Rezension: Oder Florida
Freitag, 22. Dezember 2017
Rezension und Autoreninterview zu Oder Florida von Christian Bangel
Weiter geht es mit dem Lesen der Shortlist für den Debütpreis vom Blog Das Debüt. Diesmal mit einem Buch, dass durch sein fröhliches, gelbes Cover auf einem Büchertisch direkt auffällt.
Matthias Freier, ein junger Mann kurz nach dem Abi, versucht nach der Wende in seiner Heimatstadt Frankfurt (an der Oder) Fuß zu fassen. Er textet für ein Online-Magazin und trauert seiner großen Liebe Nadja nach.
Da kommt Schwung in sein Leben: Nadja kehrt zurück und sein Freund und Chef Fliege hat große Pläne.
Heimat
Matthias mag Frankfurt. Es ist seine Heimat, er fühlt sich dort eigentlich sehr wohl. Mit den Carepaketen seiner Mutter kommt er auch irgendwie über die Runden. Was ihn aber wirklich stört sind die Neonazis. Mehr als einmal wird Freier „geklatscht“, er landet sogar im Krankenhaus. Irgendwann hat er Angst überhaupt noch auf die Straße zu gehen. Freier gehört eher zur linken Szene. Sein Freund Fliege hat viele Geschäfts-Ideen und nimmt auch seine Freunde mit, wenn er sie auch manchmal ausnutzt.
Sonne
Eine der Ideen Flieges ist eine Sonnendemo. Wie die legendären Montagsmärsche kurz vor der Wende ruft er auf, für mehr Sonne zu demonstrieren. Die Anzahl der Sonnenstunden soll endlich erhöht werden. Hört sich dumm an, aber einigen Leuten gefällt es. Die Demos bekommen immer mehr Besucher. Da kommt Fliege noch auf eine weitere Idee.
Bürgermeister
Er will die Ortsgruppe der SPD durch eine feindliche Übernahme infiltrieren und einen eigenen Bürgermeisterkandidaten an die Macht bringen. Und da sucht er sich ausgerechnet den Ortsbonzen Franziskus aus. Wahlslogan:
Zur Sonne, zur Freiheit
Liebe
Mit Nadja ist das auch so eine Sache. Freier ist total verknallt, fährt ihr hinterher, sie lässt ihn ein wenig am Haken baumeln. Im Berlin der alternativen Szene treibt sie sich rum, Freier fühlt sich dort nicht ganz wohl. Doch er bekommt sie nicht aus dem Kopf und träumt immer wieder von einer gemeinsamen Zukunft.
Aussichten
Bonze Franziskus will Freier eine Chance geben. Ein verantwortungsvoller Job mit viel Geld winkt in Florida. Mich wunderte sehr, dass Freier sich darauf einlässt, wirkte er doch vorher nicht so ganz unzufrieden mit seinem einfachen Leben. Und dann plötzlich als Unternehmer? Dieser Sinneswandel kam bei mir nicht an. Doch bevor es in die USA geht, muss er erst das Business in Hamburg erlernen. Und das geht nicht ohne Demütigung ab.
Humor
Auch wenn die Aussichten der Protagonisten oft nicht gut sind, verlieren weder Freier noch der Autor ihren Humor. Es ist zwar keine Komödie, aber ein heiterer leichter Stil macht das Buch sehr unterhaltsam. Die traurigen Zustände und fehlenden Aussichten für junge Menschen in Ostdeutschland werden sehr transparent gemacht. Schade, dass es auch für Menschen, die dort bleiben wollten, die Arbeit im Gurkenfeld immer noch die wahrscheinlichste Berufswahl war.
Ossi – Wessi
Auch wie die Ossis im Westen behandelt wurden war schon krass. Böse Spitznamen werden vergeben, die Menschen werden ausgenutzt und nicht für voll genommen. Ja, das ist alles schon bald 30 Jahre her, doch immer noch ein Thema in der deutschen Gesellschaft. Ost und West sind immer noch nicht gleichgestellt, dass es dieses Unterscheidungsmerkmal überhaupt noch gibt spricht Bände. Ich habe da Hoffnung auf die jüngeren Generationen. Meinen Töchtern ist dieser Unterscheid zum Beispiel gar nicht bewusst. In ihrer Welt gibt es nur ein Deutschland.
Jugend
Freier ist 20 Jahre alt. Ein Alter, in dem auch heute die jungen Menschen wichtige Weichen für ihr Leben stellen. Berufswahl, Ortswahl, Studienfach, plötzliche Selbständigkeit. Viele seiner Probleme von vor 20 Jahren sind den heutigen nicht unähnlich. Von daher ist es für mich kein bloßes Wendebuch, sondern auch ein Coming-of-Age-Roman.
Fazit
Oder Florida empfand ich als unterhaltsamen Roman, der politische Gegebenheiten gut verdeutlicht. Dies passiert mit einer Prise Humor, so dass ich auch die harten Fakten und traurigen Umstände mit einem lächelnden Auge gut verkraften konnte. Gute Erzählung über eine deutsche Zeit, die noch starke Nachwehen bis heute hat.
Interview
Christan Bangel wurde Ende der 1970iger in Frankfurt an der Oder geboren. Er studierte Geschichte, gründete ein Netzmagazin und einen Anti-Nazi-Blog für den er mit dem Grimmepreis aisgezeichnet wurde. Heute ist er Chef vom Dienst bei Zeit-Online und lebt mit Familie in Berlin.
