Rezension: ZwischenLand von Kathrin Wildenberger
Mittwoch, 3. Oktober 2018

Nach Montagsnächte der zweite Teil der Trilogie
Ania erlebte im ersten Teil Montagsnächte die Demos in Leipzig. Zwischenland beschreibt die Zeit nach dem Mauerfall. Eine Zeit, in der alles offen erscheint. Für Ania, die in Leipzig bleibt und auch ihre beste Freundin Suse, die sich schon im Sommer vorher über Ungarn nach Westdeutschland durchgeschlagen hat.
Neben der Rezension gibt es in diesem Beitrag auch ein kurzes Interview mit der Autorin Kathrin Wildenberger
Ania
Anias Teil des Romans hätte auch fast Ende der 1960iger Jahre spielen können. Besetzte Häuser, WGs und vor allem freie Liebe.
Die neugewonnene Freiheit wird genossen, doch nicht alles, was aus dem Westen herüberschwappt ist gut. Ist ein gemeinsames Deutschland überhaupt möglich? Ist es das, wofür sie bei den Montagsdemos gekämpft haben?
Doch neben der Politik ist Ania auch privat hin und hergerissen. Liebt sie Sascha oder Alex? Oder beide? Funktioniert das überhaupt, so eine offene Beziehung? Ania muss durch viele Tiefen gehen, erlebt auch aber auch emotionale Höhepunkte. Und was ist mit ihrer ersten Liebe Bernd?
Sehr gut gefielen mir die Szenen, wenn sie trostsuchend in der kleinen Kinderbadewanne Entspannung suchte. Das Wasser dafür musste mühsam in Töpfen erhitzt werden, denn Komfort lassen ihre Lebensumstände vermissen. Dafür gewinnt sie aber viele Freunde, fühlt sich aber auch von einem verraten.
Und was wird aus Anias Traum von einem Studium?
Freiheit ist wichtig, doch sie eröffnet fast zu viele Möglichkeiten. Doch das sehe ich jetzt auch in der Generation meiner Töchter bei den Schulabgängern. Ihnen steht die ganz Welt offen, doch Entscheidungen zu treffen, die das Leben radikal ändern, ist nicht so leicht.
Gewalt
Neonazis schlagen um sich und liefern sich nicht nur mit Punkern halbe Straßenschlachten. Diese Szenen sind sehr spannend. Ania und ihre Freundin werden immer wieder in diese Kämpfe mit hineingezogen.
„Wie sollen wir ein Land werden mit Menschen, die uns nicht mal ansatzweise verstehen können?“
Suse
Anias beste Freundin Suse ist in Westdeutschland. Ihr Freund will sie heiraten, eine Familie gründen.
Doch Suse ist verunsichert. Was möchte sie wirklich? Und mit wem? Oder soll sie doch zurückgehen? Sie vermisst ihre Freundin Ania.
Suse hat Träume. Sie möchte etwas leisten. Kreativ sein. Kann sie das dort im Westen? Oder soll sie zurückgehen?

Brit
Anias kleine Schwester Brit bleibt erstmal bei den Eltern. Doch dort ist es auch nicht einfach. Das Verhältnis der Eltern dreht sich. Die Mutter übernimmt viel Verantwortung, der Vater fühlt sich ausgebootet.
Brit fühlt sich eingeengt. Soll sie die Schule abbrechen oder weitermachen? Sie sucht Trost bei einem Freundeskreis, der ihren Eltern und auch Ania Angst einjagt.
Dazwischen
Während sich für mich 1990 durch die Wiedervereinigung eigentlich nichts im Leben geändert hat, änderte sich für die ehemaligen Bürger der DDR alles. Dieses Buch zeigt diese Zeit zwischen alt und dem Ankommen im „neuen Leben“ und verdeutlicht die Leistung, die die Menschen in Ostdeutschland vollbrachten, indem sie sich sehr flexibel auf eine völlig neue Welt einstellen mussten. Auch mit Freiheiten muss man erst mal klarkommen. Und auch im Westen läuft nicht alles besser als vorher im Osten.
Fazit
Auch im zweiten Band der Geschichten um Anja, ihre Freunde und ihre Familie habe ich mich an diese Zeit damals erinnert. ZwischenLand eröffnet mir einen offenen Blick auf die Probleme, vor denen viele Menschen damals standen und die mir als Wessie überhaupt nicht bewusst waren. Wildenberger beschreibt anschaulich, freizügig und spannend einen wichtigen Zeitabschnitt der deutschen Geschichte. Schön, dass es noch einen dritten Teil geben wird.

