Rezension: Still halten
Mittwoch, 20. Dezember 2017
Rezension und Interview zu Still halten von Jovana Reisinger
„Still halten“ ist einer der Debütromane, die 2017 auf der Shortlist des Blogger-Literaturpreises von Das Debüt stehen. Ich darf in der Jury mitwirken und möchte jedes Buch der Shortlist auf dem Blog besprechen.
Vorweggenommen: „Still halten“ von Jovana Reisinger ist ein Buch, dass mich sehr gefordert hat. Es bietet mir viel Interpretationsspielraum. Ob meine Sicht auf das Buch und das, was darin passiert so gewollt ist, mag ich nicht beurteilen.
Die Frau
Eine Frau wird für ein Jahr krankgeschrieben. Diagnose ist wohl irgendetwas Psychisches. Bornout? Magersucht? So genau erfährt der Leser das nicht. Ebenso wie der Name der Frau ein Geheimnis bleibt.
Die Frau nimmt wieder Platz ein, kann bald ein Kleid ausfüllen. Die Frau wird bald wieder eine Person. Aber das dauert noch. Jetzt hat die Frau Zeit sich auszuruhen.
Die Perspektive des Buches springt munter zwischen der dritten und der ersten Person Singular. Je nach Gemütszustand der Protagonistin erzählt sie von sich selbst als „Ich“ oder mit Abstand von „der Frau“.
Die Frau scheint starke Identitätsproblemezu haben. Sie verbringt ihre Zeit damit auf „den Mann“ zu warten. Sie identifiziert sich im ersten Teil des Buches nur als Ehefrau. Will hübsch aussehen, im Bett was zu bieten haben. Gruselig!
Die Frau hat auf den Mann zu warten. Die Frau kann froh sein, überhaupt einen Mann zu haben.
Die Mutter
Dann bekommt sie die Nachricht, dass die Mutter im Sterben liegt. Lungenentzündung. Die Frau fährt aber nicht direkt los um ihrer Mutter beizustehen, sondern plant eine verschlungene Pilgerwanderung und lernt dabei, ich sag mal, „interessante“ Menschen kennen. Doch es wird nichts aus dem Pilgergang zur Rettung der Mutter. Die Mutter verstirbt. Jetzt fährt die Frau dann doch los. In diesem Buchabschnitt ist sie nur noch in zweiter Linie die Frau eines Mannes und konzentriert sich sehr auf ihre Rolle als Tochter. Sie schlüpft in die Kleider der Mutter, zieht in ihr Haus, trifft deren Freunde und wird fast zur Mutter, betont dauernd die Ähnlichkeit. Richtige Trauer: Fehlanzeige
Familie ist hin. Ich weine außerordentlich, aber tief im Inneren bin ich ungerührt.
Das Haus
Das Haus der Mutter ist auch das Haus in dem „die Frau“ aufwuchs. Der Ort, an dem der Vater zu Tode kam. Langsam kommt der Leser dem Trauma der Frau näher. Sie hat wieder nebulöse Pläne und setzt wie gewohnt nichts in die Tat um. Da kommt ein Jäger, ein Pfleger, es wird gejagt, geschossen und wieder auf den Mann gewartet. Zwischendurch Momente des Glücks: das schöne Wetter, die Freude in einem Liegestuhl in der Sonne zu liegen, der Fahrtwind auf einer Radtour.
Doch das scheint nicht von Dauer:
Ich scheiterte an der Aufgabe, mich besser zu fühlen.
Die Krähen
Krähen sind Galgenvögel, Todesvögel, aber auch Vögel der Weisheit. In Still halten sind sie allgegenwärtig. Erst klopfen sie in der Wohnung ans Fenster, begleiten die Frau zu ihrer Mutter und bedrängen sie förmlich im Garten des Hauses. Ich habe das Gefühl, sie sind ihr wohlgesonnen, wollen sie vor etwas warnen. Doch die Frau fühlt sich bedroht. Von den Krähen und auch von Singvögeln:
In der absoluten Stille wird es den Moment der absoluten Sicherheit geben.
Kein Zweifel. Keine Angst.
