Oliver Teutsch: Die Akte Klabautermann
Donnerstag, 17. März 2022
Die letzten Jahre von Hans Fallada
Hans Fallada hieß mit bürgerlichem Namen Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen. Derr Roman „Die Akte Klabautermann“ beschreibt die Zeit kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Fallada und seine zweite Frau leben im zerstörten Berlin. Mehr schlecht als recht. Bis der Dichter Johannes R. Becher versucht einen neuen deutschen Kulturbund auszubauen und dafür Künstler sucht, die bereits vor dem Krieg einen guten Namen hatten.
Der Mythos Fallada
Der Name Hans Fallada hat in den letzten 10 Jahren wieder ein Revival erlebt. Seine Bücher wurden neu aufgelegt, als Hörbücher vertont. Zum Teil gab es auch neue Verfilmungen.
Dabei ist die Person Fallada selbst nun nicht gerade über alle Zweifel erhaben.
Ich habe schon einige biographische Romane gelesen. Normalerweise werden dabei immer die guten Seiten der beschriebenen Person betont. Doch im Fall Fallada war das kaum möglich.
Er trank, rauchte wie ein Schlot und war morphinsüchtig. Ebenso wie seine zweite Frau Ulla. Die zwei waren ständig damit beschäftigt, sich Suchtmittel zu besorgen. Dafür war der blühende Schwarzmarkt im Nachkriegsberlin ideal, aber es verschlang auch alles, was sie besaßen. Ohne Unterstützung von Becher wären sie verloren gewesen.
Sucht
Der Sucht wurde alles andere untergeordnet. Auch das Wohl von Falladas Sohn aus erster Ehe, der für einige Zeit nach Berlin kam um dort das Gymnasium zu besuchen.
Ulla war sehr geschickt darin den letzten Schmuck und andere Wertgegenstände auf dem Schwarzmarkt umzutauschen. Die hübsche junge Frau hatte ein selbstbewusstes Auftreten und verdrehte auch einigen Tauschpartnern schon mal den Kopf um an ihr Morphium zu kommen. Um mit Lebensmittelmarken anzustehen, war sie sich zu fein. Fallada sowieso. Alleine war dieser Mann regelrecht lebensuntüchtig.
Erich Kästner hat mal über mich gesagt, ich sei ein ewiger Gymnasiast. Ich habe nicht verstanden, was er da meinte, aber wahrscheinlich hatte er recht, irgendetwas in mir ist nie richtig fertig geworden, so daß ich kein richtiger Mann bin, sondern ein alt gewordener Mensch“.
Das mag sich charmant anhören, war es aber unter diesen Umständen nicht.
Wenn zwei Süchtige zusammenleben, ist Entzug doppelt schwer. Immer wenn einer von ihnen die Kurve zu bekommen scheint, reißt der Partner ihn wieder rein. Sie hätten sich trennen müssen, um die Sucht zu besiegen. Doch trotz der toxischen Beziehung (in der es auch zu Gewaltausbrüchen kam) brachten sie das nicht über sich.
Jeder stirbt für sich allein
Es sind auch die letzten Lebensjahre Falladas, die dieser Roman beschreibt. Er setzt irgendwann 1945 ein und endet Ende 1946, mit der Vollendung des Romans „Jeder stirbt für sich allein“. Ein Titel, der auch für Fallada selbst gilt. Sein Tod war das Ende eines Lebens, das am Ende von der Sucht bestimmt wurde. Den Roman hat er in nur 24 Tagen geschrieben. Auch Schreiben kann eine Art Sucht sein.
Er hat immer geschrieben um zu vergessen. Geschrieben, um die Hänseleien in der Schule auszuhalten, geschrieben, um seinen kümmerlichen Alltag mit den Finanzproblemen zu verdrängen, geschrieben, um seine Zeit im Knast zu überstehen, geschrieben, um den Krieg nicht an sich ranzulassen. Diesmal vergaß er beim Schreiben seine angeschlagene Gesundheit.
Man kann auch sagen, er hat sich zu Tode geschrieben. Die Veröffentlichung dieses letztens Romans hat er nicht mehr erlebt.
