Debüts 2017 – Meine Entscheidung
Sonntag, 7. Januar 2018
Qual der Wahl
Der Blogger-Literaturpreis von Das Debüt steht kurz vor der Entscheidung. Jedes Jury-Mitglied hat sich verpflichtet einen Beitrag zu veröffentlichen, indem die drei Favoriten mit Punkten von drei bis eins vorgestellt werden. Vor etwa drei Wochen habe ich das letzte Buch der Liste ausgelesen und hadere seitdem mit der Entscheidung. Kennt ihr den Ausdruck „Äpfel mit Birnen vergleichen“? Ich habe hier eine Obstschale mit Apfel, Banane, Kiwi, Mandarine und Weintraube vor mir stehen. Alles Obst, das ich sehr gerne esse. Ich kann nicht sagen dies ist mein Lieblingsobst. Denn das ist situativ bedingt. Jedes hat seine Vorteile. Manchmal brauche ich den Biss in einen knackigen Apfel, dann habe ich wieder richtig Hunger den ich mit einer Banane gut stillen kann oder wie schön ist es den Duft einer frisch geschälten Mandarine zu genießen?
So fühle ich mich bei der Entscheidung, welches der fünf Debüts das Beste ist, meiner subjektiven Ansicht nach. Mal ist es die Weintraube, mal die Kiwi, dann wieder der Apfel. Je nach Tagesform. Dann las ich natürlich auch die Rezensionen der anderen Juryteilnehmer. Jeder hat einen anderen Blick auf die Bücher, zeigt mir einen Aspekt, den ich nicht bedacht habe.
Einen Abend habe ich die Bücher mit meinem Lesekreis diskutiert. Keiner der Anwesenden hatte auch nur eines der Bücher gelesen. Sie stellten mir Fragen zu den Büchern und erstellten aus meinen Antworten eine Rangliste. Ganz klar hieß es da: das gefällt dir am besten, das scheinst du gar nicht gemocht zu haben. Alles klar. In meinem Kopf hatte ich eine Reihenfolge, die Argumentation schien mir schlüssig. Doch schon auf der Rückfahrt fielen mir neue Argumente ein.
Wir treffen jeden Tag tausende von Entscheidungen, die meisten intuitiv. Doch die Entscheidung in welcher Reihenfolge ich das Obst aus diesem Korb empfehlen möchte, wurde immer schwieriger, je mehr ich darüber nachdachte.
Meine Kriterien
Hier zitiere ich mich mal selbst aus dem Beitrag vom 22. November, kurz nach Veröffentlichung der Shortlist.
Ein Thema, das mich interessiert und anspricht und über das es sich zu lesen lohnt. Ein gewisser Anspruch an den Stil und die sprachliche Umsetzung habe ich ebenfalls. Ich möchte, dass das Buch kein Abklatsch von einem anderen Buch ist, das ich schon mal gelesen habe. Wichtig ist mir der Nachhall. Ich liebe es, wenn ich mich im Alltag plötzlich an ein Buch und Passagen daraus erinnere. Ich möchte, dass es mich noch länger im Leben begleitet und ich mich auch nach ein paar Jahren an dieses Buch erinnern kann.
Dazu stehe ich immer noch. Doch irgendwie trifft alles auf jedes der fünf Bücher zu.
Genug gequatscht. Jetzt greife ich in den Obstkorb und wähle…
Dritter Platz
Oder Florida von Christian Bangel bekommt von mir einen Punkt.
Ein politischer Roman, verpackt in eine Coming-of-Age-Geschichte, der viele Erinnerungen in mir weckte. Gleichzeitig aber auch viele Vergleiche zur heutigen Situation zulässt. Ost-West Unterschiede, die heute noch sehr offensichtlich sind. Außerdem die Verwirrung der jungen Erwachsenen von heute. Manche haben keine Perspektiven, manche sehen nur einen vorgezeichneten Weg, andere haben ein Meer voller Möglichkeiten vor sich und können sich einfach nicht entscheiden in welche Richtung sie schwimmen sollen. Da ich zwei Teenagerinnen unter meinem Dach habe, ist das ein Thema, welches mich sehr beschäftigt. Gut gefiel mir auch in diesem Buch, dass trotzdem der Humor nicht untergeht. Ich schätze es, wenn ernste Themen leicht verpackt werden, das erleichtert den Zugang.
