Duft nach Weiss
Mittwoch, 10. August 2016
Duft nach Freiheit
DIe kleine Anelija verbindet mit dem Duft nach Weiss, den Duft nach Deutschland und ihrer Mutter. Denn diese hat 1975 Bulgarien und ihre fünfjährige Tochter verlassen um in Deutschland zu leben.
Anelija bleibt bei ihrer Großmutter, ihrer Baba zurück. Wenn die anderen Kinder sie später in der Schule hänseln, weil die Mutter abgehauen ist, sagt sie immer: ich habe drei Mütter. Baba, Baba Milena (die Urgroßmutter) und die Mutter in Deutschland. Einen Vater gibt es nicht.
Weiss sind der Umschlag und das blütenweisse Briefpapier der seltenen Post der Mutter. Sie duften nach Freiheit!
Erste Geschichte im Buch
1975 herrscht der Kommunismus in Bulgarien. Auslandsreisen sind nur nach Genehmigung erlaubt. Als die Mutter nicht zurückkommt, müssen die Zurückgebliebenen mit Repressalien rechnen. Anelija wird von ihren beiden Müttern vor Ort behütet und liebevoll erzogen. Sie ist immer Klassenbeste, darf aufs Gymnasium und bekommt außerdem noch einen Aushilfsjob im Büro des Bürgermeisters. Einen bezahlten Job, so dass sie sich den Schulbesuch leisten kann und jetzt sogar regelmäßig Fleisch auf den Tisch kommt.
Zeitgleich baut sich die Mutter ein neues Leben in Deutschland auf. Sie heiratet dort und meldet sich fast nie.
Die Geschichte über ihr Leben in Bulgarien erzählt Anelija ihrem Freund Enno. 1995 lebt sie auch in Deutschland und studiert dort. Enno und der Leser erfahren nach und nach alles über das Leben in Bulgarien, die Flucht und den beschwerlichen Anfang in Deutschland. Dem Land, das aus der Entfernung immer weiss duftete. Einiges erzählt sie Enno erst, als sie auf dem Weg nach Bulgarien sind um dort eine schwere Entscheidung zu treffen.
Zweite Geschichte im Buch
In Anelijas Geschichte wird eine andere eingeflochten. Die des regimekritischen Autors Georgi Markow, der 1987 Opfer des sogenannten Regenschirmattentats in London wurde. Als persönlicher Feind des bulgarischen Staatschef Todor Schiwkow, muss Markow sein geliebtes Land verlassen und versucht von außen den Bulgaren Hoffnung auf ein freies Leben zu geben und leitet kritische Radiosendungen, die von England aus gesendet und in Bulgarien gehört werden.
Die Autorin schafft es die beiden Geschichten zart miteinander zu verbinden.
Was mir gefiel
Der Stil ist recht einfach gehalten, nur selten kommen komplizierte Satzgebilde zum Vorschein. Trotzdem ist das Buch nie flach, sondern dem jeweils beschriebenen Leben und dem Alter der Protagonistin angepasst.
Sehr gut gefielen mir die Szenen, in denen Anelija von Erwachsenen zum Lesen guter Bücher angestiftet wird. So versucht sie sich anhand deutscher Klassiker Deutsch selbst beizubringen.
Immer wieder stößt sie auf solche Menschen, wie zum Beispiel eine Bibliothekarin, die ihr helfen. Sie nennt sie ihre Einhörner, nach einem Märchen das ihr die Urgroßmutter erzählte.
Das Buch greift das einfache Leben auf dem bulgarischen Land ebenso auf, wie das Studentenleben in den 1990 in Deutschland, das Schicksal von Flüchtlingen in dieser Zeit und auch die Ohnmacht einzelner Menschen in einem unterdrückten Volk.
Lieblingsstelle
Lieblingsstelle, nach dem deutschen Mauerfall wird auch das bulgarische Regime gestürzt. Anelija wird davon Zeuge durch eine Fernsehübertragung der Vorgänge in Sofia:
Nach Jahren angstvoller Stille waren die Stimmen plötzlich so laut. Ich öffnete den Mund, so stark war das Bedürfnis, mit all diesen Menschen die so lange unterdrückten Worte auszusprechen. Ich hörte zwischen den deutschen Kommentatoren die bulgarischen Reden. Die Worte und Sätze kamen seltsam verquer heraus, ungehobelt, sprudelnd, als ob die Bulgaren mit dieser ungewohnten Freiheit noch nicht wirklich umgehen konnten. Wenn man so lange geschwiegen hatte, reihten sich die Laute falsch zusammen, schossen heraus und dabei oft über das Ziel hinaus.
Die Autorin
Stefanie Gregg lebt mit ihrer Familie in München. Sie veröffentlichte schon mehrere Kriminalromane. Duft nach Weiss wurde 2015 bereits als reines eBook in einem anderen Verlag veröffentlicht.
Dieses Buch ist nicht autobiographisch. Es entstand durch eine Begegnung an einem Lagerfeuer, den Erfahrungen einer eingewanderten Freundin, dem Studium bulgarischer Bücher und Reisen in dieses Land abseits der normalen touristischen Pfade.
Fazit
Ein Buch über Freiheit, insbesondere Meinungsfreiheit, Familie und auch über die Liebe. Durch die beschriebenen Erlebnisse als Flüchtling und das politische Attentat erhält es eine beklemmende Aktualität, auch wenn die beschriebenen Ereignisse schon eine Weile her sind.
Andere Meinungen zu Der Duft nach Weiss
Iris, alias Die Leserin führte auch ein schönes Interview mit der Autorin
Infos zum Buch
Stefanie Gregg: Der Duft nach Weiss
Verlagsseite
Roman, Klappenbroschur, 320 Seiten, ISBN: 978-3-86532-552-5, [D] 15,00€, auch als eBook erhältlich.
Vielen lieben Dank für die Verlinkung!
Gerne. Das Interview gefiel mir sehr. Ich wollte die Autorin auch um eines bitten, doch du hast mir fast alle Fragen vorweg genommen ;)))
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