Becher versuchte schon ein Jahr lang ihn dazu zu bringen dieses Buch zu schreiben. Es basiert auf einer realen Ermittlungsakte, der Akte „Klabautermann“. Im Buch wird beschrieben, das Fallada nicht die gesamte Akte erhielt, weshalb der Roman die Beziehung der zwei Protagonisten wohl etwas romantisiert.
Sehr interessant fand ich, dass Becher unbedingt einen Autor suchte, der sich kurz nach dem Krieg einen Roman zum Thema Widerstand während des Nazi-Regimes schrieb. Doch fand er außer Fallada niemanden. Und auch dieser wollte erst nicht daran, sondern seine eigenen Erlebnisse literarisch verarbeiten.
Die meisten Manuskripte, die Becher erhielt, handelten von Heimkehrern. Doch das war nichts, womit man das deutsche Image in der übrigen Welt hätte aufpolieren können. Denn es war eine Zeit, in der niemand Mitleid mit Deutschen hatte. Deshalb waren Geschichten über Widerstand so wichtig.
Politik
In dieser Zeit spielte in ganz Deutschland das politische System verrückt. Das Land war in Sektoren aufgeteilt, die zum Teil von total gegensätzlichen Mächten geleitet wurden. In Berlin besonders deutlich, da Russland und der Westen direkt aneinandergrenzten.
Wer im Ostsektor lebte, hatte im Westsektor deswegen oft schlechte Karten. Durch Becher kam Fallada auch in KPD-nahe Kreise. Becher war später Kulturminister in der DDR. Durch seine guten Kontakte konnte er Fallada ein Haus im Ostsektor, im sogenannten Städtchen besorgen, das Quartier Majakowskiring war eine Art Idylle am Rande der zerbombten Stadt, sicher, weil gut bewacht.
Große Namen
In diesem Roman über Falladas letzte Jahre werden viele große Namen erwähnt. Zum Teil spielten sie auch noch eine Rolle in Falladas Leben.
So begegnen einem im Buch zum Beispiel die Namen Ernst Rowohlt, Peter Suhrkamp, Hermann Hesse, Remarque, Gottfried Benn, Heinrich Mann, Erich Kästner, Arnold Zweig und in einer besonderen Rolle Hildegard Knef.
Einige kämpften für die Entnazifizierung, andere weigerten sich dieses Land nochmal zu betreten. Ein sehr schwieriges Unterfangen, dabei einen Kulturbund aufzubauen.
Inwieweit die im Buch beschriebenen Begegnungen mit einigen von ihnen tatsächlich wie beschrieben stattfanden kann ich nicht nachprüfen. Manchmal wirkte die Erwähnung dieser ganzen Namen etwas bemüht, trotzdem interessant um Zusammenhänge zu begreifen.
Autor
Oliver Teutsch wurde 1966 in Frankfurt am Main geboren. Sein Berufsweg war nicht gradlinig, er machte viele verschiedenen Erfahrungen. Das gibt von Fahrradkurier bis zum Mitarbeiter in einem Sägewerk. Er ist jetzt Lokalredakteur bei der Frankfurter Rundschau.
Die Akte Klabautermann ist sein erster Roman.
Sekundärliteratur
Eigentlich der falsche Begriff. Denn die Akte Klabautermann bildet eigentlich die Sekundärliteratur zu dem Roman „Jeder stirbt für sich allein“. Diese Lektüre gehört einfach zur „Die Akte Klabautermann“ dazu. Ich habe mich für eine Hörbuchversion entschieden und auch den Film von 2016 mit Emma Thompson gesehen. Beides hat für mich das hier besprochenen Buch gut ergänzt.
Und natürlich gehört auch der Roman „Der Alpdruck“ dazu. Denn auch dieser ist in der beschriebenen Zeit entstanden. In Die Akte Klabautermann wir Fallada folgender Satz in den Mund gelegt „Ich muss mir meinen Alpdruck von der Seele schreiben.“
Fazit
Die Akte Klabautermann von Oliver Teutsch ist ein spannendes Bild der letzten Lebensjahre von Hans Fallada, der Kulturlandschaft Deutschlands im Jahr 1946 und dem fast unmöglich erscheinendem Leben in der zerbombten Stadt Berlin.
Weitere Rezensionen finden sich zum Beispiel bei Schiefgelesen und bei Booknerds
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