Die Glasglocke
Dienstag, 14. Juni 2016
Klassiker: Die Glasglocke
Es gibt Bücher die man vom Namen her einfach kennt. Von so einem Buch denke ich immer jeder außer mir hat es schon gelesen. Dazu gehört „Die Glasglocke“. Es wird oft in anderen Büchern erwähnt, der Name der Autorin, Sylvia Plath, meist mit Ehrfurcht genannt. Durch die Bücherkulturchallenge wurde ich mit der Nase darauf gestoßen, als ich im Februar noch ein Buch für Das Jahr des Taschenbuchs brauchte, habe ich es mir endlich gekauft. Auch im Lesekreis konnte ich die anderen Teilnehmer von diesem Buch überzeugen. Bei der Besprechung war ich leider krank und konnte nicht dabei sein. Schade, die Diskussionen dort zeigen mir oft Seiten an Büchern auf, die ich vorher nicht gesehen habe.
Das Buch
Als erstes stellte ich überrascht fest, da es kein monumentaler Wälzer, sondern ein eher dünnes Buch von ca. 260 Seiten ist. Und dann ist das Buch sehr gut lesbar. Nach den vielen Erwähnungen in anderen Büchern erwartete ich eher ein sperriges, hochgestochen philosophisches Buch. Philosophisch ist es sicher auch, aber gut verständlich.
Dieser Roman, der einzige der Autorin, hat wohl autobiographische Züge, was die gewählte Erzählperspektive in der Ich-Form noch unterstreicht. Der Roman führt uns nach New York, ins Jahr 1953. Es ist Sommer, schwül und heiß. Die junge Esther Greenwood gewinnt als Collegestudentin die Teilnahme an einem Volontariat bei einer Modezeitschrift. Gemeinsam mit elf anderen jungen Frauen lebt sie für die Zeit in einem einfachen Hotel. Sie sollen in der Redaktion mitarbeiten und bekommen viele Termine, in denen diese Aktion werbewirksam ausgeschlachtet wird. Esther kommt aus eher einfachen Verhältnissen und ist erst von dem Glamourleben begeistert.
Nach und nach kommt sie aber in diesen Wochen in eine Existenzkrise.
Angeblich erlebte ich gerade die schönste Zeit meines Lebens. …
Die Sache ist die, daß ich gar nichts im Griff hatte, nicht einmal mich selbst.
Immer wieder kommt das Bild der Rosenbergs ins Spiel. Ein amerikanisches Ehepaar, die wegen Spionage zum Tode verurteilt wurden und im Juni 1953 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden. Esther stellt sich immer wieder vor, wie es wäre so zu sterben.
Durch die Erzählperspektive wird klar, dass Esther diesen Sommer irgendwie überlebt und später sogar eine Familie gründet, sonst wäre die depressive Stimmung kaum erträglich. Vor allem, weil der Selbstmord der Autorin (sie brachte sich in dem Jahr um, in dem auch dieser Roman erschien) immer im Buch mitschwebt. Zwischendurch gibt es auch entspanntere Szenen, in denen ich auch heutige Teenagersorgen wiedererkenne:
Es muß eine Menge Dinge geben, gegen die ein heißes Bad nicht hilft, aber ich kenne nicht viele. Wenn ich todtraurig bin, oder so nervös, daß ich nicht schlafen kann, oder in jemanden verliebt, den ich eine Woche lang nicht treffen kann, sacke ich in mir zusammen, und dann sage ich mir: „Jetzt nehme ich ein heißes Bad.“
Es gibt Pelzshows, Modenschauen, Arbeit in der Redaktion, viele Geschenke, neue Kleidung, Makeup: eigentlich alles, wovon eine junge Frau zu dieser Zeit nur träumen kann. Doch Esther fällt in eine starke Lethargie:
Ich fragte mich, warum ich es nicht mehr schaffte, das zu tun, was ich eigentlich tun sollte.
Sie lässt Termine ausfallen, gibt Arbeiten nicht rechtzeitig ab. Vorher war Esther sehr zielorientiert, fleißig, hat einige Auszeichnungen im College gewonnen. Doch hier, in diesem schwülen Sommer in New York verlässt sie alle Kraft. Der Grund dafür wird mir nicht klar, doch das liegt wohl auch in der Natur von Depressionen.
Sie schafft es immer wieder sich selbst zu frustrieren „Ich fing an, alles aufzuzählen, was ich nicht konnte.“
Sie knüpft Freundschaften mit Mädchen, die ebenfalls mit im Hotel wohnen, lernt Männer kennen, wird aber immer unzufriedener mit sich selbst, sie kann aus ihren Talenten keine Kraft mehr schöpfen: „Ich kam mir vor wie ein Rennpferd in einer Welt ohne Rennbahnen.“
In folgender Szene, meiner Lieblingsstelle, erkenne ich auch heutige Jugend mit ihren vielen Möglichkeiten und der Unfähigkeit Entscheidungen zu treffen, wieder:
Die Depressionen und ihre Folgen bleiben natürlich nicht unentdeckt. Esther muss in eine Klinik. Ihre alleinerziehende Mutter ist mit der Situation total überfordert und kann diese Erkrankung nicht nachvollziehen. Zum Glück meldet sich eine reiche Gönnerin, die die Behandlung finanziert. Doch Elektroschocks und Medikamente bringen Esther in dieses Gefühl in einer Glasglocke zu leben:
… immer saß ich unter der gleichen Glasglocke in meinem eigenen sauren Dunst.