Autoreninterview
Bereits letztes Jahr, zum Jahrestag des Mauerfalls beantwortete Kathrin Wildenberger mir einige Fragen. Auch dieses Jahr erklärte sie sich dazu bereit:
Vermissen
Silvia: Gibt es etwas, was du aus „alten DDR-Zeiten“ vermisst?
Kathrin: Schwer zu sagen. Vielleicht ist „vermissen“ nicht das richtige Wort. Ich habe achtzehn Jahre in diesem Land verbracht, es gibt Erinnerungen, Gefühle der Vertrautheit, der Nostalgie. Als ich in Göttingen und Heidelberg lebte, habe ich mich dort zwar sehr wohl aber nicht wirklich zu Hause gefühlt. Vielleicht hat das weniger mit der DDR als mit Heimatgefühlen zu tun. Das Land meiner Kindheit und Jugend ist innerhalb eines Jahres verschwunden. Manches kann ich gelegentlich wiederfinden, hier in Leipzig, im Alltag, dann fühle ich mich für Momente zurückversetzt, und ganz viele Erinnerungen sind plötzlich wieder da. Aber, um Deine Frage direkt zu beantworten: Nein, ich vermisse nichts. Ich bin froh darüber, in der DDR gelebt zu haben, weil ich dadurch die offene und demokratische Gesellschaft, in der wir nun leben, mehr zu schätzen weiß. Und mir ist auch bewusst, wie fragil all das ist und dass wir aktiv etwas dafür tun müssen, um es zu erhalten. Wir Ostler haben den Umbruch von einem Gesellschaftssystem in ein anderes miterlebt, wir haben erfahren, dass Dinge, die eigentlich unmöglich schienen, doch passieren können und dass dies sehr schnell gehen kann. Auch für diese Erfahrung bin ich dankbar.

Doppelleben
Silvia: Du arbeitest an der Uniklinik Leipzig als Medizinisch-Technische Assistentin. Wie schaffst du es zwei so unterschiedliche Berufe unter einen Hut zu bekommen?
Kathrin: Das ist eine Frage der Balance. Zum einen sorgt mein Brotberuf dafür, dass ich beim Schreiben unabhängig bin, mich meinen Romanprojekten widmen kann, keine Aufträge annehmen muss, um Geld zu verdienen. Zum anderen erhalte ich mir dadurch die Bodenhaftung, die ein ganz normaler Arbeitsalltag mit sich bringt. Und, glaub mir, es gibt keine bessere Inspiration als den ganz normalen Alltag. Und auch wenn ich gerne mehr Zeit zum Schreiben hätte (bisher ist es ein Tag in der Woche, den ich zu Hause am Schreibtisch verbringe): das Schreiben ist eine einsame Tätigkeit, man muss sich regelrecht abschotten, um in Ruhe und konzentriert arbeiten zu können. Würde ich nur noch zu Hause an meinen Projekten arbeiten, hätte ich Angst, mich zu sehr einzuigeln, nur noch mit mir selbst beschäftigt zu sein, und dann, denke ich, versiegt auch alle Inspiration.

Nächstes Buch
Silvia: Und der Abschlussband deiner Trilogie, was kannst du uns über den letzten Band erzählen?
Kathrin: Der dritte Teil der Trilogie spielt in der Gegenwart. Ich arbeite gerade daran und möchte noch nicht all zu viel verraten. Vielleicht ganz kurz: Es wird einen Todesfall geben, der die Hauptfiguren nach Jahren wieder aufeinandertreffen lässt, und in den Stunden des Wiedersehens werden Lebenswege, Entwicklungen, Konflikte sichtbar.
Silvia: Vielen Dank, liebe Kathrin für deine Antworten. Ich freue mich schon auf ein Wiedersehen in Leipzig!

Hallo Silvia,
jetzt hast du mich neugierig gemacht – die Reihe kannte ich ja noch gar nicht – und irgendwie konnte mich deine Rezension nun mehr als neugierig machen … hab mir die Bücher gleich mal auf die Wuli gesetzt….
Übrigens eine schöne Idee, das gerade an diesem Tag hier zu promoten …. man vergisst oft, was damals war – und gerade als Wessi hat man da nicht so die Einblicke, Von daher … DANKE für die Empfehlung 😉
LG Bibi
Hallo Bibi,
Das freut mich, dass ich dein Interesse wecken könnte.
Diese Bücher liegen mir am Herzen, weil die Mitarbeiter aus dem Verlag so engagiert sind und Kathrin so ein netter Mensch ist.
Liebe Grüße
Silvia