Elizabeth Strout: Die Unvollkommenheit der Liebe
Sonntag, 6. November 2016
Schön, wenn man sich bereits nach wenigen Sätzen in einem Buch wohlfühlt. Das passiert mir nicht häufig, daher bin ich über solche Bücher immer sehr dankbar.
Bei dem neuen Buch von Elisabeth Strout hatte ich dieses Gefühl. Ich war sofort mitten in der Geschichte und fühlte mich nach New York versetzt.
Inhalt
Lucy Barton erzählt von ihrem Krankenhausaufenthalt vor etlichen Jahren. Nach einer Blinddarmentzündung hat sie rätselhafte Fieberanfälle und verbringt einige Wochen in einem Krankenzimmer mit Blick auf das Chryslergebäude. (okay, das ist vielleicht das einzig Kitschige an diesem Buch!). Ihr Mann ist mit seinem Job und der Organisation der Kinder und des Haushaltes derart ausgelastet, dass er Lucys Mutter bittet, nach ihrer Tochter zu sehen. Ungewöhnlich daran ist die Tatsache, dass sich Mutter und Tochter seit Jahren nicht gesehen und auch keinen Kontakt hatten. Lucy genießt die Anwesenheit ihrer Mutter sehr und beide verlieren sich in Erinnerungen. Die Mutter erzählt von gemeinsamen Bekannten, während Lucy sich an ihre Kindheit erinnert. Eine Kindheit, geprägt von großer Armut und Ausgrenzungen. Die Eltern können wenig Verständnis für ihre Kinder aufbringen, besonders der Vater hat mit eigenen Traumata zu leben. Lucy flüchtet in die Schule, in der es warm ist und in der sie so lange wie möglich den Tag verbringt. Dort erledigt sie ihre Hausaufgaben und liest Bücher, die dort bereitstehen. So hat sie gute Noten und schafft nach der Schule den Weg raus aus dem verhassten Umfeld und geht nach New York.
Die Gespräche mit der Mutter bleiben oberflächlich, aber man spürt immer Lucys Angst. Vor Dingen aus ihrer Kindheit, über die nie geredet wurde. Die auch Lucy immer noch nicht in Worte fassen kann.
Eine Vielzahl von Dingen entscheidet darüber, welche Wege wir einschlagen, und nur selten können wir sie mit Gewissheit benennen, aber ich denke noch heute daran, wie ich nach dem Unterricht in der warmen Schule blieb, einfach um im Warmen zu sein!
Meine Meinung
Dieses Buch beschreibt die tiefen Gefühle einer Tochter, die keine schöne Kindheit hatte. Die kein normales Familienleben hatte. Die immer Geldnot hatte und mit sehr wenig auskommen musste. Die keine liebenden Eltern hatte. Die das Gefühl hatte, dass in ihrer Familie alles anders ist. Die sich nicht traut über vieles zu reden. Die erst als Erwachsene erkennt, dass es auch andere Menschen gibt, die Probleme in der Kindheit hatten und viel offener damit umgehen.
Sehr eindringlich beschreibt die Autorin die Sehnsucht einer Tochter nach Liebe und Anerkennung durch die Familie, insbesondere der Mutter. Obwohl die Protagonistin beim Besuch ihrer Mutter in ständiger Angst lebt, dass bestimmte Ereignisse von früher zur Sprache kommen, ist sie auch froh, dass dies nicht passiert. Die Mutter lebt mit eigenen Ängsten aus der Kindheit und so schaffen es die beiden nicht, sich wirklich einander anzunähern. Als Leser würde ich gerne mal mit am Krankenbett sitzen und die beiden bei ihrer Unterhaltung leiten und unterstützen.
Lieblingszitat
Mein Lieblingszitat stammt von Lucys Tochter, Lucy war inzwischen Schriftstellerin geworden war.
Mom, wenn du einen Roman schreibst, kannst du ihn umschreiben, aber wenn du zwanzig Jahre mit einem Menschen verbringst, dann ist das der Roman, und den schreibst du mit niemandem neu!
Wenn man selbst mal in New York war, begreift man, was 9/11 den Amerikanern bedeutet. Dass es ein tiefer Einschnitt in ihr Leben war. Kein Wunder, dass es in immer mehr Büchern Erwähnung findet. So auch in einem kurzen Abschnitt in diesem Buch.
Dieses Buch wurde vor kurzem auch im Literarischen Quartett vorgestellt. Christine Westermann sinnierte über den Titel des Buches und hat mir aus der Seele gesprochen. Anfangs war mir der Titel unpassend erschienen, auch etwas kitschig, aber nach der Lektüre empfand ich ihn durchaus gut gewählt.
Fazit
Ein sehr dünnes Buch, viel zu schnell gelesen. Voll an Gefühlen und Erkenntnissen. Mir hat es so gut gefallen, dass ich mir direkt ein älteres Buch von der Autorin besorgt habe.
Dieses Buch erinnerte mich immer wieder an „Schloß aus Glas“ von Jeanette Walls. Auch dort geht es um eine unvorstellbare Armut. Die Kinder frieren, haben nicht genug zu essen und werden aufgrund ihrer Armut ausgegrenzt. Auch in dem Buch flieht die Protagonistin vor der Familie nach New York.
Buchdaten
Elizabeth Strout
Die Unvollkommenheit der Liebe,
gebundene Ausgabe,
ISBN: 978-3-630-87509-5
Verlag: Luchterhand
Verlagsseite
Hallo Astrid,
ich bin gerade total im Lesefieber. Das Buch klingt spannend und würde mir so wahrscheinlich nicht auf die Leseliste kommen. Aber ich schreib es mir mal auf. Danke für den Tipp.
Hab einen schönen Sonntag
Tobia
Hoffentlich gefällt es Dir! Dir eine schöne lesereiche Woche.
Ich finde die Bücher von Elizabeth Strout auch toll. Sie hat so einen schönen Schreibstil! Und sie bringt mich auch zum Nachdenken, das gefällt mir besonders gut! Viele Grüße, Nora
Wäre es nicht bald mal Zeit für ein neues Buch von ihr?
Da muss ich doch glatt mal stöbern gehen.