Robert Scheer: Pici
Sonntag, 15. Mai 2016
Erinnerungen an die Ghettos Carei und Satu Mare und die Konzentrationslager Auschwitz, Walldorf und Ravensbrück
Als Blogger werden wir häufiger von Autoren gefragt, ob wir ihr/sein Buch lesen und auf dem Blog besprechen wollen. Ich muss zugeben, wir freuen uns immer sehr über diese Anfragen. Leider fallen die meisten Bücher nicht in unseren Interessenbereich. Als Robert Scheer mich bzgl. seines Buches anschrieb, war ich anfangs auch sehr skeptisch. Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass es noch so viele Zeitzeugen des Holocausts gibt, die noch in der Lage sind, darüber zu berichten. Und warum erst jetzt?
Entscheidung für das Buch
Auf der anderen Seite freute ich mich sehr, dass sich der Autor mit dem Leben seiner Großmutter so intensiv auseinandergesetzt hat, dass daraus ein Buch geworden ist. Dass er es noch geschafft hat, ist Glück. Viele hatten nicht mehr die Zeit, Biografien der Eltern oder Großeltern aufzuschreiben oder auch nur genauer nachzufragen. Das war ein Grund für meine Zusage zu einer Rezension, auf der anderen Seite möchte ich jedem Buch, das von den schrecklichen Ereignissen im zweiten Weltkrieg erzählt, eine Chance geben.
Inhalt
Robert Scheer dokumentiert das Leben seiner Großmutter Pici, die 90 Jahre alt werden musste, bevor sie über ihr Leben berichten konnte.
1924 geboren, wächst sie sehr behütet in Carei in Rumänien auf. Carei liegt an der Grenze zu Ungarn und auch nahe an der Ukraine. Während des zweiten Weltkrieges gehörte Carei auch kurzzeitig zu Ungarn. Als vierte Tochter eines jüdischen Holzhändlers hat sie ein schönes Leben. Die deutsche Schule, auf die sie geht, macht ihr viel Spaß und sie ist dementsprechend gut und fleißig. Sie hat eine große Familie, nach ihr wurde der Familie noch der lang ersehnte Sohn geschenkt. Der Familienzusammenhalt ist beneidenswert und sie fühlt sich sehr geborgen. Nach den ersten deutschen Progromen darf sie nur noch jüdische Schulen besuchen und so wechselt sie bald auf ein jüdisches Gymnasium. Der zweite Weltkrieg kommt spät bei ihr im Ort an. Erst im Mai 1944 wird ihre ganze Familie ins Ghetto geschickt.
Der größte Teil des Buches erzählt von dem Leben im Dorf und den vielfältigen Beziehungen zu Verwandten, Lehrern, Nachbarn und Freunden. Der Leser bekommt einen guten Eindruck vom Leben in den 1930/40er Jahren. Erst im zweiten Teil werden die Ereignisse Picis in den Konzentrationslagern Auschwitz, Walldorf und Ravensbrück beschrieben. Anfangs hat Pici noch das „Glück“, wenigstens mit ihren älteren Schwestern zusammenbleiben zu dürfen.
Der Erzählstil ändert sich im Laufe des Buches. Anfangs führt der Autor ein Interview mit seiner Großmutter, in dem Fragen und Antworten gegeben werden. Später wird chronologisch erzählt. Der Autor wirft keine Fragen mehr in den Erzählstrom der Großmutter.
Im Anhang des Buches sind viele private Foto abgebildet. Auch Listen aus der Zeit der Deportationen gibt es.
Meine Meinung
Sprachlich ist dieses Buch erstaunlich einfach geschrieben. Man fühlt sich fast an einen Aufsatz aus der Schule erinnert. Bzw. an ein Buch, dass man auch selbst geschrieben haben könnte. Das irritiert mich manchmal etwas, da ich den Sinn darin nicht verstehe. Soll dieses Buch vielleicht auch als Schulbuch dienen? Das Cover entspricht auch eher einem Schul- und Sachbuch.
Für mich war dieses Buch sehr interessant, da ich zwar schon wirklich viel über die damalige Zeit gelesen habe, aber bisher sehr wenig aus dem damaligen Rumänien. Ob es daran liegt, dass es aus der Region nicht viele Bücher gibt oder ob ich sie nur nicht für mich entdeckt habe, kann ich nicht sagen.
Fazit
Ich gehörte nicht zu den Menschen, die sagen, es gibt schon genug Bücher über den Holocaust. Ich bin über jedes Buch froh, dass zu diesem Thema erscheint, da es meiner Meinung gar nicht genug Informationen geben kann. Auch glaube ich, dass es für die meisten Menschen wichtig ist, mehr über die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern zu erfahren. Daher freue ich mich für den Autor, dass er das Gespräch mit seiner Großmutter gesucht hat und alles aufgeschrieben hat.
Dieses Buch gibt dem Leser ein detailliertes Bild des Lebens in der damaligen Zeit vor und während des Nationalsozialismus. Durch die Schilderungen der Großmutter kann man sich auch ein wenig vorstellen, wie grausam es ist, als Einziger einer Familie zu überleben.
Ich wünsche diesem Buch viele Leser, da wir uns dem Geschehen in der damaligen Zeit immer wieder erinnern sollten. Ganz besonders schön fände ich es, wenn auch mehr jüngere Menschen dieses Buch lesen würden.
Robert Scheer, Pici. Erinnerungen an die Ghettos Carei und Satu Mare und die Konzentrationslager Auschwitz, Walldorf und Ravensbrück, Marta press, ISBN 978-3-944442-40-2
Ich durfte dieses Buch auch lesen und freue mich das es dir auch gefallen hat.
Mir ging es ähnlich mit der Schreibweise. Aber der Inhalt macht einiges Wett. Ich hoffe, das es zu einem Schulbuch wird. Der Verlag hat es tatsächlich als Sachbuch deklariert.
Schöne Rezension,
Andrea
Danke!
Ich bin froh, dass es immer noch Bücher zu dem Thema gibt. Wie mag es wohl in 10 Jahren aussehen? Wie erinnert man an das Thema, wenn die Zeitzeugen ausgestorben sind?