Sofi Oksanen: Hundepark
Sonntag, 20. Februar 2022

Spannender Roman rund um das Geschäft mit Eizellen
Helsinki, 2016. Eine Parkbank, darauf sitzt eine Frau. Die Bank steht in einem Teil des Parks, in dem Hunde innerhalb eines Gatters frei herumlaufen dürfen. Eine Hundepark also. Doch die Frau auf der Bank hat keinen Hund. Sie sitzt dort nur und wartet auf das Eintreffen einer bestimmten Familie mit Hund. Nicht wegen des Hundes, sondern wegen der Kinder. Vor allem der Junge interessiert sie.
Regelmäßig kommt die Frau nach der Arbeit hierhin und beobachtet diese perfekte Familie: erfolgreiche Eltern, zwei wohlgeratene Kinder die mit dem Hund spielen.
Eines Tages setzt sich eine andere Frau mit auf diese Bank. Sie fängt an zu sprechen. Erst langsam geht der ersten Frau auf, dass sie diese andere Frau kennt.
Olenka
Erst spät und wie nebenbei, offenbart sich der Name der ersten Frau auf der Parkbank: Olenka.
Sie wuchs in Estland auf, bis der Vater beschloss, dass die Familie wieder in die Ukraine zieht. Dort sahen die Perspektiven für ein junges Mädchen nicht rosig aus.
Olenka schafft es aber tatsächlich einen Model Job in Paris zu ergattern. Das endet allerdings bei weitem nicht so einträglich wie erhofft. Sie muss wieder zurück zu ihrer Mutter.
Die verzweifelte Suche nach einem Job bringt sie in eine Agentur, in der sie später Karriere macht, bevor sie einen riesigen, unbeabsichtigten Fehler macht und ins Ausland flüchtet, um ihr Leben zu retten.
Daria
Sie ist die zweite Frau auf der Bank. Etwas jünger als Olenka, ihre Entdeckung für die Agentur für Eizellenspende.
Behutsam aufgebaut hat Olenka sie, große Pläne für später waren für Daria vorgesehen.
Olenka hat sich um sie und ihre Karriere gekümmert. Natürlich nicht uneigennützig. Daria war ihre Altersvorsorge. Sie kannte ihre Potenziale genau. Doch die Frau, die jetzt neben ihr auf der Parkbank sitzt, erscheint ihr total fremd:
Mir wurde klar, dass ich eigentlich nichts von ihr wusste, obwohl ich ihren Chromosomenaufbau, ihre Gesundheitsdaten und eine Liste ihrer Hobbys hatte, die in den Augen der Kunden angenehm wirkten. Als Mensch war sie mir völlig fremd.
Spätestens da wird klar: beide sind Opfer dieser Geschäftswelt. Olenka hat Daria dort hineingezogen. So wird Olenka auch zur Täterin. Denn sie ist Teil dieses falschen Systems geworden.
Mohn
Die Mohnblüte auf dem Cove ist sehr schön und farbenfroh. Allerdings hat auch sie einen ernsten Hintergrund.
Olenkas Familie sieht keine andere Möglichkeit Geld zu verdienen, als durch den illegalen Anbeu von Mohn zur Opiumherstellung. Auch hier kommt bei den Bauern nicht viel vom Milliardengeschäft an. Da alles illegal ist, können Sie bei einem Diebstahl der Ernte natürlich auch keine Anzeige erstatten.
In dem Buch wird häufiger auf den mafiösen Charakter verschiedener Geschäftszweige hingewiesen.

