[Rezension] Robert Seethaler: Die weiteren Aussichten
Sonntag, 17. März 2019
Seethalter geht doch immer!
Wenn Ihr mal wieder ein schönes Buch fürs Herz braucht, nehmt dieses. Wenn euch mal nach einer schönen poetischen Sprache ist, nehmt dieses.
Glitzernd überschlagen sich die Tropfen in der Luft.
Herbert ist 27 Jahre alt. Eigentlich erwachsen! Aber wenn man sein Leben lang in einem kleinen Dorf lebt, Epilepsie hat und von der Mutter betüdelt wird, kann man nicht erwachsen werden! Herbert hat in Kindertagen seinen ersten epileptischen Anfall. Ihm wird erklärt, dass er ab und zu eben mit einem Gewitter im Kopf leben muss. Die Folgen sind aber katastrophal für seine Entwicklung. Er ist fortan vom Sport- und Schwimmunterricht ausgeschlossen, die Mutter kümmert sich aufopferungsvoll, aber sein Erfahrungshorizont erweitert sich nicht im Laufe seines Lebens. Er bleibt naiv und unbeholfen. Arbeiten tut er mit seiner Mutter in der elterlichen Tankstelle. Und so plätschert sein Leben dahin!
Bis Hilde auftaucht! Außenseiterin wie Herbert. Eines Tages fährt sie mit ihrem kleinen blauen Fahrrad an der Tankstelle vorbei und Herbert verliebt sich in sie. Er fährt ihr nach und findet sie im örtlichen Hallenbad, wo sie als Putzhilfe arbeitet. Herbert überwindet sich und spricht sie an. Sie treffen sich und bereits nach kurzer Zeit zieht Hilde in Herberts Kinderzimmer mit ein.
Fortan lebt man also zu dritt im Haus der Mutter. Wobei man ehrlicherweise auch Georg nicht vergessen darf. Herberts Fisch! So richtig harmonisch ist das Zusammenleben aber nicht!
Eines Nachts verlässt Hilde Hals über Kopf das Haus, Herbert folgt ihr und begeht einen folgenschweren Fehler. Daraufhin verliert er die Nerven und flieht mit Hilde, seiner Mutter und Georg aus dem Dorf. Es beginnt eine aufregende Zeit…
Was fürs Herz!
Diese Geschichte wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben. Sie ist völlig überzogen und unrealistisch, aber sie macht einfach viel Spaß und ich muss häufig laut lachen. Seethaler kann phänomenale Bilder in meinem Kopf heraufbeschwören.
Dieser tollpatschige Protagonist wächst mir sehr ans Herz. Ich habe viel Mitleid mit ihm, wenn vom kleinen Herbert erzählt wird. Während der Leser über Hilde nicht viele Informationen erhält, so wird ihm die ganze Lebensgeschichte von Herbert nähergebracht. Und seine Kindheit ist nicht unbedingt schön. Durch seine Krankheit und sein unvorteilhaftes Aussehen wird er sehr ausgegrenzt. Nachdem er mit seiner kleinen Familie von zu Hause ausgerissen ist, fängt er an Verantwortung zu übernehmen. Er entwickelt Pläne und lässt den kleinen Herbert irgendwann hinter sich und wird erwachsen.
Von Hilde hätte ich gerne noch viel mehr erfahren, als dass sie einige Pfunde zu viel hat und keine Frisur! Aber das ist nicht wichtig für den Roman. Das einzige wichtige ist ihre Liebe zu Herbert.
Sprachlich ist dieses Buch wie für mich geschrieben. Ich liebe diese Ironie und die schön beschriebenen Bilder.
Das Bild mit dem glühenden Himmel und dem kleinen Blitz hat er noch jahrelang in sich rumgetragen. Die Zeit hat es dann übermalt!
Hoffentlich werden „Die weiteren Aussichten“ bald verfilmt. Ein Roadmovie durch das einsame Österreich könnte doch ein Erfolg werden.
Ich muss mir jetzt endlich einmal Seethalers erfolgreichstes Buch vornehmen. Silvia hat „Der Trafikant“ bereits gelesen. Den Film habe ich im Kino wie üblich verpasst – wie schade. Aber den Erscheinungstermin der DVD habe ich mir im Kalender notiert.
Welches ist denn Euer Seethaler-Favorit?
Pingback: [Die Sonntagsleserin] März 2019 - Phantásienreisen