Spannung
Es fiel mir echt schwer das Buch zu lesen. Doch am Ende, auf den letzten Seiten, wurde es echt spannend. Ich wurde plötzlich ganz in das Buch hineingesogen und plötzlich wieder ausgespuckt. Was ist wirklich passiert? Entweder war ich unaufmerksam, oder jeder muss sich halt seinen eigenen Reim darauf machen.
Reisinger ist eigentlich Filmemacherin. Ich hatte mir ein Buch vorgestellt, das mehr wie ein Film ist. Ist es vielleicht auch , aber definitiv Arthouse.
Interview
Jovana Reisinger wuchs in Österreich auf. Die Autorin ist preisgekrönte Filmemacherin und arbeitet auch als bildende Künstlerin. Dieses Interview haben wir per eMail geführt.
Das Buch
Silvia: Wenn du das Buch „Still halten“ mit fünf Substantiven beschreiben müsstest, welche würdest du wählen?
Jovana: Cash Kapital Body Tourismusattraktion Verkauf
Silvia: Auf Cash und Kapital wäre ich nicht gekommen. Vielleicht muss ich dein Buch nochmal lesen. Die meisten Personen in deinem Roman bleiben anonym, die werden durch eine Rolle benannt (Mann, Frau, Mutter, Pfleger)? Warum haben manche der Personen einen Namen, zum Beispiel Elvira?
Jovana: Es war wichtig der Hauptfigur keine Attribute wie Name, Alter, Größe zu geben. Trotzdem erzähle ich eine Geschichte, die auch durch ihre Nebenfiguren verdichtet wird. Die Frau eines Försters verdient immer einen Namen.
Silvia: Sicher, die Frau dieses Försters hat so einiges verdient. Ich empfand den Roman als recht ironisch. Vor allem die Teile, die sich irgendwie mit Tourismus auseinandersetzen. Es gibt so einige Sprüche im Buch, die sich lesen wie aus einem Werbeprospekt für Österreich. Als Urlauber ist es schön dort. Wie ist es als Österreicherin?
Jovana: Auch als Eine, die in Österreich aufgewachsen ist, finde ich das Land schön.
Schreiben
Silvia: Ich habe dort einige schöne Urlaub verbracht. Du bist Filmemacherin. Wo ist der Zusammenhang zum Schreiben?
Jovana: Der einfachste Zusammenhang ist das Drehbuch. Die Grundlage für ein Bewegtbild schreibt sich ganz anders als ein Roman. Die Arbeit als Regisseurin prägt beim Schreiben und umgekehrt.
Silvia: Wie kommt es, dass du jetzt deinen ersten Roman geschrieben hast?
Jovana: Die Rohfassung des Romans schrieb ich bereits vor der Filmhochschule. Aber erst durch die filmische Ausbildung konnte ich ihn so schreiben, wie ich ihn haben wollte.
Sonst so
Silvia: Hast du Kontakte zu Bloggern? Liest du deren Buchbesprechungen?
Jovana: Ich habe keinen Kontakt zu Bloggern.
Silvia: Vielleicht ändert sich das ja durch diesen Bloggerpreis. Wie sehen deine weiteren literarischen Pläne aus?
Jovana: Ein neuer Roman wird erscheinen.
Silvia: Ich bin gespannt. Jetzt noch unsere obligatorische Keksfrage: Was sind deine Lieblingskekse?
Jovana: Lieblingskeks, schwierig. Ich mag Süßigkeiten gar nicht so gerne. Und dann eben die Klassiker: Vanillekipferl und irgendwas simples mit Ei drauf.
Silvia: Und ich habe auf ein geheimes österreichisches Familienrezept spekuliert. Schade. Doch vielen Dank für das Interview. Ich bin sehr gesannt auf dein weiteres literarisches Werk.
Fazit
Ich wurde beim Lesen gefordert, doch für mich hat sich die Erarbeitung des Buches gelohnt. Eine interessante Art zu schreiben. Ein Buch, dass ich eigentlich mit anderen Lesern besprechen müsste. Es schreit nach Lesekreis.
Infos zum Buch
Still halten Jovana ReisingerVerbrecher Verlag ISBN 9783957322739 200 Seiten |
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