Dieses Interview wurde per Mail geführt.
Silvia: Bitte beschreibe dein Buch „Oder Florida“ mit fünf Substantiven.
Christian: Osten, Westen, Nazis, Liebe, Windows98
Silvia: Win98. Mir wird ganz melancholisch. Wieviel Christian steckt in Freier? Oder bist du eher Fliege?
Christian: Ich bin weder Fliege noch Freier. Aber vielleicht wäre ich damals mit Freier gut zurechtgekommen. Lange Haare, unklarer Style, Angst und Aufbruchsgefühle – das verbindet.
Silvia: Wie schätzt du die Macht der Neonazis heute ein?
Christian: Klassische Neonazis sind heute viel weniger ein Probem als damals. Allerdings sagen heute Menschen aus der sogenannten Mitte ganz offen die Dinge, die die Nazis damals erzählt haben. Und ich glaube, das ist kein Zufall: Die Rechtsextremen haben damals, in den späten Neunzigern, nach einem Plan gehandelt. Sie wollten langsam, aber stetig die Gesellschaft durchdringen und dafür sorgen, dass in zehn, zwanzig Jahren viele ihren Begriff von „Kultur“ und „Nation“ teilen. Es muss jeder selbst beurteilen, wie weit sie damit gekommen sind. Ich meine: Sehr weit.
Silvia: Ich befürchte, ich muss dir recht geben. Jetzt mal was Positives: Wann wird denn die Anzahl der täglichen Sonnenstunden endlich erhöht?
Christian: Tja, frag mal Deine Politiker. Und wenn sie nicht antworten – übernimm ihre Partei.
Silvia: Ich warte bis meine Töchter Wahlrecht haben, dann geht es mit ihrer Unterstützung los! Warst du schon in Florida? Was ist dein Traumreiseziel?
Christian: Nein, leider nicht. Ach, es gibt zuviel. Ich sehne mich gerade wieder sehr nach Portugal, aber eigentlich auch nach jedem anderen Ort am Meer mit guten Temperaturen und Sonne.
Silvia: Gerade bekomme ich Fernweh. Sind die Filmrechte eigentlich schon verkauft? Ich kann mir dieses Buch sehr gut als Film vorstellen.
Christian: Danke sehr. Nein, sind sie nicht. Mich würde aber wirklich interessieren, wie das aussähe. Wer sollte den Freier spielen?
Silvia: Darüber muss ich erst mal nachdenken. Wenn es soweit ist, kann ich gerne beim Casting unterstützen. Wie kommt es, dass du jetzt deinen ersten Roman geschrieben hast?
Christian: Weil es erst vor drei Jahren konkret wurde. Ich hatte immer mal davon geträumt, ein Buch zu schreiben, hatte aber keine Erfahrung, keine Kontakte und einen anderen Job. Ich hab dann ein ZEIT-Dossier zu meiner ostdeutschen Identität geschrieben. Danach traf ich dann meinen Agenten. Es ist wahrscheinlich gut, dass ich den Roman erst jetzt geschrieben habe. Früher hätte ich wahrscheinlich mehr idealisiert, oder bedrohlichere Szenarien erfunden. Vielleicht ist all das, der Aufbruch, die Angst, jetzt genauso so richtig dosiert. Ich bin jedenfalls froh damit.
Silvia: Jede Lebenszeit hat ihre Ausdrucksform. Auch mein Lesegeschmack ändert sich immer wieder. Hast du Kontakte zu Bloggern? Liest du deren Buchbesprechungen?
Christian: Leider nicht. Das hat mit meinem Beruf zu tun. Ich muss einen großen Teil meiner Zeit in politische und wissenschaftliche Texte stecken.
Silvia: Mein Tag könnte auch gerne fünf Stunden mehr haben. Wie sehen deine weiteren literarischen Pläne aus?
Christian: Das weiß ich noch nicht. Natürlich würde ich gern wieder einen Roman schreiben, aber dazu muss auch der entsprechende Stoff entstanden sein. Ich werde mir jetzt einige Zeit die Gegenwart als Journalist anschauen und dann mal sehen, welches das beste Mittel ist, sie einzufangen.
Silvia: Ich bin gespannt, welches Thema dein nächster Roman aufgreift. Jetzt noch unsere obligatorische Abschlussfrage: Was sind deine Lieblingskekse ?
Christian: Puh, falsche Frage. Ich habe erst gestern in Gegenwart meiner hungrigen Tochter die Zimtsterne versaut.
Silvia: Ja, ja die Zimtsterne. Probiere es doch nächstes Jahr mal mit unserem Rezept. Vielen Dank für deine Antworten und viel Erfolg mit deinem Buch!
Infos zum Buch
Oder Florida Christian Bangel Piper Verlag ISBN 978-3-492-05804-9 352 Seiten, [D] 20,00 € |
Och…Spannend
Ich guck morgen noch mal danach.
Liebe Grüße
Andrea
Liebe Andrea,
bei mir kamen viele Erinnerungen an die Zeit hoch. Allerdings spielte für mich als Wessi die Wende kaum eine Rolle.
Alles Gute
Silvia