Kathrin Wildenberger: Montagsnächte – Rezension
Mittwoch, 12. Juli 2017
Was hast du gemacht als die Mauer fiel?
Mit dieser Frage kann man bei allen, die alt genug waren um Erinnerungen an diese Zeit zu haben, einen Erinnerungsstrom auslösen. So auch bei einem Lesekreis, in dem ich und eine andere Teilnehmerin von diesem Buch erzählten. Direkt kamen viele Geschichten aus der Zeit, was wir gerade so machten, wo wir wohnten, wann wir zum letzten Mal vor dem Fall auf der anderen Seite waren. Verwandte, Freunde, Kollegen: jeder hat seine eigene Geschichte zu dieser Zeit des Umbruchs.
Kathrin Wildenberger erzählt in ihrem Roman Montagsnächte die Geschichte von einigen jungen Menschen, die auf der anderen Seite der Mauer lebten.
Disneyland
Ganz ehrlich: für mich war die DDR (ich kann nur zwei Tagesbesuche in Ost-Berlin vorweisen) eine Art gruseliges Disneyland mit Spielgeld, grauen Mauern und Menschen, in denen ich immer etwas tief Trauriges sehen wollte. Über den normalen Alltag „in der Ostzone“ habe ich mir in der Schulzeit gar keine Gedanken gemacht.
Im Buch wird klar: es war auch ein ganz normales Leben (ja, ja, ich bin total ignorant gewesen). Und einige der Protagonisten waren direkt hautnah dabei, bei den Montagsmärschen, in Leipzig, in der Nikolaikirche.
Protagonisten
Da ist die 18jährige Ania (nur wenig jünger als ich damals), ihre Familie, ihre große Liebe Bernd, ihre beste Freundin Suse und Miriam, mit der sie zusammen eine Ausbildung macht. Kathrin Wildenberger erzählt, wie die unpolitische Ania in den Sog der Montagsmärsche gerät, wie sie Studenten kennenlernt, die etwas verändern wollen.
Flucht
Eine Freundin von Ania geht über die grüne Grenze in Ungarn nach Österreich. Dort wird sie von den Menschen freundlich empfangen. Wir haben vor ein paar Jahren in St. Margarethen am Neusiedlersee Urlaub gemacht, unsere Vermieterin hat davon erzählt, wie sie an der Grenze standen, mit Essen, Getränken und Autos um die Geflohenen in improvisierte Auffanglager zu bringen.
Habt ihr euch schon mal Gedanken gemacht, wie einige Betriebe nach der Massenflucht aufrechterhalten wurden? Anias Mutter arbeitet in einem Krankenhaus, flüchtet nicht und weiß nicht mehr wie sie mit so wenigen Kollegen so viele Patienten versorgen soll. Ähnliches galt sicher auch für Bauern mit Tieren, Müllabfuhr und Feuerwehr.
Jugendzeit
Doch es geht nicht nur um Politik, sondern um den Alltag, die Träume junger Menschen, Erwachsenwerden und auch um Liebe. Und das sind auch die Punkte, an denen die Autorin in zwei weiteren Büchern anknüpfen wird. Sie möchte anhand einiger Personen darstellen, wie sich ihr Leben durch den Mauerfall verändert, wie es sich in den nächsten Jahrzehnten entwickelt.
In diesem Interview redet sie über das Buch, über sich und die Zeit rund um den Mauerfall.
Fazit
Spannendes, einfühlsames Buch über den Mauerfall. Es brachte mir durch die angesprochene Mode und vor allem die Musik meine Jugend zurück. Ein Buch, dass ich auch denjenigen empfehle, die nicht auf eigene Erinnerungen auf diese Zeit zurückgreifen können. Ich freue mich auf die weiteren Bände und bin gespannt was mit den Protagonisten in den folgenden Jahrzehnten passieren wird.
Nachtrag
Inzwschen ist der zweite Band von kthrin Wildenberger erschienen. In Zwischenland beschreibt sie die Zeit nach dem Mauerfall. Wir erfahren wie es mit Ania, ihrer Familie, den Freunden und auch mit Deutschland aus ihrer Sicht weitergeht.
INFOS ZUM BUCH
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Montagsnächte |
Oh, für den Tipp bin ich aber jetzt wirklich sehr dankbar: Seit Jahren lese ich mich quasi durch die DDR-Geschichte, da das Thema zu meiner Schulzeit gefühlt komplett ausgeblendet wurde. (Ich wurde 1989 eingeschult, im Anschluss war alles wohl – jahrelang – zu frisch…) Super!
Hallo Julia,
Dann kommt diese Trilogie für dich ja gerade recht. Es wird auch noch ein Interview mit der Autorin hier geben. Um den Jahrestag des Mauerfalls herum.
Ich komme mir nur gerade sehr alt vor, da ich schon 1986 Abi gemacht habe…
Viele Grüße
Silvia