Rezension: Die rote Herzogin
Donnerstag, 10. März 2022

Ein Roman von Svetlana Lavochkina
Als im Februar 2022 der Krieg in der Ukraine ausbricht, erscheint in Deutschland der neue Roman der Ukrainerin Svetlana Lavochkina. Alle Welt schaut gerade in dieses Land, dass für viele so unbekannt ist.
1927 gehört die Ukraine gerade mal seit ein paar Jahren wieder zu Rußland und Stalin plant den Bau eines Staudamms in Zaporoschje. Der Bau wird 5 Jahre dauern.
„Zaporoschje liegt genau in der Mitte zwischen der Hauptstadt Moskau und Odessa am Schwarzen Meer. Die zwei Arschbacken der Stadt werden vom wilden Dnjepr geteilt. Dieses Kaff hat nun plötzlich Hoffnung, zur drittgrößten Stadt des neuen Reiches zu werden.“
Das sind aber wohl die einzigen Fakten, die Grundlage von „Die rote Herzogin“ ist. Der Rest des Romans ist reine Fiktion. Und Ironie. Wer vielleicht schon „Puschkins Erben“ gelesen hat, kennt die Wortgewalt der Autorin, die mir wieder viel Spaß gemacht hat, mich aber auch manchmal überfordert hat.
Stalin bestimmt den Heizer Chaim Katz zum Bauleiter des Projekts „Staudamm“. Das Know-How wird aus den USA geholt mit dem Staustammexperten Hugh Winter. Für den wird extra ein Blockhaus in den Wald gebaut, damit er sich heimisch fühlt. Personalchefin wird Darja Katz, die Frau von Chaim. In früheren besseren Zeiten nannte sie sich Herzogin Woronchina.
„Die russische Rangtabelle wurde gelöscht, und mit ihr wurde der Reichtum an Hoheiten und Exzellenzen durch das gebellte „Genosse!“ ersetzt. Hier steht sie nun, Genossin Katz anstelle von Euer Hoheit, in sehr gutem Zustand, das heißt, lebendig, anders als ihre Freundinnen, die einstigen Hofdamen der Zarin. „

Darja versucht sich mit Charme und Druck an ihre früheren Zeiten zurück zu erinnern und hat Möglichkeiten, sich in dieser Einöde der Baustelle an schönen Stoffen und Lebensmitteln zu erfreuen. Manchmal erfordert das den Einsatz ihrer ganzen Weiblichkeit. Kindererziehung liegt ihr nicht, denn das ist in ihrer Welt die Aufgabe von Ammen und Gouvernanten . Also verwahrlost die kleine Tochter und wächst mit den Bauarbeiterkindern in Matsch und Kriminalität auf.
Der Bau des Staudamms läuft so, wie ich mir das in den damaligen Zeiten vorstelle. Schlechte Arbeitsbedingungen, aber immerhin hat man überhaupt einen Job.
Zu Beginn, als Katz den Bau des Dammdorfs befahl, waren die Bedingungen noch erträglich, doch als die Arbeiterzahl von tausend auf zehntausend stieg, wurde das Leben entsetzlich. Dreißig bis fünfzig Arbeiter hausten in einer Baracke. enge, Hass, Schlägereien. Weil geshlampt wurde, verging keine Woche, ohne das fertiggestellt Baracken wieder in sich zusammenfielen. Schlechte Wartung richte Geräte und Werkzeuge zugrunden. Schuldige wurden gesucht und gefunden – oder erfunden – und hat bestraft, doch der Pfusch hörte nicht auf.

„Die rote Herzogin“ und „Puschkins Erben“
Zeitlich ist „Die rote Herzogin“ vor ihrem Roman „Puschkins Erben“ angesiedelt. Die Protagonisten sind also die Ur-Ahnen der Protagonisten aus „ Puschkins Erben“. Aber das spielt für das Verständnis keine Rolle. Anfangs dachte die Autorin auch, dass diese beiden Geschichten in einem Buch Platz hätten, aber „Die rote Herzogin“ wurde Svetlana Lavochkina zu dominant und so entschied sie sich für einen eigenständigen Roman.
Dieser Roman ist natürlich völlig unabhängig zu dem leider andauernden Ukraine-Krieg. Aber die Beschäftigung mit ihm hat für mich zu einem größeren Verständnis der angespannten Lage geführt. Auch die Online-Lesung von Svetlana Lavochkina in Dresden hat mein Bewußtsein verändert. Zwar hat mich diese Online-Lesung nicht sehr mitgerissen, aber das mag auch am Format gelegen haben. Live wäre es sicher beeindruckender gewesen. So fehlte mir einfach ein wenig Schwung bei der Präsentation der Autorin. Aber das machte gar nichts, denn ein wenig kann ich nun den Stolz und den Kampfeswillen der Ukrainer nachvollziehen.
Die Macht der Sprache
Sprachlich ist auch dieser Roman wieder ein Juwel. Die Autorin kann Bilder malen mit ihrer Sprache, die mich immer wieder sprachlos dastehen lässt. Nicht immer verstehe ich was sie meint. Es ist sicher nicht für jeden etwas, eher Gossensprache als Poesie, aber immer faszinierend. Ironisch und herb! Für unseren Westeuropäischen Geschmack vielleicht machmal zu herb. Svetlana Lavochkina erklärt bei ihrer Lesung, dass die Sprache der Ukrainer eben wirklich eine andere ist und auch sie nach über 20 Jahre Deutschland sich da inzwischen ein wenig entwöhnt hat.
Meine Rezension zu „Puschkins Erben“ gibt es natürlich auch schon auf diesem Blog.