Stilistisch bietet mir das Buch zwar nichts Neues, doch der Inhalt bot mir viele Anlässe zum Nachdenken und der Nachhall ist recht laut.
Hier weitere Rezensionen meiner Jury-Kollegen:
Ruth liest
Zweiter Platz
Drei Punkte erhält von mir Das Genie von Klaus Cäsar Zehrer.
Auch hier geht für mich Inhalt vor Stil. Das Buch war das dickste von allen, ließ sich aber recht schnell lesen. Ich habe es schon vor Monaten gelesen, ohne eine Ahnung, dass es überhaupt auf der Longlist stehen würde. Doch inhaltlich hat es gleich mehrere Nerven bei mir getroffen. Zum einen die Beschreibung der Anfänge der IT. Ich arbeite in dieser Branche und war fasziniert von der Beschreibung der ersten Rechenmaschinen. Die Erziehungsaspekte waren sehr interessant. Wieviel Potential steckt in einem Menschen? Da bin ich wieder bei meinen Töchtern. Warum zum Henker schöpfen sie ihres nicht aus? Was tue ich meinen Kindern an, wenn ich sie immer wieder dränge, mehr aus sich zu machen? Dieses Buch zeigt auf eklatante Weise wie wichtig soziale Kompetenz ist.
Es ist das Buch, von dem ich anderen am häufigsten erzählt habe.
Hier weitere Rezensionen meiner Jury-Kollegen
Ruth liest
Erster Platz
„Eine kurze Chronik vom allmählichen Verschwinden“ von Juliana Kálnay erhält fünf Punkte von mir.
Der Stil, oder vielmehr die unterschiedlichen Stile, die hier auftauchen, haben mich beim Lesen sehr fasziniert. Ich habe es schon von der Longlist heraus ausgewählt und im September gelesen. Die Rezension habe ich vor mir hergeschoben. Als ich es vor zwei Wochen erneut durchblätterte und die markierten Stellen und Überschriften erneut las, war ich direkt wieder in dieses Buch vertieft. So viele Details, die so geschickt ineinandergreifen. So viele kleine, zum Teil phantastische Geschichten. Ein Buch, dass ich sicher mehrmals lesen und immer wieder Neues entdecken kann.
Thema, Stil, etwas Neues, Nachhall: alles stimmt für mich.
Hier weitere Rezensionen meiner Jury-Kollegen:
Fazit
Die Beschäftigung mit den Debütromanen war eine echte Bereicherung für mich. Alles sehr überraschend. Ich habe nicht nur die fünf Bücher der Shortlist, sondern auch einige der Longlist gelesen. Einige stehen auch noch aus. Die Auswahl für die Shortlist bestand aus sehr unterschiedlichen Büchern, deren Autoren alle den Peis verdient hätten.
Mein Anspruch war für alle Shortlist-Bücher eine Rezension zu schreiben und freue mich, dass alle Autoren bei einem Interview mitgemacht haben und auch sehr kurzfristig geantwortet haben. Der Zusammenhalt bei den Jurymitgliedern könnte für meinen Geschmack etwas enger sein. Zum Beispiel durch mehr gegenseitiges Teilen der Beiträge. Richtig Lust hätte ich auf ein Präsenztreffen gehabt, denn diese Bücher boten alle reichlich Diskussionsstoff.
Doch zieht das alles auch viel Aufwand nach sich. Wenn ich nicht schon drei der Bücher bei der Bekanntgabe der Shortlist gelesen hätte, wäre ich echt ins schleudern gekommen, da auch im Büro in der Zeit viel zu tun war. Ich weiß nicht, ob ich jedes Jahr diesen Aufwand betreiben könnte, etwas mehr Zeit wäre sicher hilfreich, allerdings war es auch keine Bedingung jedes der Shortlistbücher zu rezensieren. Doch habe ich die Teilnahme nicht bereut und werde den Preis auch nächstes Jahr intensiv verfolgen.
Ich bin sehr gespannt wie das Voting der anderen Blogger ausfällt und wer das Rennen machen wird.
