Lioba Werrelmann: Hinterhaus
Donnerstag, 22. August 2019
Krimicheck eines Debütromans
Hauptthemen
Nachbarschaft, Vergangenheitsbewältigung, Kindesmissbrauch, Stadtentwicklung.
Hauptperson
Carolin Königsforst kommt eines Tages vom Yoga nach Hause. Die Wohnung ist bis auf ein paar Umzugskartons leer. Ihre große Liebe Jens hat sich ohne Vorankündigung oder eine Nachricht aus dem Staub gemacht. Doch es kommt noch schlimmer: Carolin verliert an einem Tag den Partner, ein Dach über den Kopf und den Job. Doch damit fangen die Katastrophen erst an. Im Klappentext steht, Julia sei Journalistin. Das ist so nicht richtig. Sie hat einen Job beim Rundfunk, hat aber keine Ausbildung, noch nicht mal einen Schulabschluss.
Carolin ist eine junge Frau, bei der ich mich dauernd an den Kopf packen will und denke: mein Gott ist die naiv. In welcher Welt lebt die eigentlich? Solche Bücher mit naiven aber hübschen Frauen mag ich sonst gar nicht. Doch alles ist aus Carolins Sicht beschrieben. Wenn man sie und ihre Geschichte näher kennenlernt, versteht man ihre Hintergründe auch langsam. Sie bekommt von vielen gesagt, sie sei dumm. Ein Bekannter beschreibt sie im Buch so:
„Carolin, du bist nicht doof. Du bist anders. Es ist schwer, es in Worten auszudrücken. Vielleicht sollte ich sagen weltfremd. Immer so ein bisschen abwesend. Mit sich selbst beschäftigt. Du bist freundlich. Du bist harmlos. Und du bist ein bisschen verloren, wenn du allein bist.“
Doch die abwesende, weltfremde, naive Carolin wächst über sich hinaus. Sie stellt das zwar nicht schlau an, aber fast könnte man diesen Krimi als Entwicklungsroman bezeichnen. Die schon über 30jährige wird endlich erwachsen.
Krimicheck
Typ: Berlinkrimi
Garstufe: Medium
Puls: 100
Psycho: nein
Humor: Nein. Obwohl ich manchmal bei den ganzen schrägen Typen das Gefühl hatte, jetzt wird es zu einer Krimikomödie. Doch der eigentlich sehr ernste Hintergrund fängt das wieder auf.
Location
Berlin. Vor allem Prenzlauer Berg. Ein Hinterhaus, dessen Beschreibungen zum Teil schon recht gruselig sind. Da ist Astrids Foto oben irgendwie ganz passend.
Die Autorin
Lioba Werrelmann ist Jahrgang 1970. Sie stammt aus dem Rheinland. Sehr nett fand ich die Anspielungen darauf im Buch. So ist zum Beispiel der Königsforst (Carolins Nachname) ein großer Wald bei Köln, ganz bei mir in der Nähe. Werrelmann studierte politische Wissenschaften und ist in Berlin und Köln als Redakteurin und Kommentatorin tätig. Hinterhaus ist ihr erster Roman. So veröffentlichte vorher schon das Sachbuch Stellen Sie sich nicht so an.
Berlin-Krimis
Die Hauptstadt bietet vielen Krimis und Krimireihen eine Heimat. Hier ein paar Beispiele:
Horst Evers: Der König von Berlin
Rath & Rai: Serie Bullenbrüder, ich empfehle die Hörbuchversion, gelesen von Christoph Maria Herbst
Martin Krist: Böses Kind
Bernd Mannhardt: Giftzwerg (Moabit-Krimi)
Louise Welsh: Verdacht ist ein unheimlicher Nachbar
Fazit
Normalerweise stehe ich auf blutige Psychothriller. Da passt Hinterhaus nun so gar nicht rein. Doch nachdem ich mich auf die weltfremde Carolin eingelassen habe, wurde ich spannend und gut unterhalten. Das Buch ist auch eine interessante Milieustudie. Außerdem habe ich durch das Buch Lust auf einen erneuten Besuch in Berlin bekommen.
Nachtrag
Dieser Roman ist auch auf der Liste der eingereichten Titel für den Bloggerpreis von Das Debüt gelandet. Das wundert mich sehr. Das Buch habe ich gerne gelesen, hoher literarischer Anspruch kann hiermit aber nicht erfüllt werden. Das ist auch sicher nicht Intention der Autorin gewesen. Trotzdem freue ich mich einen Titel der Liste gelesen zu haben, da ich auch dieses Jahr wieder in der Jury mitmachen darf.
Hallo liebe Silvia,
jetzt bin ich ja total hin und hergerissen. Lesen wollen oder nicht? Diese Carolin könnte mich nerven, aber das warum sie so ist reizt dann doch. Und die Darstellung des Hauses und des Umfeldes. Du hast das Buch sehr reizvoll beschrieben ohne zu spoilern. Ich gehe mal in mich, ahne ja wie es ausgehen wird 😉
Das Lost Place Foto ist übrigens sehr genial, noch ein Ansatz mehr über das Lesen des Buches nachzudenken.
Danke dir sehr.
Liebe Grüße
Kerstin
Hallo Kerstin,
Es ist ja der Sinn des Krimichecks möglichst wenig von der Handlung zu erzählen.
Zu sagen es würde dir definitiv gefallen würde ich nicht wagen, aber das Buch ist definitiv mal was anderes!
Viele Grüße
Silvia
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