Erzählweise
Das Buch ist aus Olenkas Sicht geschrieben. Es gibt immer wieder Cliffhanger, die dadurch entstehen, wie Olenka in ihrer Geschichte durch verschiedenen Zeitebenen springt. Diese Rückblicke sind nicht chronologisch sortiert. Sie werden auch nicht auf einmal zu Ende erzählt, die Autorin und damit Olenkas Erinnerungen, springen immer hin und her. Das ist aber nicht so verwirrend wie es sich anhört.
Oft spricht Olenka zu einem „Du“. Erst dachte ich, sie spricht vielleicht zu einem Kind, doch es ist wohl ein Mann, den sie liebt, vor dem sie auf der Flucht ist, er will sie töten. Die ganze Geschichte wirkt wie ein Erklärungsversucht von ihr, wie es zu den Ereignissen, die sie zur Flucht zwangen, gekommen ist.
Warum das so ist, und wie alles zusammenhängt setzt sich nach und nach, wie ein Puzzle zusammen. Das ist sehr spannend!
Eizellenspende
Jobs sind in der Ukraine Mangelware. Doch für junge gesunde Frauen gibt es eine Alternative, die auch relativ gut bezahlt wird: nein, nicht Prostitution, sondern ein Markt, von dem ich vor diesem Buch gar nicht wusste, dass er existiert: das Geschäft mit Eizellen.
Agenturen bieten ganze Kataloge mit spendenwilligen Frauen an. Sie müssen alles von sich preisgeben. Sie werden langwierigen Untersuchungen unterzogen. Im Katalog finden die Kunden nicht nur Fotos der Spenderinnen, sondern auch ihre Talente, Schulbildung, Familie, bisherige Wohnorte. Letzteres ist sehr wichtig, denn wohnen in einem Gebiet, das unter Umweltverschmutzung leidet, mindert den Preis stark. Da wird auch schon mal etwas gemogelt, aber nicht viel, falls jemand auf die Idee kommt die Angaben zu prüfen.
Eigentlich doch eine gute Alternative um Geld zu verdienen, oder? Wenn da nicht die vielen möglichen Nebenwirkungen wären. Durch die Hormonbehandlungen, die gerne sehr hoch dosiert werden, um möglichst viele Eizellen auf einmal zu „ernten“, kann es bei den Spenderinnen zu späterer Unfruchtbarkeit, Krebs und anderen gesundheitlichen Problemen kommen. Diese potenzieren sich bei mehreren Spenden. Wie dieses Buch zeigt, kann unsachgemäße Behandlung auch zum Tod der Spenderinenn führen.
Richtig lohnenswert ist das Geschäft auch eher für die Agenturen. Im Westen, so auch in Deutschland, sind die Spenden von Ukrainerinnen sehr beliebt, weil sie ähnlich aussehen wie die Frauen, denen die Spende dann eingesetzt wird.
In Deutschland ist dieses Verfahren (soweit ich weiß) nicht erlaubt. Doch der Bedarf ist riesig, deshalb gehen viele der betroffenen Paare ins Ausland und kaufen dort die Eizellen.

Donbass
Der Bereich Donbass ist ein Gebiet, das an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland liegt. Eine Zone die nicht erst einen Krieg erlebt hat und gerade kurz vor einem weiteren steht. In jeder Nachrichtensendung muss ich an dieses Buch denken.
Das Leben der Menschen dort, die Felder, die Häuser, die Tiere, die Städte: wird es das bis Ende diesen Jahres noch geben?
Olenka hat den letzten Krieg dort nicht am eigenen Leib erfahren, sondern nur durch die Medien. Das wühlt sie sehr auf. Sie denkt an ein Gedicht von Jewgeni Jewtuschenko:
Jeder hier erschossene Greis – : ich.
Jedes hier erschossene Kind – : ich.
Nichts, keine Faser von mir vergiss das je.
Somit geht es im Buch auch um Heimat, denn Olanka hat ihre verloren, und zwar mehrmals. Und sonst auch eigentlich alles. Was ihr bleibt ist ihr und nicht nur das.
Sofi Oksanen
Die Autorin lebt in Finnland. Sie wurde 1977 als Tochter einer estnischen Mutter und eines finnischen Vaters geboren. Die Herkunft ihrer Mutter ist vielleicht der Grund, warum ihre Bücher meist in Osteuropa spielen.
Oksanen hat bereits viele Buchpreise gewonnen, Fegefeuer war ihr populärster Roman, er erschien in über 40 Ländern.
Immer legt sie den Finger in eine Wunde, die nicht nur Osteuropa, sondern auch den Westen betrifft. So wie auch in Die Sache mit Norma, dort geht es um den Handel mit Haaren und Leihmutterschaft.
Fazit
Hundepark von Sofi Oksanen ist ein spannender, sehr geschickt konstruierter Roman, der mich gefesselt hat. Er öffnete mir die Augen über das Geschäft mit Eizellen und der Härte, mit der dieses Geschäft betrieben wird. Obwohl die Story oft bedrückend ist, schafft Oksanen (und ihre Übersetzerin Angela Plöger) es, die Geschichte wie von leichter Hand zu erzählen.

Hallo,
das ist eine tolle und gut beschreibende Rezi, die mich neugierig auf das Buch macht.
Vor allem ist es gerade jetzt ein interessanter Blick in die Ukrainische Seele, die wir alle gerade für ihren Mut und ihre Tapferkeit bewundern.
Liebe Grüße
Barbara
Hallo Barbara,
vielen Dank für deine Rückmeldung.
Im Buch werden die Lebensumstände in der Ukraine als nicht sehr rosig beschrieben. Doch jetzt ist es dort die Hölle.
Alles Gute
Silvia
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