Anne von Canal: Whiteout-Rezension
Mittwoch, 30. August 2017
Wenn die Welt ein einziges Weiß ist, schneebedeckter Boden und der Himmel zu einer Einheit verschmelzen und kein Horizont mehr unterscheidbar ist, spricht man von einem Whiteout. Ein Wetterphänomen, dass schon einige Todesopfer, zum Beispiel bei Flugzeugabstürzen, zur Folge hatte.
Auch Hanna ist vom Whiteout betroffen:
Die Grenze zwischen Himmel und Erde sind ausradiert, oben und unten sind nicht mehr da, Linien und Farben ausgelöscht.
Orientierungslosigkeit im doppelten Sinne. Zum einen bedingt durch ihren Aufenthaltsort: irgendwo in der Nähe des Südpols und zum anderen ihre Verwirrung aufgrund einer Mail ihres Bruders:
Lieber Amundsen,
Scott ist tot.
Melde dich, Wilson.
Anstatt sich auf ihre Eiskernbohrung zu konzentrieren verliert sich Hanna jetzt in ihrer Vergangenheit. Ihre Kindheit mit ihrem Bruder und Fido, ihrer beider beste Freundin.
Die Kinder liebten es Pol-Expedition zu spielen, bis zum tödlichen Ende für Edward Adrian Wilson und Robert Falcon Scott mit Roald Amundsen als glorreichem Sieger. Doch statt den gemeinsamen Traum weiter zu verfolgen, verschwindet Fido nach dem Abitur wortlos in ein anderes Leben.
Erster Satz
Schon im ersten Satz des Buches wird die zerstörte Kinderfreundschaft auf den Punkt gebracht, auch wenn eigentlich von einem Generator die Rede ist
Unser Herz schlägt nicht mehr.
Wechselnde Zeitebenen
Im Buch wechseln die Zeitebenen zwischen Kindheit und Gegenwart. Manchmal vermischen sie sich auch, wie Erde und Himmel beim Whiteout. Stark sind vor allem die Szenen in Fidos Familienleben und der existenzbedrohenden Umwelt im ewigen Eis.
Hanna lebt im Buch ihren Kindheitstraum, kann dies aber nicht geniessen, da sie einsam ist. Sie fühlt sich verlassen und im Stich gelassen. Doch hat sie diese Einsamkeit selbst gewählt und kann dieses Gefühl in der schier unendlichen Eiswüste trotz der anwesenden Kollegen voll ausleben:
Ich bin.
Allein.
So ist es hier: Alles ist nichts und wenig ist viel. Und Einsamkeit das tröstlichste Gefühl.
Die Autorin
Anne von Canal ist 1973 in Siegen geboren und hat als Verlagsmitarbeiterin und Übersetzerin auch andere Seiten des Buchgeschäfts kennengelernt. Sie lebt in Norddeutschland und an der Mosel. Mit Freude las ich, das sie auch Lesungen in Köln geplant hat.
Fazit
Ich empfand das Buch als kurz, dafür sehr intensiv. Der Gegensatz und Wechsel zwischen Erinnerungen an die Vergangenheit und der eiskalten Gegenwart gaben dem Buch eine überraschende Intensität. Ich hoffe, Whiteout kann an den Erfolg von Der Grund anknüpfen.
Buchdaten
WhiteoutAnne von Canalgebundene Ausgabe 189 Seiten ISBN: 978-3-86648-247-0 Erschienen: 19.06.2017 |
Ich fand „Der Grund“ unglaublich intensiv und gut – eine Überraschung, nachdem ich von der Wahl des Lesekreises zunächst nicht besonders begeistert war. Ich war damals auch vom Thema nicht unbedingt angetan, wobei es sich dann ja anders entwickelte als erwartet. Vielleicht würde es mir mit „Whiteout“ wieder so ergehen? Weder Titel noch Thema sprechen mich an. 🙂
„Der Grund“ habe ich übrigens inzwischen schon öfter verschenkt.
Liebe Grüße,
Mona
Hallo Mona,
mir gefiel Whiteout sehr gut, doch wenn dich das Thema nicht ansprichst, solltest du vielleicht doch die Finger davon lassen.
Allerdings it es auch ein dünnes Büchlein, von daher ist das Risiko viel geringer als bei einem 700 Seiten Wälzer.
Liebe Grüße
Silvia