James Rhodes: ein Lese- und Hör-Erlebnis
Dienstag, 15. März 2016
Der Klang der Wut
James Rhodes ist Pianist. Er hat schon mehrere Alben veröffentlicht, gibt regelmäßig rund um den Globus Konzerte. Im britischen Fernsehen ist er ein beliebter Aufklärer in Sachen klassischer Musik.
James Rhodes war viele Jahre seines Leben ein psychisches Wrack. Er hat mit Drogen, Alkohol, Medikamenten und Rasierklingen hantiert. Und er ist ein Missbrauchsopfer. Seine Probleme rühren vom sexuellen Missbrauch durch einen Sportlehrer über mehrere Jahre her. Er litt nicht nur schwerste seelische Schäden, sondern auch körperliche. So musste er mehrmals an der Wirbelsäule operiert werden. Er wanderte durch mehrere Therapien und Anstalten.
Das Buch
In dem Buch beschreibt er, wie klassische Klaviermusik sein Leben rettete. Die Musik und seine Freunde und sein Sohn.
In seiner Autobiographie über die ersten knapp 40 Jahre seines Lebens nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er scheut sich auch nicht Wörter wild in den Text einzustreuen, die im Kindergarten streng verboten sind. Doch darauf wird der Leser schnell hingewiesen, denn schon der erste Satz lautet:
Von klassischer Musik krieg ich‘n Ständer.
Er spart in seinem Buch nicht mit Kritik an allem Möglichen, aber vor allem nicht an sich selbst. Das Buch ist irgendwie ein Teil seiner Therapie. Eine Therapie, die aufgrund seiner tiefsitzenden seelischen Probleme wohl nie ganz beendet sein wird. So schreibt er auch, dass dieses Buch wie ein Brief an seinen (inzwischen toten) Vergewaltiger sei. Es geht also viel um Missbrauch und seine zerstörerischen Folgen.
Und es geht um Musik. Genauer gesagt um klassische Klaviermusik. Jedes Kapitel ist nach einem Stück benannt. Und jedes Stück, sein Komponist oder Interpret wird auf ein bis zwei Seiten näher beschrieben. Wer nach diesem Buch nicht Lust bekommt sich die Stücke anzuhören, kennt sie vielleicht schon alle…
Die einzelnen Kapitel werden durch die „Aria“ der Goldbergvariationen zusammengehalten. Wie auch im gleichnamigen Werk von Johann Sebastian Bach beginnt und endet das Buch mit der gleichen Szene. Wie bei Bach, wirkt die Szene auf den Leser aber sehr verschieden. Übrigens: die mehrmals erwähnte Einspielung von Glen Gould ist wirklich phänomenal, vor allem die jüngere, langsamere…)
Ich bin regelmäßige Besucherin von Klavierkonzerten. Viele der genannten Stücke und Interpreten habe ich schon live gesehen. So ist z.B. der mehrmals vorkommende Pianist Sokolov regelmäßig Gast in der Kölner Philharmonie. Trotzdem habe ich viele neue Informationen über diese vielseitige Musikrichtung erfahren und viel Lust bekommen mir noch viel mehr anzuhören und vor allem wieder selbst zu üben.
Ob er so oft Arschloch und Scheiße und das f-Wort hätte erwähnen müssen glaube ich nicht. Doch er will authentisch sein. Und das auch mit seinem Buch. Er will provozieren und die Welt verändern! Jemand der so gut Klavier spielen kann, darf dann meinetwegen auch gerne Schimpfworte benutzen. Ausgeglichen wird das für mich allein durch die begeisterten Beschreibungen und Interpretationen der Klavierstücke. Auch in seinen Konzerten wendet er sich nicht unbedingt an den typischen Klassikfan, sondern versucht auch andere Menschen dafür zu begeistern.
Wer denkt der Typ sei völlig durchgeknallt mag recht haben. Wer aber die kurzen Berichte zu den bekannten Komponisten liest, stellt fest, dass diese auch oft am Rande des Zusammenbruchs lebten. Genie und Wahnsinn bilden da oft eine Einheit.
Zuviel
Einzig Kapitel 19, in dem er seine Beziehungserfahrungen in einer Art Kurzleitfaden für Paare zusammenfügt, war für mich überflüssig.
