[Rezension] Familie der geflügelten Tiger von Paula Fürstenberg
Sonntag, 12. März 2017
Rezension und Gespräch
Die Neuentdeckung der Frankfurter Buchmesse 2016 war Paula Fürstenberg mit ihrem Debüt „Familie der geflügelten Tiger“.
Wir (Silvia und Astrid) haben das Buch beide gelesen und wollen Euch hier unsere Eindrücke mitteilen.
Junge Autoren schreiben über die DDR
Astrid: Mir imponiert die Autorin wegen des Buchthemas sehr. Ich frage mich häufig, warum gerade junge Menschen die DDR aufgreifen. Sie sind vielleicht noch dort geboren, aber wirklich „erlebt“ haben sie das Leben dort nicht mehr. Aber anscheinend wirkt die Geschichte noch lange nach.
Hast Du eine Erklärung dafür?
Silvia: Nicht wirklich. Ich merke aber bei meinen eigenen Kinder einen gewissen „Grusel“ wenn es um diese Zeit geht. Eine Mauer quer durch Deutschland ist für sie total absurd. Nun sind meine Mädels jünger als die Paula Fürstenberg, doch kann ich mir vorstellen, dass man sich mit der Vergangenheit der Eltern und damit auch der eigenen beschäftigen möchte. Das betrifft anscheinend vor allem Menschen, deren Wurzeln in Ostdeutschland liegen. Die meisten Bücher mit diesem Thema stammen von solchen Autoren.
Inhalt
Astrid: Für alle, die das Buch nicht gelesen haben, hier erst einmal der Inhalt:
Die inzwischen 30jährige Autorin schreibt über ihre Heimat. Kurz vor dem Mauerfall in Potsdam geboren kann sie sich nicht an die DDR erinnern. Ihr erster Roman spielt in der ehemaligen DDR und in Berlin. Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Johanna wächst mit ihrer Mutter in der Uckermark auf, geht nach dem Abitur nach Berlin um dort den Beruf des Straßenbahnführers zu erlernen. Sehr zum Entsetzten der Mutter, die ihr gerne Bücher auf den Schreibtisch legt mit Dingen, die sie wichtig für ihre Tochter findet. Der Vater hat sich schnell nach ihrer Geburt aus dem Staub gemacht. Man sagt er ist in den Westen gegangen. Gehört hat die Mutter lange nichts von ihm, obwohl die Grenze sehr bald nach seinem Verschwinden geöffnet war. Und das Warum und Wieso wurde angeblich auch nie geklärt. Als Johanna in Berlin ist, meldet sich der Vater bei ihr. Leider nur, um ihr mitzuteilen, dass er todkrank ist und nicht mehr lange zu leben hat. Johanna macht sich auf die Suche nach der Wahrheit.
Astrid: Wie hat dir das Buch gefallen?
Silvia: Der Stil, die Wortwahl und vor allem die gefakten Stasiprotokolle haben mir sehr gut gefallen. Und die Erzählungen aus dem Leben einer Strassenbahnfahrerin. Ich warte jetzt immer darauf, dass auch der Fahrer meiner Bahn plötzlich flüchtet. Und dieses Gefühl etwas verpasst zu haben, als Johanna nicht mehr mit ihrem Vater sprechen kann. Diese Angst kenne ich bei meinen eigenen Eltern. Wie lange kann ich noch ihre Erzählungen hören und wie kann ich meine Kinder motivieren ihnen zuzuhören? Welche Wirklung hatte das Buch auf dich?
Astrid: In erster Linie habe ich es als traurige Familiengeschichte empfunden. Durch den Ort des Geschehens wirft es viel mehr Fragen auf als wenn diese Familie im Westen angesiedelt gewesen wäre. Ich lese gerne Geschichten aus der ehemaligen DDR. Der Fall der Mauer ist bei mir ähnlich präsent wie 9/11 und daher komme auch ich immer wieder auf dieses Thema zurück. Das ist bei Dir nicht so, oder?
Silvia: Nein, ehrlich gesagt habe ich manchmal das Gerfühl, dass sich die deutsche Literatur auf diesen Teil der Vergangenheit reduziert. Es wird mir zu oft thematisiert. Doch dieses Buch kann ich auch als Familiengeschichte sehen. Kinder, die nur bei einem Elternteil aufwachsen, sind sehr häufig.
Das Cover
Astrid: Wie hat dir das Cover gefallen? Die Mitarbeiter vom Verlag erzählten, dass die Coververantwortlichen das Buch zumindest in Ansätzen kennen. Das ist bei diesem Cover zu spüren, oder?
Silvia: Ja, auf jeden Fall. Wie bei dem Messegespräch erklärt wurde, können die bunten Linien als Strassenbahnlinien angesehen werden. Ich sehe es eher als die Lebenslinien der Protagonisten.
Astrid: Bei der Buchmesse haben wir auch die Lektorin kennengelernt. Das gefiel mir sehr gut, da wir dadurch auch ein wenig in deren Arbeit eintauchen durften.
