Simon Sailer: Die Schrift
Sonntag, 1. November 2020
Kafka lässt grüßen
Anton Buri führt ein ruhiges, sehr zufriedenes Leben. Er mag seine Arbeit im Archiv des Instituts für Ägyptologie in Wien. Buri ist Spezialist für Schriften und träumt davon selbst eine Schrift zu entwickeln: „eine zeitgenössische Hieroglyphe“. Nebenbei entschlüsselt er auch gut und gerne unbekannte Schriften. Das ist für ihn eine sinnbringende Freizeitbeschäftigung. Er liebt seine Frau, sie sind glücklich. Bis er eines Tages eine merkwürdige Nachricht erhält.
Bin in den Besitz einer alten Schrift gelangt, die sie interessieren muss. Kommen sie nach ihrer Arbeit zum Donaukanal.
Mit Erhalt dieser Nachricht ändert sich sein ganzes Leben.
Auf seltsamen Weg erhält er diese geheimnisvolle Handschrift. Daraufhin wird er von allen ausgegrenzt, seine Frau verlässt ihn, der Job ist weg. Die Freunde und Kollegen tun so, als ob sie ihn nicht kennen würden, oder behandeln ihn als Persona non grata. Aber alle wissen von der Schrift. Wie ein unsichtbares Stigma zerstört sie sein bisheriges, beschauliches Leben.
Flucht
Buri muss fliehen. Aber wohin? Wovon soll er leben? Ein Alptraum!
Nach anderen Stationen auf der Flucht findet er In England findet eretwas Ruhe und einen Job. In seiner Heimat gerät er schnell in Vergessenheit. Doch sobald er die geheimnisvolle Schrift auch nur ansieht beginnt der Wahnsinn von Neuem. Er geht auf einen anderen Kontinent und dort irgendwann in eine selbstgewählte totale Isolation.
Es ist sehr berührend, wie seine Nöte, Ängste und die Verzweiflung in diesem Text eindringlich beschrieben wird.
Oder sieht es ganz anders aus? Leidet Buri vielleicht einfach unter einer Art Verfolgungswahn?
Rätsel
Sailer entwirft hier eine moderne Kafka-Geschichte. Surreal, eine Erklärung für das Verhalten der Menschen in Bezug auf Buri gibt es nicht. Als ob aller Bescheid wüssten, nur er nicht. Und ich auch nicht. Doch das ist der Reiz des Romans. Wer ist Buri? Am Ende geht es soweit, dass er vielleicht nie existiert hat?
Wahrscheinlich gibt es viele Anspielungen im Roman, die ich gar nicht bemerkt habe. Eine Suche Nach Buri im WWW ergibt schnell, dass Búri in der nordischen Mythologie der Stammvater aller Götter ist. Der Name ist sicher nicht von ungefähr gewählt worden, doch kann ich mir (noch) keinen Reim darauf machen. Doch in knobele gerne. Wie viele Anspielungen mag es noch geben, die ich gar nicht entschlüsseln kann? Hier müsste man akribisch Vorgehen, so wie Buri, wenn er versucht, hinter die Bedeutung einer Schrift zu kommen.
Schriften
Schrift ist hier das vorherrschende Thema. Und dabei geht es Buri gar nicht um den Inhalt solcher Schriften, sondern eher um die Ästhetik. So wie Buri davon träumt eine eigene Schrift zu entwickeln, ist im Buch selbst auch eine versteckt. So werden auf jeder Seite die Seitenzahlen unten wie gewohnt angegeben, aber oben auf jeder Seite gibt es ein Schriftzeichen, soweit ich gesehen habe alle verschieden, das wahrscheinlich die Zahl auch widerspiegelt. Vielleicht in der Buri Schrift?
Sehr interessant auch ein im Buch erwähnter Künstler, der Schriften übersetzt, nicht Texte:
Ich nehme zum Beispiel einen Text von Ovid, beginne ihn lateinisch abzuschreiben, und dann versuche ich, allmählich, in chinesischer Han-Schrift überzugehen. Der Text bleibt lateinisch, er ändert sich nicht; ich übersetze nur die Schrift.
Perspektive
Da hat sich Simon Sailer auch etwas Spannendes einfallen lassen. Ein namenloser Ich-Erzähler übernimmt die Regie. Er selbst war nur sehr flüchtig mit Buri aus dessen Wiener Zeiten bekannt. Dessen Geschichte speist sich aus Dokumenten aus dem Nachlass eines gemeinsamen Freundes. Diese Berichte sind nicht vollständig, was der Erzähler auch schnell einräumt. So ist also alles auch von diesen Quellen her eher vage.
Der Ich-Erzähler befürchtet, dass er, nach Buri, der nächste Vergessene sein wird. So ist alles eine Art Kreis. Es gibt keinen Beweis für die Existenz Buris und der Erzähler bleibt Namenslos und geheimnisvoll. Alles löst sich in Nichts auf. Nur das Buch bleibt.
Gestaltung
Die Schrift bietet nicht nur unheimlich viel Interpretationsspielraum, sondern ist auch noch schön anzusehen. Das liegt an den vielen schönen, bunten Illustrationen von Jorghi Poll. Dieser ist auch der Leiter des Verlags edition atelier, indem dieses bemerkenswerte Büchlein erschienen ist.
Fazit
Die Schrift von Simon Sailer ist eine vielschichtige Erzählung in wunderschön gestalteter Form. Kafkaesk und berührend. Ein Buch, dass ich wegen der enthaltenen Rätsel und den schönen Illustrationen noch häufig in die Hand nehmen werde.
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