann auch nichts mehr ändern, dass es Fleisch nur noch für sehr viel Geld und gegen CO²-Punkte gibt. Die von Menschen gemachte Apokalypse steht laut vielen Wissenschaftlern kurz bevor. Die Anzeichen dafür sind unübersehbar. Es ist im April schon 40° heiß, der genmanipulierte Raps wächst überall, unheimlich starke Stürme ziehen durch das Land.
Da steht das Abi-Treffen an. Abiturjahrgang 1981 und alle sehen aus wie 20, höchstens 30. Das liegt an einem Medikament, Ephebo genannt, das den Körper viel jünger macht. Das Krebsrisiko steigt zwar auf 80 %, aber was soll’s? Die Welt geht doch sowieso bald unter! Menschen, die alt aussehen werden von der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert. Auf dem Abi-Treffen findet Sebastian auch Elli wieder, seine alte Jugendliebe. Sie sieht auch aus wie früher! Sie fangen direkt was miteinander an.
Der einzige störende Faktor dabei ist Sebastians erste Frau, die nämlich nicht wirklich verschwunden ist, sondern von Sebastian im Keller an einer Kette gefangen gehalten wird. Sie hat dort eine Art fensterloses Appartement mit Küche und Bad, nennt ihn „mein Gebieter“ und backt regelmäßig seine Lieblingsplätzchen und wehrt sich kaum noch gegen seine Vergewaltigungen. Was will Mann mehr?
Macht
Macht ist der bestimmende Faktor. Nachdem Sebastians Frau erfolgreicher war als er, konnte er die Macht, die sie auf ihn ausübte nicht mehr ertragen und drehte den Spieß auf Psychopatenart um. Die Gewalt- und Machtszenen im Keller sind schon hart. Trotzdem liegt über dem ganzen Buch eine Art satirischer Humor, der mich immer wieder zum schmunzeln brachte.
Die Autorin hatte schon viele Ideen die Zeit darzustellen. Die Namen der Kinder, die Religionen, der Schlägertyp von früher, vor dem immer noch alle Angst haben. Und Sebastians Versuche das Haus der Eltern wieder in dem Originalzustand der 1960iger Jahre herzustellen (mit Tapeten, Möbeln, Geschirr…).
Doch das Buch ist keine Komödie. Es ist ein sehr gesellschaftskritischer Versuch uns alle wachzurütteln. Duve lässt keinen Zweifel: wenn wir so weitermachen wie bisher, ist das beschriebene Szenario nicht sehr unwahrscheinlich.
Und dabei geht es nicht nur um die Zerstörung der Umwelt. Im Buch haben alle Länder Mauern um ihre Grenzen errichtet, um Flüchtlinge abzuhalten. Kommt das hier jemandem bekannt vor? Die Jugendarbeitslosigkeit ist immens hoch, die Gewaltbereitschaft dadurch auch. Und welche Perspektive soll man haben, wenn bald mit allem Schluss ist?
Jugendwahn
Daneben steht noch der Jugendwahn. Aus 80jährigen Greisen werden wieder agile 30iger, es gibt chrono- und bio-Zwanziger. Vor allem von Frauen wird gesellschaftlich erwartet, dass sie die volle Dosis nehmen, also wieder wie knackige junge Mädels aussehen. Der Krebs als wahrscheinliche Nebenwirkung wird in Kauf genommen. Und wer Krebs hat, bekommt keine Leistungen einer Krankenversicherung. Chemo ist abgeschafft. Mit Krebs landet man direkt im Hospiz. Aber wen kümmert das, wenn die Natur sowieso kollabiert?
Das Buch kritisiert unsere jetzige Lebensweise extrem. Es reizt sehr zu Diskussionen. Es ist aber auch eine Satire, die unsere Gesellschaftsthemen aufgreift und zuspitzt. Und es ist ein Buch über Macht.
Macht in allen Variationen. Die Macht des körperlich Überlegenen, die Macht der Wirtschaftsbosse, die Macht der Politiker, die Macht der Medien, die Macht des Sex, die Macht der Religionen. Alles wird von Macht bestimmt und sie wird ständig missbraucht.
Lesung
In einer Autorenlesung beschreibt Duve das Buch als Dystopie mit Lichtblicken und netten Aspekten. Bei der beschriebenen Welt hat sie sich für eine der schlimmeren Alternativen entschieden. Sie wäre selbst mal ein ignorantes Diskogirl gewesen und hat ihre Jugend lieber in der „Disko Zitrone“ verbracht, als auf Demos gegen Atomkraft. Doch durch viel Recherchearbeit, auch schon zu vorherigen Büchern hat sie sich zu jemanden entwickelt, der die Missstände anprangern möchte.
Zu den Beweggründen von Sebastian „Ich tue etwas ganz Schlimmes und komme trotzdem damit durch. Das ist die richtige Macht.“ Früher war Sebastian Umweltaktivist, doch das hat alles nichts gebracht. „Alle seine Werte gelten nichts mehr, alle Mühe war umsonst. Doch jetzt, kurz vor der Apokalypse hat er nochmal richtig Spaß.“
Interessant fand ich auch, dass sie Zitate von realen Psychopaten hat einfliessen lassen. Zum Beispiel von dem Mann, der N. Kampusch über Jahre gefangen hielt. Dadurch wollte Duve alles realer wirken lassen.
Sie möchte mit dem Buch dem Leser etwas zumuten. Sie wollte extra mit drastischen Szenen provozieren und kein Wohlfühlbuch schreiben.
Und das ist ihr eindeutig gelungen!
Das Buch hält mir in einigen Punkten den Spiegel vor. Können wir jetzt noch was ändern? Ich weiß es nicht. Solange Geld die Macht hat, wird das wohl nichts. Aber wenn wir jetzt nicht anfangen die Zukunft zu retten, wann dann?
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Macht Karen Duve Galiani Berlin Verlag ISBN: 978-3-86971-008-2 416 Seiten, [D] 21,99 € |
Hui, bei der Leseprobe haben sich mir ordentlich die Nackenhaare gestellt.
Ja, das Buch ist nicht ohne!