Applaus für Bronikowski
Donnerstag, 17. März 2016
Applaus für Bronikowski
Jetzt mal ehrlich: welche Eltern kommen auf die Idee ihren Sohn Dionysos zu nennen? Gut gemeint, denn der Name des griechischen Gott des Weines wird mit „Der Fröhliche“ übersetzt. Das erschien diesen Eltern nach einer Weinprobe irgendwie passend. Kein Wunder, das der Sprössling lieber „Nies“ genannt wurde, was von „netten“ Mitschülern oft in „Hatschi“ verwandelt wurde.
Mit 13 nimmt Nies seine Namensgebung selbst in die Hand. Er hört fortan nur noch auf NC (englisch ausgesprochen). Das steht für „No Canadian“. Wieder sind seine Eltern die Verursacher. Die halten es nämlich für eine gute Idee ihren Traum zu verwirklichen und nach Kanada auszuwandern. Ohne ihre Söhne. Nies, oder vielmehr NC, wohnt jetzt mit seinem älteren Bruder Bernd in einer kleinen Wohnung, und verkraftet das alles nicht wirklich.
Jetzt ist NC 30, hat mehrere Ausbildungen und Jobs hinter sich, ist arbeitslos, von der Freundin verlassen. Er verbringt seine Zeit mit Spaziergängen und landet dabei vor einem Bestattungsinstitut. Dort wird ein Helfer gesucht. Nach einer „Probe“, wie er mit Toten umgeht, bekommt NC den Job und arbeitet jetzt daran Toten ihre Würde zu erhalten. Seine Familie denkt allerdings er hätte den letzten Rest von seinem Verstand verloren.
In diesem Institut hat er einen kasachischen Kollegen, der auch die schwersten Leichname tragen kann, einen sehr redegewandten Chef und eine kleinwüchsige Chefin.
NC ist allein, wirkt auf mich aber nicht einsam. Er denkt gerne über Sprache, Wörter, sogar einzelne Buchstaben nach. Sein Tag wird von Arbeit und losen Zufallsbekanntschaften ausgefüllt. Zu diesen Bekannten gehört Maria März, eine Bäckereifachverkäuferin, die ihn als schwierigen Kunden kennt, Marcel, ein Schuljunge der viel gemobbt wird. Und natürlich November, ein dreibeiniger Hund.
NC nimmt die Dinge wie sie sind. Er macht zusammen mit seiner Chefin Witze über Klein und Groß, bewundert November dafür, dass er pinkelt ohne ein Bein zu heben.
Du hast recht, er ist gar kein armer Hund. Er hat dreißig Tage, nicht nur drei Silben und drei Beine.
Dabei ist er sicher kein Gutmensch. So steht auch einmal Körperverletzung an und wenn Nies schlecht drauf ist, wirft er gerne Dinge an Hauswände (z.B. Eier und Tomaten).
Das Buch ist humorig, für mich überwog allerdings der melancholische Ton.
Viele Straßenzüge verband er mit Abholungen von Verstorbenen, und wenn er mit dem Bestattungsfahrzeug durch die Stadt fuhr, dann schoben sich immer wieder einzelne Gesichter vor sein inneres Auge, und manchmal kam es ihm so vor, als verschwömmen die Straßen vor seinen Augen und statt auf Asphalt fuhr er auf Lebensgeschichten entlang. Die Stadt war für ihn zum Panoptikum des Lebens geworden. Und er war sein Beobachter. Manchmal wünschte er ich dazuzugehören.
Da kommt NC auf die Idee für eine Tote eine besondere Seebestattung auszurichten. Das endet im totalen Chaos.
Wer wissen will wie das weitergeht und wer eigentlich Bronikowski ist, muss das Buch selbst lesen.
Ich bin für schwarzen, subtilen Humor und skurrile Szenen eigentlich recht empfänglich. Da ich aber in der Zeit, als ich das Buch las, mit meinem Mann die Beerdigung seines besten Freundes plante, wirkte auf mich das Buch nicht so lustig wie es sicher zu anderen Zeiten der Fall gewesen wäre. Dieser zeitliche Zufall sollte aber wohl so sein.
Ich wünsche allen Menschen, dass sie vor und nach dem Tod mit Würde behandelt werden. Ich würde mich schon gerne von Nies beerdigen lassen.
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Kai Weyand: Applaus für Bronikowski, Roman, Wallstein Verlag, 188 S., geb., Schutzumschlag, ISBN: 978-3-8353-1604-1, [D] 19,90 €
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Nanni von Fantasie- und Träumerei schreibt: „Zudem ist es die herzlichste, sympathischste und intelligenteste Geschichte, die ich über das Zusammenspiel von Leben und Tod bisher gelesen habe.“.