Hannah Ross: Revolutions
Sonntag, 20. März 2022
Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten
Die Geschichte des Fahrrads ist eng mit der Geschichte der Emanzipation verknüpft. In diesem Buch Revolutions zeigt die Autorin Hannah Ross wie eng. Die vielen Geschichten, die sie dazu zusammengetragen hat, strukturiert sie in vier Teile.
Abschnitt Eins, die Revolution, berichtet von den frühen Pionierinnen, die beschimpft wurden, wenn sie auf dem Rad gesehen wurden. Im zweiten Teil geht es um Frauen, die das Fahrrad als Mittel zur Emanzipation einsetzten. Im dritten Abschnitt geht es um Frauen die neue Wege fuhren und im letzten Teil geht es um Leistungssport, früher und heute.
Und so ist das Buch eine Geschichte des Fahrrades in den letzten 130 Jahren und auch eine Geschichte der Emanzipation im gleichen Zeitrahmen.
Revolution
In diesem Abschnitt des Buches habe ich viel über die Erfindung des Fahrrades und die verschiedenen Entwicklungsstufen erfahren. Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das erste Rad mit Pedalantrieb und zwei gleich großen Felgen auf dem Markt kam, löste das einen Boom aus. Ja, es gab auch Frauen, die Rad fuhren, aber allgemein wurde es als „unangemessene Tätigkeit“ für das weibliche Geschlecht angesehen. Es war eine Zeit, in der Frauen kaum Freiheiten hatten, was ihren Körper, die Gesellschaft und ihren Geist anging. Unangemessen waren auch die Reaktionen, denen sich radelnde Frauen ausgesetzt sahen. Das reichte von verbalen bis zu schweren körperlichen Angriffen.
In diesem Bereich des Buches sind neben anderen Themen auch Ansichten von Medizinern, die Bekleidungsfrage und die damaligen Meinungsbilder zu entdecken.
Eigentlich habe ich die ganze Zeit ungläubig und entsetzt den Kopf geschüttelt.
Widerstand und Rebellion
Die Geschichte von Katherine Knox, die 1895 darum kämpft, in einen Fahrradclub aufgenommen zu werden hat mich sehr berührt. Kittie war nicht nur eine Frau, sondern auch noch eine afro-amerikanische. Damit hatte sie es doppelt schwer.
Eine 2019 in San Francisco durchgeführte Umfrage ergab, dass nur 13 Prozent der Radfahrer*innen in der Stadt women of color sind, wobei asiatische und hispanische Frauen am wenigsten vertreten waren; angesichts dessen, dass 34 Prozent der Einwohner*innen weibliche people of color sind, ein niedriger Wert.
Radfahren wird mit jung, weiß, männlich verbunden. Zum Glück gibt es auch Frauen, die da aktiv werden. Wie zum Beispiel Monica Garrison, die die Gruppe Black Girls Do Bike gründete. Das ist super. In dieser Richtung gibt es noch viel zu verbessern, denn es gibt Regionen auf unserer Erde, in denen Frauen das radeln generell verboten ist. Wenn es nicht gesetzlich geregelt wurde, dann doch durch den immensen gesellschaftlichen Druck. Und bitte bedenkt: es geht hier ja nicht primär um Radfahren als Sport, sondern erst mal um die Möglichkeit ein Rad als Verkehrsmittel nutzen zu dürfen. In Saudi Arabien ist die Nutzung von Fahrrädern für Frauen erst seit 2013 erlaubt.
Im späteren Verlauf des Abschnitts gibt es noch ein Kapitel, wie Fahrräder als Widerstandsmittel gegen die Naziherrschaft eingesetzt wurden, nicht nur von Frauen. Spannend auch das Verhältnis von Simone de Beauvoir zu Fahrrädern.
Auf freier Stecke
Ich fahre gerne (und im Moment sehr häufig) in Radurlaub. Aktivurlaub sorgt bei mir für Ablenkung und damit für Erholung. Auch am Ende des 19. Jahrhunderts waren Radreisen, gerne auch im Ausland so populär, dass das Reiseunternehmen Thomas Cook organisierte Radurlaube anbot. Doch auch damals war es schön selbst organisiert zu reisen, wenn das mit dem Rad auch noch ein richtiges Abenteuer für „unerschrockene Radfahrer*innen“ war. So erschien bereits 1896 ein „Handbook for Lady Cyclists“, geschrieben von Lillias Campbell Davidson.
Außerdem möchte ich noch Fanny Bullock Workmann herausheben. Die Globetrotterin und Abenteurerin wurde 1859 geboren und bereiste mit ihrem die Welt. Sie wurde für ihre Leistungen als Bergsteigerin und Radfahrerin weltberühmt.
Es gibt Frauen, die die Erde auf dem Fahrrad umrundet haben. So Juliana Buhring im Jahr 2012. Damit kam sie ins Guinness Buch der Rekorde. Ihre Tour fand auf eigene Faust, ohne die Unterstützung der bei Männern üblichen Sponsoren statt. Die Weltumrundung per Rad versuchte auch schon 1894 eine junge Frau, Annie Kopchovsky. Ihr wurde ein hohes Preisgeld versprochen, wenn sie es schafft. Auch während der Fahrt hat sie schon Sponsoring-Gelder angenommen.
Die Autorin Hannah Ross vergleicht die Touren der beiden Frauen im Buch miteinander, das ist sehr spannend und zeigt die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Rekordversuche. Spannend!
Königinnen
Die Franzosen bezeichnen das Fahrrad schon lange liebevoll als La petite reine – die kleine Königin.
So widmet sich dieser letzte Teil des Buches den Königinnen der Bahn, der Straße und der Berge.
Immer wieder geht es um den Kampf an Radrennen als Frau überhaupt teilnehmen zu können.
Ein Kapitel ist einer mutigen Italienerin gewidmet. Ihre Geschichte kenne ich schon aus dem Buch Die Rebellion der Alfonsina Strada.
Heute gibt es durchaus Frauen, die als Radprofis ihr Geld verdienen können. Doch werden da bei weitem nicht die Gelder wie bei den Männern gezahlt.
Im Rennrad Magazin Tour ist im Heft 4/2022 ein Frauen-Spezial enthalten. Hier geht es um das aktuelle Wachstum des Frauen-Rennrad-Sports. Dieses Jahr (2022) wird auch die Tour de France der Frauen wiederbelebt. Ich bin gespannt, ob der Frauen-Radsport langsam aus seinem Schattendasein treten kann.
Fazit
Die Geschichten des Fahrrades verbunden mit dem Schicksal von Frauen und dem Kampf um Gleichberechtigung sind unheimlich spannend zu lesen. Ich habe viel über die Geschichte der Emanzipation erfahren. Ich bin den mutigen Frauen der Vergangenheit sehr dankbar für ihren Einsatz und der Autorin Hannah Ross für dieses Buch Revolutions. Es ist eine Schatzkiste!
Neben dem Inhalt möchte ich auch die wunderbare Aufmachung hervorheben: haptisch schöner, knalliger Einband. Innen ein schönes Schriftbild mit mehrfarbigem Druck. Ein rundum gelungenes Buch! Auch für Menschen geeignet, die mit dem Radfahren nichts gemein haben, weil die Storys einfach so interessant und unterhaltsam geschrieben sind.