Momente der Besserung passen auch gut in dieses metaphorische Bild
Die Glasglocke schwebte einige Fuß über meinem Kopf. Ein Luftzug erreichte mich.
Doch die schlechten Momente überwiegen:
Woher sollte ich wissen, ob sich nicht eines Tages – im College, in Europa, irgendwo, überall – die Glasglocke mit ihren erstickenden, lähmenden Verzerrungen wieder über mich senken würde?
Für den, der eingezwängt und wie ein totes Baby in der Glasglocke hockt, ist die Welt selbst der böse Traum!
Es gibt viele Beschreibungen aus dem Leben in der Klinik, die Schicksale andere Patientinnen, viel sehr beklemmende Situationen. Ich selbst kann diese tiefen Löcher in die psychisch Kranke fallen nicht nachvollziehen, was wahrscheinlich ein gutes Zeichen für mich ist. Aber Bücher wie diese zeigen, wie hoffnungslos die Situation für die Betroffenen ist und wie dringend sie Hilfe benötigen.
Da sich Plath Selbstmord beginnt frage ich mich natürlich, ob dieses Buch nicht ein einziger langer Hilfeschrei war.
Fazit
Sylvia Plath beschreibt mit diesem Buch sehr eindrucksvoll, wie eine junge Frau in eine Depression fällt und wie unmöglich es scheint dort wieder herauszukommen. Obwohl das Buch schon über 50 Jahre alt ist, bleiben viele der psychischen Probleme aktuell, auch wenn sich die Behandlungsmethoden zum Teil geändert haben. Aus dem Bekanntenkreis weiß ich allerdings, dass eine vollständige Heilung auch heute eine Utopie ist. So kann dieses Buch, neben der literarischen Stärke auch einen Blick in das Innenleben einer Betroffenen bieten. „Die Glasglocke“ ist in seiner Kürze voll von Szenen und Situationen, so reich an Interpretationsspielräumen und Diskussionsmöglichkeiten, das es mich nicht wundert, des es so oft zitiert und als Vergleich herangezogen wird.
Ergänzungen
Kurz nachdem ich „Die Glasglocke“ gelesen habe, hörte ich im Rahmen meiner Vorbereitung auf die Verleihung des deutschen Hörbuchpreises von David Foster Wallace „Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur üblen Sache“ . Hier beschreibt der Autor, der gegen die Depression starke Medikamente nimmt, wie diese sein Bewusstsein so verändern, dass er wie in einem Paralleluniversum lebt. Übrigens wird auch bei Wallace „Die Glasglocke“ erwähnt…
Im September kommt das Buch von Connie Palmen „Du sagst es“ im Diogenes Verlag heraus. Sylvia Plath und Ted Hughes bildeten ein literarisches Liebespaar. Diese fiktive Autobiographie von Ted Hughes ist der Versuch diese komplexe Beziehung aus seiner Sicht zu beleuchten. Ich freue mich darauf, durch dieses neue Buch auch einen neuen Blick auf „Die Glasglocke“ zu werfen.
Weitere Stimmen zu diesem Buch
Kora von creativity-firstSylvia Plath: Die Glasglocke, aus dem Englischen von Reinhard Kaiser,
Suhrkamp Verlag, Broschur, 262 Seiten, ISBN: 978-3-518-45676-7, [D] 8,99 €
Guten Tag.
Ich persönlich fand das Buch abscheulich. Frau Plath verwendet für meinen Gusto definitiv zu viele Einschübe. Auch die Sprache kommt mir leicht artifiziell vor und ich kann es definitiv nicht weiterempfehlen. Der eigentliche Handlungsstrang wird nicht kontinuierlich verfolgt und so schweift auch der Geist oft von dem eigentlichen Thema ab. Dadurch gehen viele Erkenntnisse verloren.
Ich habe mir zudem weitaus mehr historische, oder geistige „Background“ Infos über Sylvia Plath erhofft, da ich das Buch „Du sagst es“ von Connie Palmen (eine sehr empfehlenswerte Fiktive Autobiografie) zuvor gelesen hab.
Einen ganz großen Daumen herunter für diesen Werk, zumindest aus meiner Warte.
Mit freundlichen Grüßen
Lou
Hallo Lou,
Dann sind wir uns zwei zumindest bei „Du sagst es“ einig!
Viele Grüße
Silvia