Silvia: Das stimmt. Ich würde gerne mal eine Lektorin interviewen, um zu erfahren wie die Arbeit genau abläuft. Wie groß ist der Einfluss? Wieviel wird geändert und warum?
Der Titel
Astrid: Der Titel „Familie der geflügelten Tiger“ ist sehr ungewöhnlich. Wollen wir verraten, woraus er resultiert? Und was hat eigentlich die alte Schreibmaschine auf dem Foto zu suchen?
Silvia: Es gibt eine alte Weltkarte, die sogenannte „Ebstorfer Weltkarte„. Sie stammt aus dem Mittelalter. Unbekannte Gegenden wurden mit Fabelwesen bestückt. So gibt es darauf auch einen geflügelten Tiger. Was das mit der Familie zu tun hat, muss man aber selbst nachlesen. Ja und die Schreibmaschine steht in Johannas Wohnung. Ein altes Lieblingsstück mit einer eigenen Historie. Johanna schreibt darauf eine ganz eigene Art von Geschichte, die im Buch auch abgedruckt ist. Ich mag Johanna, was hältst du von ihr?
Astrid: Johanna hat mir häufig sehr leidgetan, weil sie so eine unfähige Mutter hatte. Ich könnte mir als Mutter nicht vorstellen, meinen Kindern so wenig Informationen über ihren Erzeuger präsentieren zu können. Witzig war aber ihre Angewohnheit, ihrer Tochter lebenswichtige Dinge durch Buchtitel mit auf den Weg zu geben. Offen reden konnte sie anscheinend nicht mit der Tochter, insofern finde ich diesen Weg gar nicht so schlecht. Bringst du deinen Kindern schon mal Ratgeber aus der Buchhandlung mit?
Silvia: Das habe ich aufgegeben, weil sie weder meine Ratschläge annehmen noch selbst freiwillig lesen (oder nur sehr selten). Ich bin aber der Typ, der erstmal nach einem passenden Buch sucht, wenn sich ein Problem anbahnt. Nur lese ich diese Ratgeber dann auch nicht unbedingt…
Das Ende
Astrid: Das Ende fand ich mutig. Ich denke immer noch darüber nach, ob ich mich getraut hätte, so ein Ende zu schreiben.
Silvia: Aber mehr wollen wir jetzt wirklich nicht darüber verraten. Die „Familie der geflügelten Tiger“ ist für mich ein gelungener Debütroman. Ich freue mich auf mehr von Paula Fürstenberg und bin froh die sympathische Autorin bereits zweimal getroffen zu haben (FBM und im Literaturhaus Köln).
BUCHDATEN
Familie der geflügelten tigerPaula Fürstenberg gebunden 240 Seiten Kiepenheuer&Witsch ISBN: 978-3-462-04875-9 |
Ich finde Romane, die in der DDR spielen, ziemlich interessant und mir gefällt es auch, dass diese Zeit in den Köpfen der Menschen lebendig gehalten wird. Ich bin ja schon so alt (seufz), dass ich die Zeit noch kenne, als zwei Deutschlands als selbstverständlich angesehen wurden und war auch in der DDR zu Besuch, hab also die unterschiedlichen Lebensweisen mitbekommen. Und einen Roman als Medium für diese Informationen finde ich immer noch viel angenehmer als trockene Fachlektüre.
Allerdings kommt mir die Familiengeschichte an sich ziemlich bedrückend und wenig positiv vor.
LG Gabi
Stimmt, die Familiengeschichte ist sehr bedrückend, aber meiner Meinung nach durchaus realistisch. Die „heile“ Familie gibt es doch leider viel zu selten!
Huhu!
Ich war 13, als die Mauer fiel, und ich kann mich noch gut erinnern, wie meine Eltern und ich vor dem Fernseher hingen und ich mir dachte: Wow – das steht mal in den Geschichtsbüchern! Aber ich kann gut verstehen, wenn einem Kind, das nach 1989 geboren wurde, die Vorstellung absurd und gruselig vorkommt.
Wobei es da wahrscheinlich auch drauf ankommt, wo man lebt, es gibt ja durchaus noch Gegenden in Ostdeutschland, wo von blühenden Landschaften immer noch nicht viel zu sehen ist.
„Familie der geflügelten Tiger“ steht schon auf meiner Wunschliste, und ich danke euch für die schöne Buchvorstellung! Jetzt habe ich sogar mehr Lust darauf, es zu lesen und das mutige Ende zu entdecken. Ich mag es meist sehr gerne, wenn Autoren mit dem Ende ein echtes Wagnis eingehen, allerdings muss es dann auch gut gemacht sein, Sinn machen und nicht einfach nur auf den Schockfaktor abzielen.
Ich habe diesen Beitrag HIER für meine Kreuzfaht durchs Meer der Buchblogs verlinkt!
LG,
Mikka
Ich habe in meinem Kommentar aus Versehen die Kreuzfahrt von letzter Woche verlinkt, HIER ist die von dieser Woche, bei der ich auch deinen Beitrag verlinkt habe!