Rezension: Puschkins Erben
Mittwoch, 29. Januar 2020

Roman von Svetlana Lavochkina
Das erste Buch im neuen Jahr ist bei mir immer etwas besonderes. Vor 2 Jahren stellte sich das erste Buch sogar als Jahreshighlight heraus. Auch im letzten Jahr glückte mir der Jahresanfang mit Michelles Obamas Neuerscheinung. Dieses Jahr ist es nun der Roman „Puschkins Erben“, der mir den Januar verschönert hat.
Wenn ich die Wahl habe, suche ich mir nicht unbedingt Literatur aus Russland aus. Dieses Land ist mir sehr fremd. Allerdings habe ich in den letzten Jahren einiges gelesen, das mir gefallen hat.
„Puschkins Erben“ ist ein sehr ungewöhnliches Buch. Die Charaktere sehr unterschiedlich und teilweise sehr skurril. Der Aufhänger des Romans ist eine spannende Idee. Hat Alexander Puschkin auf seinem Weg in die Verbannung 1820 einen Sohn gezeugt? Auf der damals sehr beschwerlichen Reise von St. Petersburg nach Odessa machte Puschkin eine längere Pause, da er schwer erkrankte und sich von einer Wirtsfrau gesund pflegen ließ. Im Roman wird ein Sohn geboren. Wikipedia weiß nichts von diesem Kind!!
Der Ausflug ins Jahr 1820 währt nur kurz. Danach befinden wir uns in den späten 1970er Jahren. Die Autorin spinnt eine illustre Familiengeschichte um die Erben Puschkins. Auf der letzten Seite ist zum Glück ein Stammbaum der letzten 3 Generationen, die ich mir auch immer wieder anschauen musste, um die Familienverhältnisse richtig einordnen zu können.

Schauplatz
Schauplatz der Geschichte ist eine kleine Stadt in der Ukraine. Zaporoschjes, kurz Zap, genannt.
Wäre Puschkin im Jahr 1976 vorbeigekommen, hätte er sich kaum anders geäußert als 1820: „Was für ein lahmer Gaul von einer Stadt, eine Zeitverschwendung für jeden Reisenden.“
Alka schreibt an ihrer Doktorarbeit über Hemingway. Sie ist die Tochter des vermögenden Moskauer Schuhcremefabrikanten und macht ihren Eltern das Leben zur Hölle mit ihren extravaganten Ansprüchen. Da sie schon weit über 20 ist und immer noch kein Ehemann in Sicht, schicken die Eltern sie nach Zap zu Tante Manja und Cousine Rita. Und das Unglück nimmt seinen Lauf …
Die jungverheirateten Rita und Josik wohnen mit ihrer Tochter Sonka und Ritas Mutter Manja zusammen. Hier verbringen die Familienmitglieder die Silvesternacht mit Alka, Josiks Eltern und Bruder, sowie dem gutaussehenden Cousin Mark. Dieser produziert in der Mangelwirtschaft der UDSSR gefälschte Jeans und kommt damit gut über die Runden. Mit Literatur kann man auch zur damaligen Zeit kein Geld verdienen. Daher arbeitet Josik, der genauso literaturbesessen wie Mark ist, als Lehrer. Er bemüht sich sehr, seinen Schülern die Klassiker der russischen Literatur näherzubringen. Dabei hat er innovative Ideen, die aber in der Schule nicht gern gesehen werden.
In Walzern und Quadrillen umwirbelte der Schneesturm den Mond
S. 91
Muss der Leser Protagonisten mögen?
Alle Personen in diesem Buch sind irgendwie skurril. Niemand wird wirklich sympathisch dargestellt oder zumindest einigermaßen natürlich. Alka ist dermaßen hochnäsig, behandelt ihre Eltern wie Dienstboten und glaubt, an einer bahnbrechenden Doktorarbeit zu schreiben. Dabei kommt ihr das eigene Leben irgendwann abhanden. Die gutaussehende Rita musste den Literaturliebhaber Josik heiraten, da ein Kind unterwegs war. Für Josik war es Liebe, für Rita wohl eher Pech. Die Unzufriedenheit führt Rita bald zu einem bizarren Frauenarzt, der ihr nicht guttut.

Die 1970er
In den 70er Jahren gab es noch die UDSSR. Der kalte Krieg war noch nicht durch Glasnost gewichen und so war Korruption und Mangelwirtschaft an der Tagesordnung. Für Jeans musste man viel Geld bezahlen, sogar für die gefälschten. Die Herstellung war verboten, aber wenn man den richtigen Menschen genug Geld bezahlte, scherrte das niemanden. Viele Lebensmittel gab es nicht zu kaufen, für vieles musste man lange anstehen, die Normalbevölkerung litt unter der Mangelwirtschaft. Der Blick nach Westen ließ Wünsche aufkommen. Von einem Lehrer- oder Krankenschwestergehalt konnte man nicht gut leben. Vielleicht ist auch das der Grund, warum niemand der Protagonisten wirklich zufrieden ist mit seinem Leben.
Wolkenschwärme schwammen in den Pfützen und zerflossen zu redseligem Regen.
S. 346
Fiktive Zeitungsausschnitte
Es passiert viel in diesem gar nicht so dicken Buch. Viele Fäden werden gesponnen und verwoben. Fast alles wird am Ende aufgelöst, nur ein paar Fäden verheddern sich und so bleibt der Leser mit seinen Vermutungen allein. Die Art und Weise, wie wir am Ende von den unterschiedlichen Geschehnissen unterrichtet werden, gefällt mir außerordentlich gut. Durch russische und westliche Zeitungsausschnitte wird die Geschichte zu Ende erzählt. Einfach genial!
Genial ist auch das wunderschöne Cover! Mit nur zwei Farben ist ein stimmiger Einband entstanden. Immer wieder habe ich das Buch in die Hand genommen und habe es einfach nur betrachtet. Darstellen soll es wohl den verlorenen Ring von Puschkin und die großen Welse in dem Fluss Dnepr.
Insgesamt ein tragischer, satirischer, aber auch humorvoll erzählter Roman, der mir viel Spaß gemacht hat. Sprachlich ein absolutes Juwel. Einige finden die Sprache zu derbe, mich hat sie überhaupt nicht gestört, gehört sie für mich genau so zu Russland. Svetlana Lavochkina hat ein echtes Händchen für Sprache, denn auch wunderschöne Sätze finden sich in diesem Buch. Oder ist das jetzt eher die Handschrift der Übersetzerin? Ich bin mir da leider nie so ganz sicher!