Zuwenig
Das einzige was mir fehlt ist die CD zum Buch, doch da gibt es eine kostenlose Alternative. Alle Musikstücke können hier gratis angehört werden.
Wer noch überlegt, ob er das Buch in die Hand nehmen möchte: es gibt auch eine Fernsehserie auf DVD „Piano Man“. Dort geht es nur um Musik, ohne den Seelenstriptease. Vielleicht gibt es ja auch bald mal eine Tournee durch Deutschland. Ich wäre dabei.
Live bei der Litcologne
Ich durfte ihn im Rahmen der LitCologne auch Live erleben. Dort lernte ich einen zurückhaltenden Menschen mit viel Humor kennen. Bei der Signierstunde hat er sich bei jedem für sein Interesse bedankt.
Er spielte während der Lesung drei Stücke. Ich muss zugeben, zwei davon eher nicht auf Konzertpianisten-Niveau, hörten sich eher so an, als ob er sie länger ncht mehr gespielt hat. Das dritte Stück aber, ein mir bisher unbekanntes Stück von Gluck aus Orpheus und Euridyke, verzauberte mich völlig. Alle drei Stücke waren von deutschen Komponisten, alle in D-Moll, bildeten dadurch eine musikalische Einheit und passten gut zu den im Buch beschriebenen Depressionen. Ich werde ab sofort Ausschau halten, ob er nicht doch mal durch Deutschland touren wird. Leider habe ich seinen Auftritt bei der Litcologne-Eröffnungsgala verpasst.
Humor
Während des Gesprächs wurde er auch nach seinen Tattoos an den Armen befragt. Auf der Innenseite des einen Unterarms hat er sich den Namen des von ihm sehr verehrten Komponisten Sergei Rachmaninoff tätowieren lassen. In kyrillischen Buchstaben. Rhodes meinte dazu, dass er zumindest hoffe, das das dort steht und nicht etwa Richard Clayderman…
Der Titel
Ausnahmsweise empfinde ich den deutschen Titel „Klang der Wut“ passender als den Original Titel „Instrumental“. Allerdings hat der englische Titel auch noch einige Nebenbedeutungen, die mir erst später klar wurden. Zum einen ist der Wortteil „mental“ ein Hinweis auf die psychologischen Störungen, zum anderen heisst auch das Plattenlabel, das Rhodes gerade gründet, auch so.
Drama
Während der Lesung kam auch die Sprache darauf, das die Ex-Frau des Pianisten versuchte die Veröffentlichung zu verhindern (obwohl sie gar nicht schlecht wegkommt im Buch). Rhodes musste dies bis zum Supreme Court bringen, um sich das Recht über sein Leben zu schreiben, zu erstreiten.
Fazit
James Rhodes ist vieles, aber kein besonders begnadeter Schriftsteller. Dieses Buch fällt aber auch nicht in den Belletristik-, sondern in den Sachbuch-Bereich. Rhodes hat sich hier aber ein aufrüttelndes, mutiges Buch von der Seele geschrieben, das für viel Verständnis für Menschen mit psychischen Problemen wirbt. Und das Buch ist eine Einladung an alle sich mal auf klassische (Klavier-) Musik einzulassen. Auch für mich, die von klassischer Klaviermusik schon längst eingenommen ist, bot das Buch viele interessante Einblicke in das Leben eines Pianisten. Ein Buch, dessen Geschichte mich nachhaltig beeindruckt hat.
♌
James Rhodes: Klang der Wut, in einer Übersetzung von Giovanni und Ditte Bandini, Nagel und Kimche Verlag, ISBN 978-3-312-00654-0, gebundenes Buch, 320 Seiten, [D] 22,90 €
Was für eine ungewöhnliche Mischung. Gewalt und Klaviermusik – in einem Buch! Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich sollte mal einen Blick in dieses Buch werfen…
Danke für den ausführlichen Bericht. Ich kannte James Rhodes bisher nicht. Leider funktioniert der Link zu seinen Klavierkonzerten (?) nicht.
LG,
Rabin
Ich habe ihn auch nur durch dieses Buch kennengelernt. Und hm., über den Link kann ich jetzt auch nicht mehr an die Musik. Vielleicht ein vorübergehendes Problem.