Pingback: [Debütpreis 2017]: Sprachlich anspruchsvoll, diverse Themen, schwierige Entscheidung und ein Gewinnspiel – Lesen macht glücklich
Liebe Silvia! Das hast Du sehr gut beschrieben, in welchem Dilemma man sich bei der Juryentscheidung befindet. Und sehr interessant, zu welcher Reihenfolge Du gekommen bist – meine sieht geringfügig anders aus. Mal sehen, was am Ende dabei rauskommt!
Du hast auch recht, dass es schön wäre, mehr Diskussionen innerhalb der Jury über die Bücher zu führen. Bei mir zum Beispiel hat das (Klassiker!) leider schon darum nicht geklappt, weil ich erst sehr spät mit dem Lesen fertig geworden bin. Bei mir fängt der Blick hinaus gerade erst an – und das ist wahrscheinlich eine Schwierigkeit: das unterschiedliche Timing bei allem. Ob sich da etwas dran verändern lässt?
Für mich war es aber wie schon im letzten Jahr besonders interessant, auf diese Bücher zu stoßen, die ich sonst wahrscheinlich gar nicht gelesen hatte: fünf sehr spannende Überraschungsbonbons.
Liebe Grüße! Friederike/ frintze
Hallo Friederike,
mehr Diskussionen hätte mir auch gut gefallen. Am liebsten wäre mir ein ganzes Wochenende mit der Jury gewesen.
Alles Gute
Silvia
Da ist es mir, glaube ich, sehr ähnlich gegangen und hatte oder habe den gemischten Obstkorb auch vor mir stehen.
Wie mich entscheiden, über diese Frage denke ich, glaube ich, immer noch nach, soll ich nur die poetischen Bücher nehmen und da Weber, Kalnay, Reisinger sagen und die beiden anderen ebenso interessanten weglassen, ich habe mich dagegen entschieden Weber, Bangel und Zehrer geschrieben, wobei ich nach wie vor bedauere, daß da dann kein Platz für Juliana Kalnay war, aber die hat, wie ich sehe und das auch schon vorher hoffte, bei den anderen gute Chancen.
Also wollen wir das beste hoffen und vor allem, daß Julia Weber nicht untergeht, ich habe die Bücher übrigens auch alle besprochen, liebe Grüße aus Wien, beziehungsweise Harland bei St. Pölten
https://literaturgefluester.wordpress.com/2017/12/09/die-blogger-debut-preis-entscheidung/
Hallo Eva,
es war wirklich sehr, sehr schwer zu einer Entscheidung zu kommen.
Alle fünf Bücher sind für mich auf ihre Art preiswürdig.
Alles Gute
Silvia
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Eine Bereicherung fand ich es auch. Schön, das Du das geschrieben hast! Im Nachhinein bin ich froh, mitgemacht zu haben. Aber ich muss sagen, ich habe mich auch streckenweise recht durchgequält. Einige der Bücher hätte ich bei privatem Lesen wohl abgebrochen.
Ich hab leider auch fast bis zum Schluss mit dem lesen gebraucht, und extra keine Rezensionen verfolgt, um unbeeinflusst zu urteilen. Da bist Du mit deinem Wunsch nach Diskussion ganz anders. ich würde befürchten, dass sich unsere Urteile dann zu sehr angleichen.
Da magst du recht haben. Aber für ein paar Bücher hätte ich einen Lesekreis zur Buchdiskussion gebraucht.
Alles Gute
Silvia
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Hallo Silvia,
bis auf Bangel keine Übereinstimmung. Hätte ich jetzt so nicht erwartet. Aber das zeigt auch wieder, dass jeder die Bücher anders wahrnimmt. So fand ich Zehrer zwar gut zu lesen, aber es stellte sich immer eine gewisse Distanz ein und ich empfand das Buch trotz der weitreichenden Epoche als viel zu kurzatmig, was manche Szenen oder Episoden aus Williams Leben anging.
Kalnay war mir einfach zu beliebig und undurchdringluch mit ihren vielen erzählstimmen…
2018 wieder mit dabei?
Liebe Grüße
Marc
Ist das nicht eine der schönen Seiten, wenn man sich über Bücher austauscht? Das nie zwei Leser genau dasselbe empfinden?
Wegen nächstem Jahr überlege ich noch. Wirklich entscheiden werde ich das erst im Herbst.
Alles Gute
Silvia
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